„Superman, Spiderman oder der Black Panther sind Comic-Superhelden, an die wir wahrscheinlich als Erstes denken, wenn wir den Begriff ‚Held‘ hören. Grundsätzlich assoziieren wir mit Helden und Heldenmut etwas Positives, sie stehen für das Gute in der Welt. Denn wir sind aufgewachsen mit Geschichten, in denen Superhelden mit ihren übermenschlichen Kräften uns Menschen und die ganze Welt retten.
Sie schenken uns den Glauben, dass es immer Helden geben wird, die gegen das Böse kämpfen und für Gerechtigkeit sorgen. Diese Vorstellungen entstammen der Fiktion, doch inwiefern lassen sich diese Vorstellungen auf die Realität übertragen? Ohne es zu hinterfragen, benennen wir im Kindesalter bspw. unsere Eltern oder Vorbilder als unsere Helden, später bezeichnen wir den selbstlosen Einsatz von Menschen zum Wohl anderer als heldenhaft.“
Dies schrieb zuletzt eine 18-jährige Schülerin als Einleitung für einen längeren Aufsatz zum Thema „Ist Mia Holl eine Heldin?“ Es sollte laut Aufgabenstellung untersucht werden, ob und wie sich die 34-jährige Biologin als zunächst apolitische Protagonistin auch zu einer wahrhaft vorbildlichen Heldin im 2009 erschienenen Roman der Bestsellerautorin Juli Zeh entwickelt.
Neben den Lektürekenntnissen des dystopischen Werkes, das Probleme einer Gesundheitsdiktatur und eines Überwachungsstaates thematisiert, sollten sich die Schülerinnen und Schüler ernsthaft Gedanken zum modernen „Heldentum“ machen – was braucht ein Held / eine Heldin in der heutigen Zeit und gibt es so etwas wie eine zeitlose Universalität des Heldentums?
Und wie passt „Vernunft“ dazu? Die oben genannten Kunstfiguren aus Kinderbüchern und -filmen haben immer – wie die junge Schülerautorin richtig schreibt – etwas „Übermenschliches“ an sich. Auch in Juli Zehs Erziehungsroman spielt die Geschichte um das Jahr 2050, irgendwann in einer fiktiven Zukunft. (Obwohl darin so manche Entwicklung – vorausgesagt – schon beinahe Wirklichkeit geworden ist.)
Grund genug anzunehmen, dass es im richtigen Leben gar keine Helden-Vorbilder geben kann, sie immer klein bleiben oder letzthin stets scheitern müssen. Mahatma Gandhis „große Seele“ und sein heldenhafter Kampf für die Unabhängigkeit des indischen Volkes endeten 1948 unter den Kugeln eines fanatischen Hindus; der afroamerikanische Baptistenprediger Martin Luther King – gleichsam im „selbstlosen Einsatz zum Wohl anderer“ – hier für die Gleichberechtigung aller Menschen in den USA – fiel am 4. April 1968 ebenfalls einem Attentat zum Opfer.
Beide widmeten ihr Menschsein und ihr Leben dem Lebensglück anderer. Ganz im klassischen Freiheitsverständnis: „Ein edler Geist begnügt sich nicht damit, selbst frei zu sein, er muss alles andere um sich her, auch das Leblose in Freiheit setzen.“ (F. Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen)
Beide Helden in der Geschichte – die pathetische Zuschreibung sei an dieser Stelle gestattet – zeichnete aber neben ihrer religiös motivierten, praktischen Liebesethik noch etwas anderes, eben Außergewöhnliches aus. Beide – Gandhi und King – waren sich einig in der Überzeugung, dass nur ein Höchstmaß an Gewaltlosigkeit zu einem Ende der Gewaltspirale führen kann.
Dass der moralische überlegene Erfolg im tapferen Entgegennehmen von Schlägen und nicht im demütigenden Sieg über den bewaffneten Feind besteht, ja bestehen muss, um Rachegefühle weitgehend auszuschließen und künftiges „Auge um Auge“-Denken zu verhindern.
