Was kann eigentlich eine Stadt wie Leipzig tun, damit alle Kinder in der Schule auch zu einem erfolgreichen Abschluss kommen? Nicht wirklich viel, aber doch einiges. Auch wenn das nicht wirklich genügt, um ein starres und ungerechtes Bewertungssystem auszuhebeln, mit dem das Bildungsland Sachsen vielen Jugendlichen den Weg in eine Berufszukunft erschwert. Das klingt an in der Vorlage des Amtes für Schule „Aktualisierung zum Maßnahmenkatalog zur Förderung von Schulerfolg und Chancengerechtigkeit“.
Denn in die tatsächlichen Inhalte der Schule kann eine Stadt wie Leipzig nicht eingreifen. Als Schulträger ist Leipzig zwar für die Schulgebäude, Technik, Hausmeister, Schulbibliotheken und Sekretärinnen zuständig. Was freilich im Lehrplan steht, das bestimmt der Bildungsminister. Die Lehrer werden ebenso vom Freistaat angestellt und geplant. Wobei ja die Lehrerplanung nicht nur in Sachsen eine seit Jahren anhaltende Planungskatastrophe ist.
Aber es sind eben nicht nur die Lehrerinnen und Lehrer, die unter einem dysfunktionalen Bildungssystem leiden, sondern auch die Schülerinnen und Schüler. Denn das Ziel, allen Kindern am Ende zu einem erfolgreichen Schulabschluss zu verhelfen, verfolgt auch die sächsische Bildungspolitik nicht, egal, welche Ministerin oder welcher Minister gerade Verwalter des Missstands ist. Denn dazu müssten Bildung und Schule anders gedacht werden, nicht vom Aussieben und Sortieren her, sondern von den Kindern her, die am Ende alle gebraucht werden – als Demokraten, Fachkräfte und selbstbewusste Bürger, denen die Zukunft des Landes nicht so egal ist wie einigen Politikern.
Zahlen überm Bundesdurchschnitt
Und so resümiert die Vorlage aus dem Amt für Schule erst einmal einen inakzeptablen Zustand: „Aktuelle Ergebnisse des Bildungsmonitorings zeigen neben positiven Entwicklungen weiterhin deutliche Herausforderungen der Leipziger Bildungslandschaft. Die Quote der Jugendlichen, welche die Schulen ohne mindestens einen Hauptschulabschluss verlassen, ist weiterhin hoch: In Leipzig betraf das 2022 375 Schülerinnen und Schüler (9,2%). Sie liegt damit über dem Bundesdurchschnitt (6,2%) und über dem sächsischen Landesdurchschnitt (8,8%). Darüber hinaus zeigen sich große Unterschiede bei Bildungsbeteiligung und -erfolg innerhalb des Stadtgebietes.
Hinzu kommen die Folgen der Corona-Pandemie. Insbesondere sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche wurden deutlich stärker durch die Pandemie belastet. Um den Herausforderungen erfolgreich entgegentreten zu können, bedarf es weiterhin institutionsübergreifender Anstrengungen unterschiedlicher Akteure der kommunalen Bildungslandschaft sowie Angeboten, die präventiv, institutionell und individuell wirken, Bildungschancen fördern und frühzeitig auf das Ziel einer erfolgreichen Bildungsbiografie einzahlen. In Fortschreibung des bestehenden Kataloges (VI-DS-03486) zeigt die Vorlage auf, mit welchen Maßnahmen derzeit in der Stadt Leipzig Schulerfolg und Chancengerechtigkeit unterstützt werden.“
Genau da versucht Leipzig ja seit Jahren wenigstens helfend einzugreifen – mit flankierenden Maßnahmen, die den Kindern wenigstens eine bessere Lernumgebung verschaffen. Und zwar besonders jenen Schülerinnen und Schülern, die im sächsischen Bildungssystem ganz offensichtlich systematisch benachteiligt werden.
