Sachsens Regierung will das Hochschulgesetz novellieren. Ein entsprechender Entwurf wurde im Juli vorgelegt, seitdem verhandelt und am 21. Dezember im Kabinett beschlossen. Grüne, Linke und Studierendenvertretungen bewerten den Entwurf unter anderem beim Thema studentische Mitbestimmung als unzureichend. Sie fordern eine paritätische Sitzverteilung in Hochschulgremien nach Thüringer Vorbild.

Paritätische Besetzung der Hochschulgremien seit Jahren gefordert

Die 2019 im Koalitionsvertrag von der sächsischen Regierung versprochene Hochschulgesetznovelle nimmt langsam Form an – deutlich zu spät, denn CDU, Grüne und SPD hatten die Novelle für 2020 angekündigt. Am Mittwoch, dem 21. Dezember 2022, stimmte das Kabinett dem überarbeiteten Entwurf zu. Somit kann er ab sofort im Landtag verhandelt werden.

Eine Forderung, für die vor allem die Linkspartei und die Grünen seit Jahren eintreten, ist nicht im Entwurf enthalten: die nach Statusgruppen paritätische Besetzung von Hochschulgremien, beispielsweise der Senat und die Fakultätsräte. Sowohl Linke als auch Grüne legten in den vergangenen Jahren Entwürfe für ein neues Hochschulgesetz vor, die eine solche gleichverteilte Zusammensetzung der Gremien beinhalteten.

Der ehemalige hochschulpolitische Sprecher der Linkspartei, René Jalaß, sprach zum Beispiel 2018 von einem möglichen „Festival der Demokratie“ an sächsischen Hochschulen, sollten die Lehrenden „gleichberechtigt mit den Studierenden an einem Tisch sitzen“. Damals war gerade der Gesetzesentwurf der Grünen im Landtag gescheitert.

Die Grünen nahmen die Forderung nach paritätisch besetzten Hochschulgremien später mit in die Koalitionsverhandlungen bei der letzten Regierungsbildung, konnten sich gegenüber der CDU aber nicht durchsetzen.

Deshalb bleibt bei der Verteilung der Entscheidungsgewalt zwischen den einzelnen sogenannten Statusgruppen wahrscheinlich alles beim Alten.

Professor/-innen haben überproportional große Entscheidungsgewalt

Bei den vier Statusgruppen an einer Universität handelt es sich um Studierende, wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen, Verwaltungsangestellte und Professor/-innen. Die Angehörigen einer Fachhochschule werden meist in drei Statusgruppen unterteilt: Studierende, weiteres Hochschulpersonal und Professor/-innen.

Die verschiedenen Gruppen sind an sächsischen Hochschulen ungleich am demokratischen Entscheidungsprozess beteiligt.

An der Universität Leipzig beispielsweise gibt es rund 31.000 Studierende, rund 2.200 Angestellte im akademischen Mittelbau, rund 1.800 Verwaltungsangestellte und etwa 450 Professor/-innen (inkl. Juniorprofessuren).

Im Senat, dem zentralen Gremium der Universität, machen die Professor/-innen allerdings mehr als die Hälfte (52 Prozent) der stimmberechtigten Mitglieder aus, der akademische Mittelbau und die Studierenden sind mit jeweils 19 Prozent vertreten, sonstige Angestellte mit zehn Prozent. Insgesamt setzt sich der Senat aus 21 stimmberechtigten Mitgliedern zusammen, darunter sind elf Professor/-innen.

Die Professor/-innen können also, ohne auf die Stimmen einer anderen Mitgliedergruppe angewiesen zu sein, mit einheitlicher Stimmabgabe Entscheidungen treffen. Diese Entscheidungsmacht – zumindest bei bestimmten Beschlüssen –  könnte auch das progressivste Hochschulgesetz so schnell nicht kippen, da sie rechtlich vorgeschrieben ist.

Professorale Mehrheit kann nur bedingt eingeschränkt werden

1973 hat das Bundesverfassungsgericht die Länder mit einem wegweisenden Urteil dazu verpflichtet, ihre Gesetze so zu schreiben, dass die professorale Stimmmehrheit in den Hochschulsenaten bei bestimmten Themen gewährleistet ist.