Diese dann „blinde Welt“, die Gandhi apokalyptisch beschrieb (und voraussah?), scheint bedrohlich reale Züge anzunehmen. Natur- und Umweltkatastrophen, Krisen, Krieg, ja drohender Weltkrieg in nuklearen Dimensionen, sind keine dystopischen Fiktionen mehr, sondern wirkliche Gefahren, auch wenn die „Appeaser“ (Beschwichtiger/- innen) derselben diese Menschheitsrisiken mit der Begründung herunterspielen, dass alles Übertreibungen, Alarmismus, „Feigheit vor dem Feind“ oder sonst etwas wären.
Es fehlt in unserer über-vernünftigen Welt der einseitigen Sicht auf „Gut“ und „Böse“ nicht nur an der supranational wirksamen Kontroll- und Interventionsinstanz (die UNO wäre das), sondern auch an einem herz-haften, bisweilen unvernünftigen, „übermenschlichem“ Heldentum, um die alles vernichtende Katastrophe zu vermeiden.
„In der internationalen Politik geht es nicht um Freiheit oder Menschenrechte, sondern um Interessen von Staaten. Merken Sie sich das, egal, was man Ihnen im Geschichtsunterricht erzählt.“ Wird der frühere Ost-Verträge-Architekt Egon Bahr zitiert, als er 2013 diese Worte im brummigen Churchill-Stil jungen Gymnasiasten mit auf den weiteren Lebensweg gab.
Heldinnen und Helden der Gegenwart müssten sich also dadurch auszeichnen, dass sie sich zuerst auf den Weg zur Vermeidung von drohenden Katastrophen durch Interessendivergenzen von Staaten machten. Sie müssten vernünftig-realistisch das zunächst geringe individuelle Vermögen besitzen, die wahren Absichten der herrschenden Klassen von Staaten zu durchschauen und ihnen entgegenzutreten.
Und dort hat sich einerseits das machiavellistische Denken einer Stärkedemonstration um jeden Preis – siehe Russlands völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine – durchgesetzt. Durchaus erklär- und nicht entschuldbar durch „Vor-Bilder“ früherer und anderer Angriffskriege und Völkerrechtsbrüche der scheinbar „Guten“ auf der anderen Seite des europäischen Kontinents.
Andererseits muss man es schon als wahnwitzig und beinahe reaktionär im Denken begreifen, dass man glaubt, eine Nuklearmacht militärisch auszubluten und besiegen zu können. Im Namen von „Freiheit und Menschenrechten“. Es geht um Interessen von Staaten. So brutal-gefährlich-einfach ist das.
Helden und Heldinnen der Gegenwart müssten also heutzutage Helden der Menschlichkeit sein. Gar nicht anders als Gandhi und King. Haben wir verstanden, dass alles Leben auf der Erde in gleichen Maßen schützenswert ist, dann muss die logische Schlussfolgerung sein, dass keine Macht, kein Land der Welt eine andere „zu Boden“ werfen darf, jeder, jede und jedes Wesen Sicherheit und Existenzberechtigung verdient.
Alles andere wäre Überheblichkeit, ein An-unserem-Wesen-soll-die-Welt-genesen Denken, ein einseitiges Messen mit Doppelstandards. Ein ewiges Vorhalten fremden Vergehens ohne reflektierten und demütigen Blick auf die eigene Vergangenheit und die so oft wiedergekaute „Verantwortung vor der eigenen Geschichte.“
Gewissenhafte Helden und Heldinnen damals und heute dachten und denken weiter als an Interessen von politischen Parteien und Staaten. Weiter noch als an politischen Opportunismus mit vorherrschenden, gut klingenden, kämpferischen Ansichten, dass Krieg mit Krieg besiegt werden kann. Existenzielle Gefahren müssen auch tatsächlich als solche begriffen werden. Dazu braucht es vor allem Helden-Mut, zuallererst ganz „unvernünftig“ das Vernünftige zu fordern. Frieden.
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