Wie schafft man Chancengerechtigkeit?
„Die Ergebnisse der kommunalen Bildungsberichterstattung zeigen, dass sich die soziale Heterogenität der Stadtgesellschaft deutlich in der Schülerschaft und ihren Bildungsbiografien widerspiegelt“, schreibt das Amt für Schule. „Vor diesem Hintergrund ist Chancengerechtigkeit im Schulsystem eine große Herausforderung, der sich kommunale Bildungsakteure stellen müssen. Möglichkeiten für die Stadt Leipzig ergeben sich innerhalb der Bildungs- und Sozialplanung, wie zum Beispiel bei der weiteren Ausgestaltung des Schulnetzes, bei der Priorisierung von Bau- und Sanierungsmaßnahmen, bei der Ausstattung von Schulen, bei der konzeptionellen Begleitung von Hortbetreuung und Ganztagsangeboten, beim Einsatz von Personal, bei der Etablierung unterstützender pädagogischer Angebote, wie den Schulbibliotheken und Leseräumen, den Familienschulzentren oder der Study Hall sowie bei der Planung von Aktivitäten im Bereich der kulturellen Bildung, des Sports und der Jugendhilfe.“
Und man ist sich in Leipzigs Schulverwaltung auch nur zu bewusst, dass Sachsen mit seinen falschen Vorstellungen von Leistungen und Elite seine „schwächeren“ Schüler besonders stark benachteiligt.
„Es bestehen deutliche Unterschiede zwischen den Bundesländern: In Sachsen lag die Quote der Jugendlichen ohne mindestens Hauptschulabschluss zuletzt über dem bundesdeutschen Durchschnitt“. Stellt das Schulamt fest. „Eine mögliche Ursache dafür kann in dem Zusammenspiel aus individueller Leistungsbewertung über Noten / Zeugnisse und dem tatsächlichen Kompetenzniveau der Schülerinnen und Schüler gesehen werden, welches objektiv über Kompetenztests gemessen wird.“
Und da wird besonders deutlich, wie Sachsen, dieser ewige „PISA-Sieger“, junge Menschen in der Schulbewertung systematisch benachteiligt. „So haben beispielsweise in Sachsen 2018 8,2% der Jugendlichen die Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, gleichzeitig hätten jedoch laut Kompetenztest im selben Jahr nur 3,3% der sächsischen Schülerinnen und Schüler das Hauptschulniveau nicht erreicht – eine wichtige Hintergrundinformation für die Bewertung der unterschiedlichen Schulabbrecherquoten in den einzelnen Bundesländern“, stellt das Amt für Schule fest.
Ein klarer Fall von Ungerechtigkeit, wenn nicht gar Diskriminierung. Denn diese nicht gewährten Hauptschulabschlüsse treffen vor allem Jugendliche aus sozial besonders betroffenen Ortsteilen.
Benachteiligung für die Benachteiligten
„In Leipzig liegt der Anteil der Schulabgänger/-innen ohne mindestens einen Hauptschulabschluss seit mehreren Jahren durchschnittlich bei etwa 10%, allerdings sank die Quote 2022 mit 9,2% auf den niedrigsten Wert seit 2017. Etwa die Hälfte der Abgänger/-innen ohne mindestens einen Hauptschulabschluss stammt von einer allgemeinbildenden Förderschule, dort ist oftmals kein Hauptschulabschluss als Abschlusszertifikat vorgesehen“, so das Amt für Schule. „Die andere Hälfte der Leipziger Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne mindestens einen Hauptschulabschluss stammt von Oberschulen, die in bestimmten Ortsteilen liegen und sich fast ausschließlich in kommunaler Trägerschaft befinden. An sechs Oberschulen in Trägerschaft der Stadt Leipzig konzentrieren sich etwa die Hälfte aller Abgänger/-innen ohne mindestens einen Hauptschulabschluss. Wie im Bundesdurchschnitt sind darunter mehr Jungen als Mädchen, allerdings ist die Quote der Mädchen zuletzt leicht gestiegen, die der Jungen gesunken. Auch sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund häufiger betroffen als ohne Migrationshintergrund.“
Als würde Sachsen diese jungen Menschen nicht brauchen. Denn das ist ja die Botschaft hinter dieser Praxis.