Bei Entscheidungen zu „unmittelbaren Fragen der Forschung“ und bei der Berufung von Professor/-innen müssen Professor/-innen einen Stimmanteil von mindestens 51 Prozent haben, bei Entscheidungen, die „unmittelbar die Lehre betreffen“, mindestens 50 Prozent.

So ist es auch im sächsischen Hochschulgesetz verankert. „Beschlüsse des Senates und des Fakultätsrates in Angelegenheiten der Forschung, künstlerischer Entwicklungsvorhaben und der Berufung von Hochschullehrern bedürfen der Mehrheit der Stimmen der dem Organ angehörenden Hochschullehrer“, heißt es da beispielsweise.

Außerdem: „Für die Hochschullehrer sind so viele Sitze vorzusehen, dass sie über die Mehrheit von einem Sitz verfügen.“ Dasselbe gilt für vergleichbare Gremien wie die Fakultätsräte.

Thüringer Modell als Vorbild

Doch die Macht der Professor/-innen in den deutschen Hochschulgremien wird mehr und mehr angefochten. An der TU Berlin etwa, wo seit Jahren über eine Viertelparität gestritten wird, im Rahmen der Debatte wurde extra eine „AG Partizipation“ gegründet.

Und die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen verpflichtete ihre Hochschulen 2018 zu paritätischer Besetzung von Gremien – nicht zu paritätischen Stimmanteilen, die das Bundesverfassungsgericht ja 1973 bei bestimmten Themen untersagte. Thüringens Wissenschaftsminister Wolfgang Tiefensee sah sich daraufhin mit dem Vorwurf konfrontiert, Symbolpolitik zu machen. Und eine Gruppe von Professor/-innen verklagten den Freistaat.

Auch der Thüringer Verband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hatte sich für diese bemerkenswerte Änderung starkgemacht. „Ohne das Engagement und die Leistungen der Mitarbeiter*innen und der Studierenden, die sehr wohl Ideen haben, was ‚ihre‘ Hochschule vorwärtsbringt, werden die Hochschullehrer*innen ‚ihre‘ Hochschule nicht allein gestalten und erhalten“, heißt es vonseiten der GEW.

Die paritätische Besetzung – und je nach Thema paritätische Abstimmung in den Hochschulgremien – sei keine Bedrohung des Systems Hochschule, sondern eine Bereicherung.

In der Praxis funktioniert das Thüringer Modell wie folgt: Im Senat sitzen aus jeder Statusgruppe gleich viele stimmberechtigte Mitglieder. Stehen Entscheidungen in Angelegenheiten an, die die Lehre – mit Ausnahme der Bewertung der Lehre –, die Forschung, künstlerische Entwicklungsvorhaben oder die Berufung von Professor/-innen unmittelbar betreffen, werden zusätzliche Hochschullehrer/-innen ins Gremium berufen, um das Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1973 zu achten.

Diese Praxis wollen Grüne und Linke für Sachsen auch, die SPD ist laut ihrer bildungspolitischen Sprecherin Sabine Friedel „grundsätzlich offen“ für paritätisch zusammengesetzte Hochschulgremien.

Auch die Konferenz Sächsischer Studierendenschaften (KSS) als höchste Vertretung der Studierenden in Sachsen spricht sich seit Jahren für eine Viertel- beziehungsweise Drittelparität in Hochschulgremien aus. Im Rahmen ihrer Kampagne „Revolution Studium“ brachte die KSS das Thema paritätische Gremienbesetzung in den vergangenen Monaten in mehreren Podiumsdiskussionen zur Sprache.

Viele der Forderungen der KSS drehen sich um studentische Mitbestimmung. Die Argumentation: Studierende stellen mit Abstand die größte Statusgruppe an den Hochschulen dar, deshalb sollten sie entsprechend in den Hochschulgremien repräsentiert sein und Interessensvertreter/-innen auf den verschiedenen Organisationsebenen innerhalb der Hochschulen haben.

