Schule von innen? Ein Trauer-Spiel. Das bekam ich in den letzten Wochen von einigen Mitmenschen außerhalb der Lehranstalt öfter zu hören. Halb richtig – halb falsch. Jahrelang kränkelnd, mit „Long-COVID-Symptomen“ dahinsiechend, atmen unsere Bildungseinrichtungen immer noch schwer. Im ständigen Rennen um Zensuren, Punkte, Durchschnitte oder sonstige Leistungen.
Mit Zielbändern, die sich Abschlüsse nennen. Begrenzt von Leitplanken – Lehrplänen, die das Lernobjekt auf Kurs, oder besser gesagt: in der Schul-Laufbahn halten sollen. Woher soll das Abschlusssubjekt sonst wissen, was es lernen soll? Aber nein, die Schule ist kein singuläres Trauer-Spiel, sondern Teil des „Gesamtkunstwerkes“, das sich „Deutschland 2023“ nennt.
Sie ist nicht besser oder schlechter als unsere gesellschaftliche Verfassung. Der Zustand unseres Landes. Wie sollte es auch anders sein? Obgleich von ihr und ihren Insassen stets höhere Leistungen verlangt werden, muss sie um ihre Sinngebung kämpfen.
Wozu sollte man lernen und sich qualifizieren, besser noch, sich mit ethisch-moralischen Normen, vom Grundgesetz empfohlen, dem „Wohl der Allgemeinheit“ verpflichtet fühlen, wenn man – endlich – etwas besitzt? Wertvolles Eigentum wie Wissen, Können, Fähig- und Fertigkeiten beispielsweise?
Unser Bildungssystem in der „ernsten Krise“ zu sehen, wie es verantwortliche Ministerinnen offen zugestehen, heißt, nur die halbe Wahrheit zuzugeben. Diese Krise ist ein Netz aus immer stärker gefordert-überfordertem Personal, dicht gedrängten und bisweilen zwanghaften Erwartungshaltungen, mit immer geringer werdender Frustrationstoleranz und Empathie.
Das funktioniert wie ein Energieerhaltungssatz. Unter Pädagogen, Eltern und Schülern. Warum? Der Lernort Schule verkommt immer mehr zur Sammelstelle für Abrechnungsscheine, als würde man deren Insassen immer weniger Freiheit und Gestaltungsfähigkeit zutrauen.
Wie bitte? Natürlich kann man alles tun, wenn man kreativ, willig, zielorientiert und resilient am Gymnasium ankommt, und etwas IST. Aber sollte man das Lernen in der Schule nicht auch erst lernen dürfen? Etwas WERDEN? Gewiss, „es wächst der Mensch mit seinen größern Zwecken.“
Heißt es im „WallensteinProlog“ und bei Schiller. Läge dieser Zweck in der immer „größern“ Anhäufung von Wissen, welches sich in der Gegenwart rasend schnell vervielfacht (und auch wieder abnutzt) dann, ja dann rennen wir irgendwann der künstlichen Intelligenz von Maschinen hinterher, wie … (Denken Sie sich etwas aus.)
Bleibt dann nur zu hoffen, dass wir im lebenslangen Rundendrehen nicht unser fortschrittsoptimistisches Dauerlächeln verlieren. Konstruktive Lange-Weile hingegen – was soll das sein? – würde unseren Schulen wie ein Vitaminstoß guttun.
Wieder mehr Freiräume – nicht nur gestattet, sondern auch gefördert. Ganzheitlich zu denken. Menschen humanistisch zu orientieren? Dies scheint dem Warencharakter von Bildung und den marktimmanenten Zwängen nach den Bildungsabschlüssen tatsächlich immer mehr zu widersprechen.
Und wenn die Luft draußen dünner wird, kann man wohl kaum erwarten, dass der Sauerstoffgehalt in den gläsernen „Lernlaboren“ steigt. Energieerhaltung oder Konzentrationsausgleich? (Suchen Sie sich etwas aus.)
Der „größere Zweck“ sollte und muss ein anderer sein. Sich nicht am falsch verstandenen Idealismus (nicht Individualismus!) orientieren, sondern eher überindividuellen Interessen zu dienen, den Blick auf die Nachkommen (nicht nur die eigenen) zu richten und den Menschen das Leben in der Demokratie gegenüber autoritären Staatsformen als wirklich alternativlos ermöglichen.
Natürlich ist das so, werden die Bessergestellten unter uns jetzt möglicherweise einwerfen. Nur warum entgehen einem dann kaum die immer stärker werden Zeichen von Verunsicherung, Polarisierung, Empörungsgebaren, die sich in unserer Gesellschaft zeigen? Oder ist das eine unzulässige Übertreibung, aus sicherer Distanz?
Möglich durchaus, ja es muss eingeräumt werden, dass es zu wenig Engagement für das Gemeinschaftliche in eigenverantwortlich-demokratisch orientierten Gesellschaftsformen schon immer zu viel gab.
Dazu ist der Lebens-Kampf für das einzelne Subjekt auch zu anstrengend, zu behauptend, zu wenig friedlich. Eben auch individualistisch. Und mehr gegen- als miteinander organisiert. Das liegt in der Natur unseres Systems.
Des Wohlstandes, der empfundenen Freiheit und vermeintlichen Glücks. Die Schule soll es dann abstrakt-theoretisch gefordert und mehr als halbherzig gefördert, richten, sozial-gesellschaftliche Kohäsionskräfte stärken.
Spannungen und aufkommende Konflikte unter Kindern und Jugendlichen in ungefährliche und leistungsorientierte Fahrwasser lenken, dass alles so bleibt wie es ist. Genau dort liegt das Problem. Alternativen werden vom Lehrplan und der Abschluss-Termin-Dichte in den Schulen verdrängt, verdreht, im schlimmsten Fall vergessen.
Blick in die Geisteswissenschaft: Geschichte bleibt die bewährte „Geschichte der Sieger“, progressive Ansätze von Systementwürfen werden natürlich durch die westlich-demokratische Brille gesehen, der „Fakt“ (auch „handgemacht“ bzw. von Menschen ausgewählt) ersetzt stets die Vision.
Chroniken und Definitionen lassen sich gut an- und abrechnen; der Gedanke wird zur Bewertungseinheit, Bildung zur wohlstandbürgerlichen „Fahrschule“. Bestenfalls halbgebildet verlässt die junge Generation dann die Abschlusseinrichtung. Kein Ausweg, kein Land nirgends scheint in Sicht, sich im ungefährlichen Fahrwasser sicher zu bewegen.
Denn halb-gebildet bedeutet so ganz anfällig für die dunklen Seiten des gewinn- und wettbewerbsorientierten Kapitalismus zu sein. „Der Halbgebildete betreibt Selbsterhaltung ohne Selbst.“
So bezeichnet es Theodor Adorno in seinem bereits 1959 gehaltenem Vortrag „Theorie der Halbbildung“, messerscharf zwischen Bildung und „Informiertheit“ differenzierend. Bliebe noch über die Verantwortung des eingangs erwähnten Personals in Schulen zu reden. Damit die Zeiten sich wirklich wenden. In unseren Schulen.
Fortsetzung folgt.
Hier geht’s zum Teil I: Bertolts Bruch und Friedrichs Fiasko: Der Bildungs-Komplex
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