Was dann zwangsläufig nicht nur zu Verwerfungen im Leben der jungen Leute führt, sondern auch zu sozialen Konflikten, an denen dann der konservativ regierte Staat nicht schuld sein will.
Ist er aber doch, auch wenn dieses System aus Sicht von Leuten, die Bildung elitär denken, nur zu „gerecht“ ist. Sie stecken ja nicht in der Haut der Menschen, denen so Jahr für Jahr die Rote Karte gezeigt wird.
Kriterium Migrationshintergrund
„Eine große Herausforderung für die Förderung von Schulerfolg und Chancengerechtigkeit ist die Integration von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund“, betont deshalb das Amt für Schule. „Im Schuljahr 2022/23 hatten 14.455 Schülerinnen und Schüler der Stadt Leipzig einen Migrationshintergrund (24,1 %), so viele wie nie zuvor. Unter den Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund lag die Quote der Abgängerinnen und Abgänger ohne Abschluss 2022 mit 15,2 % fast doppelt so hoch wie die Quote unter ihren Gleichaltrigen ohne Migrationshintergrund (7,8 %). Hinzu kommen die Herausforderungen durch die Integration der ukrainischen schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in die Leipziger Schullandschaft; zum Stichtag am 15.10.2022 lernten 1.826 Schülerinnen und Schüler aus der Ukraine an Leipziger Schulen.“
Migrationshintergrund heißt aber eben nicht, dass diese jungen Leute dann nach der Schule einfach in einen vom Innenministerium gecharterten Flieger gesetzt und in der Fremde irgendwo abgesetzt werden. Im Gegenteil: Sie leben hier und fehlen trotzdem. Auch als Bürger, die sich mit dieser Gesellschaft identifizieren und sich einbringen. Normalerweise dürften Parteien, die diesen Menschen auch zu echten Bildungserfolgen verhelfen, auch davon profitieren. Aber genau so tickt Sachsens Bildungspolitik nicht.
Das Ergebnis, so das Amt für Schule: „Laut der aktuellen Schulstatistik des Statistischen Landesamtes Sachsen zeigten sich differenziert nach Schularten im Schuljahr 2022/23 unterschiedliche Abschlussquoten: An den Gymnasien erreichten 92,4 % der Absolventinnen und Absolventen die allgemeine Hochschulreife, 7,3% einen Realschulabschluss. An den Oberschulen legten 73,5 % der Schülerinnen und Schüler einen Realschulabschluss ab, 17,6 % einen (qualifizierenden) Hauptschulabschluss, 8,9 % verließen die Schule mit einem Abgangszeugnis.
Der Anteil der Abgängerinnen und Abgänger ohne mindestens einen Hauptschulabschluss an Oberschulen ist damit im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen (von 8,1 % auf 8,9 %). Von den Schülerinnen und Schülern an Förderschulen verließen 7,3 % die Schule mit einem Realschulabschluss und 15,3 % mit einem Hauptschulabschluss.“
Das heißt: Wenigstens an den Oberschulen müsste dringend umgesteuert werden. Nicht nur mit Sozialarbeitern der Stadt, sondern auch mit einer besseren Lehrerausstattung durch das Land. Und einem anderen Denken, das auch aufhört, Oberschulen wie ein zweitklassiges Schulsystem zu behandeln. Und das Kindern so früh beibringt, dass sie auch nur zweitklassig sind. Wie sich viele dieser jungen Leute dann auch fühlen. Mit Folgen für die Demokratie und das gesellschaftliche Klima.
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