Die Fragestunde im Leipziger Stadtrat ist auch deshalb öffentlich, weil die Fragen, welche die Ratsfraktionen hier stellen, auch die Öffentlichkeit interessieren. Nicht alles gehört nur in die Ausschüsse des Stadtrates, auch wenn manche Stadträte ziemlich viele Nachfragen haben – etwa zu der Frage, wie sich eigentlich die Schülerzahlen in den Leipziger Grundschulen in den nächsten Jahren entwickeln. Da reicht ein Blick in die Geburtenstatistik nämlich nicht.
Das wurde deutlich, als Linke-Stadtrat Volker Külow am 20. September emsig nachfragte zur tatsächlichen Aussagekraft der Zahlen, die das Amt für Statistik und Wahlen für die Antwort des Verwaltungsdezernats herausgegeben hat.
Denn die suggerieren für das Jahr 2030 immerhin 4.000 Grundschulkinder weniger als heute. Wobei das Schuljahr 2023/2024 schon deshalb aus dem Rahmen fällt, wie Schulbürgermeisterin Vicki Felthaus betonte, weil Leipzig einen neuen Spitzenwert an Neueinschulungen verzeichnete, der direkt mit dem letzten Geburtenhoch im Jahr 2017 zusammenhängt.
In der Antwort auf die Linke-Anfrage schrieb das Dezernat Allgemeine Verwaltung: „Seit 2017 ist die Zahl der Kinder im Grundschulalter kontinuierlich gestiegen. Waren es im Jahr 2017 noch 20.093 Kinder im Grundschulalter, liegt mit Stichtag Juni 2023 die Zahl der Kinder in den entsprechenden Alterskohorten bei 24.518. Die Belastungen für die Mehrzahl der Grundschulen sind hoch. In der Mehrzahl der Grundschulen wurden in den vergangenen Jahren und auch zum aktuellen Schuljahr 2023/2024 Horträume als Klassenzimmer doppelt belegt.
Das führt nicht selten zu Einschnitten bei der Umsetzung pädagogischer Konzepte. Zunehmende Inklusion von Schülerinnen und Schülern führt außerdem dazu, dass Klassenstärken nach unten korrigiert werden müssen. Dies hat zur Folge, dass mehr Klassen gebildet und dafür auch mehr Räume in den Schulen zur Verfügung gestellt werden müssen.“
Grundschulen sind noch überbelegt
Was dann schon einmal ein Ziel von Schulbürgermeisterin Vicki Felthaus in die Zukunft verschoben hat – nämlich endlich den Punkt zu erreichen, an dem Leipzig genügend Grundschulkapazitäten geschaffen hat.
„Bei Kindertagesstätten haben wir das letztes Jahr geschafft“, so Felthaus. Bei Grundschulen aber nicht.
Was nicht nur an den in Leipzig erfassten Geburtenzahlen liegt, sondern auch an der Tatsache, dass der Freistaat Sachsen bei Schülerzahl-Prognosen einfach die Zuwächse durch Migration „vergisst“. Denn auch für die Kinder aus Migrationsfamilien gilt die Schulpflicht. Sie werden parallel mit den hier geborenen Kindern eingeschult, auch wenn sie meist noch besonderen Nachholbedarf beim Spracherwerb haben. Was zusätzliche Kräfte bindet.
In der Antwort aus dem Verwaltungsdezernat klingt das schon an: „Die aktuellen Fluchtbewegungen bedeuten, dass für die geflüchteten Schülerinnen und Schüler zusätzliche DaZ-(Deutsch als Zweitsprache) Klassen in den Grundschulen gebildet werden müssen. Dafür bedarf es aktuell weiterer, zusätzlicher Raumkapazitäten.“
Raumkapazitäten, die aber nicht vorhanden sind. Viele Grundschulen in Leipzig sind überbelegt, wie Vicki Felthaus am 20. September in der Ratsversammlung bestätigte. Die Stadt muss also weitere Grundschulkapazitäten schaffen, damit die 100-prozentige Auslastung erreicht wird – aber eben nicht, weil noch Prozente an der Auslastung fehlen. Sondern im Gegenteil: In Leipzig gibt es, so Felthaus, aktuell 15 Züge über die vorhandenen Kapazitäten hinaus. Die Kinder sind überall in der Stadt auf die eh schon vollen Grundschulen mitverteilt.
Für die Lernerfolge der Kleinen eigentlich keine gute Botschaft.