Trotz der teils lauten Forderungen von Studierenden, Opposition und Koalitionspartnern konnte die CDU konnte die Umsetzung der paritätischen Gremienbesetzung erfolgreich unterbinden.

CDU will professorale Mehrheit in Hochschulgremien beibehalten

Der CDU-Landtagsabgeordnete Oliver Fritzsche verwies während einer von der KSS organisierten Podiumsdiskussion am 22. November beim Thema studentische Mitbestimmung ebenso wie Norbert Busch-Fahrinkrug aus dem CDU-geführten Ministerium auf die vielen Möglichkeiten studentischer Mitbestimmung, die es bereits jetzt in Sachsen gebe.

Auf LZ-Nachfrage, welche er damit meine, nennt Fritzsche die Beteiligung an öffentlichen Sachverständigenanhörungen im Landtag und die Möglichkeit, Stellungnahmen abzugeben – wie es die KSS zum Entwurf des neuen Hochschulgesetzes umfangreich getan hat. Außerdem „haben sich die Möglichkeiten der Vernetzung durch Internet und Digitalisierung stark verbreitert“.

Fritzsche sieht den Status Quo der professoralen Stimm- und Sitzmehrheit in den Gremien gerechtfertigt, da sich diese Praxis an den sächsischen Hochschulen „grundsätzlich bewährt“ habe. Aus seiner Sicht besteht keine Notwendigkeit, die Forderung der KSS umzusetzen.

Das Thüringer Modell hält der CDU-Abgeordnete für keine gute Idee, da diese Option mit umfangreichen Diskussionen darüber einhergehen würde, was denn unmittelbare Fragen der Forschung und Lehre sind.

„Man könnte sagen, die größte Gruppe an den Hochschulen sollte am meisten zu sagen haben, man könnte es aber auch umdrehen und sagen: Die Gruppe, die am längsten an den Hochschulen verweilt – und das ist die professorale Mehrheit – muss überspitzt gesagt das letzte Wort haben“, so Fritzsche. Vor allem, wenn es um die Lehre gehe.

Studentenwerk Leipzig praktiziert paritätisches Stimmrecht

Ein interessantes Beispiel für ungewöhnlich hohe studentische Entscheidungsgewalt in Sachsen ist der Verwaltungsrat des Leipziger Studentenwerks. Die Hälfte seiner stimmberechtigten Mitglieder sind Studierende, so sieht es die Ordnung des Studentenwerks vor. Die andere Hälfte besteht aus Vertreter/-innen von Universitäts- und HTWK-Leitung, Stadtverwaltung und Wirtschaft.

„Wir machen sehr, sehr gute Erfahrungen mit der Zusammenarbeit mit den Studierenden auf Augenhöhe“, berichtete Andrea Diekhof, die Geschäftsführerin des Leipziger Studentenwerks, auf einer Podiumsdiskussion zum Hochschulgesetz Mitte Oktober. Die von den Studierendenvertretungen entsandten Studierenden, die im Verwaltungsrat sitzen, seien „sehr verantwortungsbewusst“.

Durch ein paritätisches Mitbestimmungsrecht würden die Studierenden bei schwierigen Entscheidungen gezwungen, konstruktiv an einer Lösung mitzuarbeiten und nicht nur eine reine Oppositionshaltung einzunehmen und alle Lösungsvorschläge abzulehnen, berichtet Diekhof aus Erfahrung. Als Beispiel nennt sie die Verhandlungen der vergangenen Monate darüber, an welchen Stellen das Studentenwerk nachregulieren muss, um auf die inflationsbedingten Preissteigerungen zu reagieren.

Den Studierenden so viel Macht zu geben, dass sie Entscheidungen tatsächlich beeinflussen können, stärke das Demokratieverständnis ungemein, so Diekhofs Plädoyer.

Dass der Gesetzesentwurf im Laufe der Verhandlungen im Landtag noch so umgeschrieben wird, dass er paritätische Gremienbesetzung enthält, ist sehr unwahrscheinlich.

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