„Schöner Preis für euren Fleiß in der Feldschlacht, dass ihr jetzt in Gymnasien lebt und eure Unsterblichkeit in einem Bücherriemen mühsam fortgeschleppt wird.“ Schon wieder mal Schiller, aus seinen „Räubern“ 1782. Nein, jetzt folgen keine klassischen Moralsentenzen, blicken wir vielmehr nach vorn, nach hinten, und zur Seite, wenn wir wissen wollen, wie es um die Qualität unseres Bildungssystems bestellt ist.
Ans Gymnasium oder gleich ans gesamte Schul-Wesen. In „tiefer Krise“ stecke es, wie die ressortverantwortliche Ministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) kürzlich in einem Interview befand. „Wir müssen endlich an die strukturellen Probleme ran“, so Stark-Watzinger.
„Das wird nur mit einer neuen Form und Kultur der Zusammenarbeit mit allen Beteiligten gehen. Wir müssen ein Team Bildung aufstellen, statt mit dem Finger auf andere zu zeigen.“
Und weiter: „Besonders bei der Digitalisierung brauche es mehr Tempo. Von den fünf Milliarden Euro des eigentlichen Digitalpakts ist zwar schon viel verplant, aber noch zu wenig an den Schulen angekommen. Das liegt auch an der zu bürokratischen Umsetzung.“
Das war’s aber noch nicht: „Es stimmt, dass die Schulen in Deutschland teilweise in einem schlimmen Zustand sind. Nicht nur bei der Digitalisierung gibt es Defizite, sondern auch in Bezug auf sanitäre Anlagen und Turnhallen. Der Investitionsstau muss parallel zur Digitalisierung angegangen werden.“
„Team-Bildung“ also für Digitalisierungstempo und sanierte Toiletten. An die „Hardware“ muss man zuerst ran. Stimmt. Man wird teilweise an Zustände wie im vorigen Jahrhundert und untergegangenes Unrechtsregime erinnert, wenn man heutzutage die Luft auf dem Schulklo anhalten und konsequent geradeaus schauen muss.
Bloß nicht nach unten – sonst verstärken sich unerwartete Darmsymptome. Sind Schüler und Erzieher dem Urinal ohne Brechreiz entkommen, warten auf beide ein vollgestopfter Tag, mit einem ambitionierter Lehr- und Lernplan. Paradoxerweise in der Unterrichtsumsetzung oft konterkariert von dessen Inhalten. Beispiel gefällig?
Deutsch Leistungskurs 11/12 – Rainer Maria Rilke – Abitur-Stoff … „Sie sind so jung, so vor allem Anfang, und ich möchte Sie, so gut ich es kann, bitten, lieber Herr, Geduld zu haben gegen alles Ungelöste in Ihrem Herzen und zu versuchen, die Fragen selbst liebzuhaben wie verschlossene Stuben und wie Bücher, die in einer sehr fremden Sprache geschrieben sind. Forschen Sie jetzt nicht nach den Antworten, die Ihnen nicht gegeben werden können, weil Sie sie nicht leben könnten. Und es handelt sich darum, alles zu leben. Leben Sie jetzt die Fragen. Vielleicht leben Sie dann allmählich, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein“. (An Franz Xaver Kappus z. Zt. Worpswede bei Bremen, am 16. Juli 1903.)
Man braucht gar keinen „räuberischen“ Idealisten Schiller, um „strukturelle“ Defizite auszumachen, die Krise, wie von der Ministerin benannt, ist eine allumfassende. Es entsteht der Eindruck, dass es nicht wichtig scheint, was und vor allem wie jungen Menschen das Heran- und Hineinwachsen in einer demokratischen Gesellschaft gelingt.
Eine funktionierende digitale Infrastruktur und saubere Sanitäranlagen sind dabei wichtig, ja, vorrangig, tragen sie doch zur Identifikation mit dem Lernort Schule bei, zeigen die Wertschätzung der Gesellschaft für die so notwendige Bildung und Entwicklung künftiger Generationen. Worauf zielt die Kritik der Ministerin – mit dem Hemm-, ja Bremsschuh der „zu bürokratischen Umsetzung“??
Geld ist also vorhanden, es muss nur an der richtigen Stelle ausgegeben werden? Ja. Stimmt leider. So verwundert auch Außenstehende die Köpfe schütteln mögen. Tatsächlich ist die Finanzierung der Lehr- und Lernprozesse – und dies gilt wohl für alle Schul- und sozialen Betreuungseinrichtungen mehr oder weniger inkohärent oder – einfach gesagt – nicht nachvollziehbar.
Für das „Aufholen nach Corona“, einem Programm zur finanziellen Ausstattung und Absicherung zusätzlicher Lern- und Übungsangebote werden gießkannenartig Gelder herausgeschleudert, die mühsam unter Berücksichtigung der Kriterienhürden verbraucht werden können; auf der anderen Seite verdrecken die Schulhäuser, blättert im besten Falle nur der Putz von den Wänden, hängen die Türen schief in den Angeln.
„Subbotniks“ – in Erziehungskooperation von Lehrern, Schülern und Eltern durchgeführt – sind in eigenartiger Tradition wieder angesagt, mit einigem Murren durchgeführt, weil nach anstrengenden Woche dann auch das Erholungswochenende zur Hälfte futsch ist. Und von „Fremden“ das bewältigt werden soll, was eigentlich Aufgabe der Kommune wäre.
Wagen wir doch noch einmal den (unfreiwillig kuriosen) Lehrplanbezug. Deutsch Klasse 8. Goethe, „Osterspaziergang“. Letzterer fehlt’s an Geld „im Revier“? Dann nimmt man für die Renovierung des Schulzimmers die Insassen dafür.
Spaß beiseite. Wenn die materiell-bausubstanzielle Situation in unseren Schulen, Schulgebäuden – ausgenommen die mit großem medialen Getöse gepriesenen Neubauten – nicht in Bälde ebenfalls eine „Zeitenwende“ erfährt, rutschen uns bestenfalls ganze Generationen durch die pädagogischen Finger, bleiben motivationslos(er), mutlos(er), kraftlos(er).
„Sie werden immer dömmer“ würde Deutschlehrer Dr. Kraj aus der „Feuerzangenbowle“ unken. Sicherlich liegt das nicht nur an den Mauern aus Stein, der maroden Innenausstattung, die unsere Jüngsten umgeben. Zugegeben. Auch andere Gründe gibt’s – beinahe zeitlos –die Schillers Räuberhauptmann Karl Moor zu seinen vernichtenden Urteilsfetzen des vorherrschenden Zeit-Un-Geistes kommen ließen …
„Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum … Pfui, pfui über das schlappe Kastratenjahrhundert, zu nichts nütze, als die Taten der Vorzeit wiederzukäuen und die Helden des Altertums mit Kommentationen zu schinden und zu verhunzen mit Trauerspielen.“
Schule von innen – auch ein „Trauerspiel“? Dazu das nächste Mal mehr
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