Weitere Millioneninvestitionen in Schulbau nötig
Und es ist auch nicht absehbar, dass es so schnell Entspannung geben wird oder das Schulbauprogramm reduziert werden kann. Das, wie auch Linke-Stadtrat Steffen Wehmann anmerkte, einen erheblichen Teil der Leipziger Investitionen bindet. Investitionen, die Leipzig nicht einfach kappen kann, weil die Stadt gesetzlich verpflichtet ist, die benötigten Schulplätze zur Verfügung zu stellen. Also wird weiter gebaut und Vicki Felthaus wünscht sich eigentlich nur eins: Dass sich die Lage in nächster Zeit tatsächlich entspannt und Klassen auch wieder verkleinert werden können. Gerade da, wo es erhöhten Betreuungsbedarf gibt.
Daher überlege man eher, die Schulbezirke künftig neu zuzuschneiden. Denn in einigen Schulbezirken hat sich durch Schulneubau die Lage entspannt, in anderen noch nicht. Ziel aber sollte sein, die Belegung in den Schulen überall relativ ausgeglichen zu gestalten.
Es müsse also auch in der Schulentwicklungsplanung nicht sofort wieder umgesteuert werden, so Felthaus.
Auch wenn die blanken Zahlen aus dem Amt für Statistik und Wahlen das irgendwie nahelegen. In der Verwaltungsantwort las sich das so:
„Die Zahl der Kinder im Grundschulalter in der Stadt Leipzig wird nach der aktuellen Bevölkerungsvorausschätzung bis zum Jahr 2031 um knapp 4.400 auf 20.158 absinken, steigt jedoch bis 2040 voraussichtlich um knapp 2.000 Kinder auf 22.014 an. Eine detaillierte Aufschlüsselung dieser Zahlen nach Schulbezirk wird mit im neuen Schulentwicklungsplan ersichtlich sein. Die aktuelle Bevölkerungsvorausschätzung des Amtes für Statistik und Wahlen wird Grundlage für die Berechnungen bei der Fortschreibung des neuen Schulnetzplanes. Dieser wird voraussichtlich Ende 2024 zur Beschlussfassung vorgelegt.“
Nur hat diese Fortschreibung eben den kleinen Haken, dass niemand sagen kann, wie sich die Migrationsbewegung in den nächsten Jahren auswirken wird. Leipzig ist die Stadt in Sachsen, welche die meisten Migranten aufnimmt und integriert, also auch die meisten schulpflichtigen Kinder aus diesem Bereich hat. Aber wie viele das in den nächsten Jahren sein werden, kann niemand sagen.
Selbst dann nicht, wenn eine Bundesregierung jetzt den panischen Rufen nach abgesperrten Grenzen folgt. Denn die Dramen in der Welt, die Menschen zur Flucht zwingen, hören ja nicht einfach auf, wenn ein sächsischer Innenminister poltert: „Grenzen dicht!“
Und selbst wenn es Leipzig in den nächsten Jahren schafft, die benötigten Grundschulen fertigzustellen, pflanzt sich das Problem ja in den höheren Schulen fort. Und jede Prognose über das Jahr 2030 hinaus wird geradezu zur Kaffeesatzleserei, auch wenn sich Leipzigs Statistiker alle Mühe geben, möglichst realistische Schätzungen im Voraus abzugeben.
Es gibt 3 Kommentare
Dass in D’Anger-Crottendorf eine Grundschule fehlt, ist keine neue Erkenntnis. Diese ist schon ein paar Jahre alt. Daher wird an der Ostwache auch eine neue Grundschule entstehen – ob Külow da nun den Garagenpächter*innen etwas anderes erzählt oder nicht, spielt keine Rolle. Es ist gesetzlich geregelt, wie weit die Schule von der Wohnung entfernt sein darf und entsprechend ist durch die Kommune zu handeln – zumal die Stadt hier über eigene Grundstücke verfügen kann.
Es ist schon länger her, sehr geehrter User “EarlGrey”, daß jemand so schwungvoll Anwürfe über Dr. Külow öffentlich ausgeschüttet hat. Wie muß man sich die von Ihnen apostrophierte Feier der DDR vorstellen? War ein Margot-Honecker-Double mit bläulichem Haarschimmer anwesend? Stimmte man das “Tschekistenlied” an? Kam der Oktoberklub, diesmal unter Leitung von Kurt Masur, aus der Versenkung?
Es gibt in Leipzig kaum einen Kommunalpolitiker, der oder die mehr fraktionsübergreifenden Respekt genießt )(überdies bei der Presse, was das vorliegende Medium einschließt). Nicht nur bei SPD und CDU, auch bei B90/G. Es ist mir auch völlig unbekannt, wieso Külow wegen Grundschulneubau bzw. prognostizierten Einschulungszahlen ans Pult tritt. Daß er aber platt ins ganz unzutreffende Licht des ewig Vorgestrigen gerückt werden soll, kann ich, ich kenne ihn gut, wirklich nicht unwidersprochen lassen. Denn auch Schulneubaubedarf ist nicht das Jokerargument an sich, um etwa PPP-Projekte durchzuziehen oder einen sinnvollen und etablierten Sportplatz, wie an der Tarostraße (Dösner Weg) zu killen, ganz zu schweigen, vom Verkauf der Gaudigschule und dem Abriß des Schulflügels in der Amalienstraße (beides liegt mehr als 15 Jahre zurück).
Um Schulbauplanung mit auskömmlicher Berücksichtigung der “aktuellen Fluchtbewegungen” vorzunehmen, oder noch konsequenter, kommender Fluchtbewegungen, ist eine derartig weite Übernahme moralischer Verantwortung erforderlich, daß das keine Kommune schultern kann. Wenn ich die Verwaltungsantwort mit Horizont bis 2040 richtig lese, ist nicht etwa die blanke prognostizierte Einschulungszahl in Ihrer Entwicklung bedenklich hoch, sondern der Klassenzimmerbedarf wegen Doppelnutzung als Horträume, durch verstärkten erwarteten Zimmer-Bedarf für Deutschunterricht für Flüchtlihgskinder, und wegen renovierungsbedingtem temporärem Umzugs von Schulen. O.k., es liegen Gründe für den Wunsch nach mehr Schulen vor. Die Frage bleibt, ob es entscheidende Gründe sind. Und diese Frage ist nur mit politischen Ermessen unter Berücksichtigung vieler weiterer Aspekte, etwa der Lösung des Fehlbedarfs an Lehrerinnen und Lehrern, zu beantworten. Wenn Sie, lieber User “EarlGrey”, Dr. Külows Sicht letztlich als gelogen ansehen, würde mich interessieren, worin genau die Lüge besteht. Daß es unerforderlich ist, auf dem vormaligen Areal des Schwimmstadions eine Schule zu errichten?
Um wirklich progressiv zu wirken, lieber User “EarlGrey”, braucht es mehr als “Schulneubau” und “Verkehrswende” zu rufen oder derlei per se gut zu finden. Ein guter Anfang wäre, integrativ auf eine auseinandertreibende Gesellschaft zu wirken. Und die Eigentumsverhältnisse nicht aus dem Blick zu verlieren.
Zum Schluß: der markanteste Satz in der Verwaltungsantwort ist m.E. “Über das zukünftige Gebärverhalten herrscht jedoch Unkenntnis”. Wie wahr!
Ja, “nicht alles gehört nur in die Ausschüsse des Stadtrates”. Aber in Sachen Grundschulbau hätte Külow nur einmal den Sprecher für Schule und Bildung seiner Fraktion fragen müssen, statt die Verwaltung zu beschäftigen. Aber vielleicht gehört Götze nicht zu den Wagenknechten und man redet nicht miteinander.
Tage zuvor trieb sich Külow, wohl in Funktion als Sprecher für Senior*innen seiner Fraktion, auf einem Garagenhof in Anger-Crottendorf herum und versprach dort seiner Klientel, die gar nicht noch weiter weg von einer Grundschule sein kann, das Blaue vom Himmel. Was alle wissen, denn die Ausführungen von Felthaus und der Verwaltung sind absolut nichts Neues, einige aber nicht wahrhaben wollen und statt dessen Lügen verbreiten und Verschwörungsmythen bedienen, auf dem Garagenhof wird eine dringend benötigte Grundschule entstehen.
Aber statt sich nach vorn zu entwickeln, feiert man mit Stasi-Stadtrat Külow, der seinen Wahlkreis gar nicht im Osten sondern im Westen der Stadt hat, die DDR. Rückwärst immer, vorwärts nimmer!
Wann war die Linke eigentlich das letzte mal progessiv? Macht da jetzt jeder alles und alle was sie wollen? Es äußern sich ja auch Stadträte inklusive Külow populistisch zur Verkehrswende (rückwärts versteht sich, obwohl man doch damals nach vorn zugestimmt hatte), statt dass dies die Sprecherin für Mobilität übernimmt. Gut, sie würde wahrscheinlich auch nach vorn argumentieren. Skurril!