Fragt man Pädagogen, haben sie ganz eigene Vorstellungen von Schulbauarchitektur. Im 21. Jahrhundert hat sich mittlerweile herumgesprochen, dass auch die räumliche Gestaltung einer Schule zum Lernerfolg beiträgt. Doch müssen die Träume von einer besseren, moderneren, räumlich ausgefeilteren Schule mit den finanziellen Möglichkeiten des Bauherrn in Einklang gebracht werden.
Das gilt im Jahr 2022 genauso wie um die Jahrhundertwende, als Stadtbaurat Otto Wilhelm Scharenberg in Leipzig gleich mehrere Schulen errichten ließ, unter anderem das im 2. Weltkrieg zerstörte Königin-Carola-Gymnasium. Auch die spätere Hermann-Liebmann-Oberschule gehörte dazu.
Nach über 30 Jahren Leerstand ist es gelungen, dieses Gebäude wieder ans Schulnetz zu bringen – dank der ersten Sanierung des Gebäudes überhaupt. Klaus Jestaedt, Abteilungsleiter der Abteilung Denkmalpflege im Amt für Bauordnung und Denkmalpflege, gibt Einblicke in die Sanierung.
Herr Jestaedt, in welchem Zustand hat sich das Gebäude äußerlich und im Inneren befunden?
Das Gebäude hat seit der Wende leergestanden und war ein ziemlicher Problemfall, vor dem Hintergrund der sinkenden Schülerzahlen in den 90er Jahren und danach. Zwischendurch stand auch ein Abriss im Raum, gegen den sich der Denkmalschutz immer gewehrt hat. Die Grundbausubstanz war gut, sonst hätte man das Gebäude auch nicht sanieren können.
Über die Jahre gab es allerdings Schäden durch Vandalismus, Schäden an der Dachhaut und an den Fenstern. Das Schulgebäude war zu dem Zeitpunkt circa 100 Jahre alt und hat zudem seit der Erbauung im Jahr 1907 keine grundlegende Sanierung erfahren. Der bauliche Zustand war daher nicht sonderlich toll, aber erhaltenswert.
Die Sanierung begann im März 2019. Was galt es aus Denkmalschutz-Sicht zu beachten?
Wir freuen uns immer über Nutzungskontinuitäten, dass also eine Schule auch eine Schule bleiben darf. Die neue Nutzung als Quartiersschule ist toll. Uns war die Rekonstruktion des Schieferdachs wichtig, was nun wieder existiert. Die zwei Türme, die 1945 aufgrund von Bombenschäden abgetragen werden mussten, wurden wieder aufgebaut.
Wir haben denkmalschutzgerechte Fenster und einen sehr kräftigen Putz, fast in Kieselsteingröße, im Erdgeschossbereich. Diesen anzutragen war nicht einfach, denn 1907 war die Anbringung dieser Art Putz eine gängige Handwerkspraxis. Heutzutage können das Putzfirmen nur unter großem Aufwand schaffen.
Wie bei jeder Baustelle haben wir restauratorische Voruntersuchungen erstellen lassen, die die ursprüngliche Farbigkeit der Fenster, der Fassade und der Flurbereiche ermittelt hat. Dabei ist nicht alles, aber einiges gefunden und zu Teilen wiederhergestellt worden, wenn auch in vereinfachter Form.
In den Haupttreppenhäusern sind die Scheingewölbe aus Rabitz wieder freigelegt worden, die zwischenzeitlich nicht mehr zu sehen waren. Allerdings mussten wir auch die zeitgemäßen, hohen Auflagen für Sicherheit und Brandschutz beachten, das heißt, die Türen wurden ganz überwiegend ausgetauscht.
Wie groß war der Rekonstruktionsaufwand im Vergleich zu anderen Leipziger Schulen?
Ich würde sagen, das kommt auf die Art der Schule an. Im Vergleich zu anderen Altbau-Schulen liegt er im mittleren Schnitt der Aufwendungen. Wir hatten hier einen mittleren bis erhöhten Instandsetzungsaufwand.
Was macht das Schulgebäude architektonisch besonders?
Erstens ist es mit einem prominenten Namen verbunden: dem damaligen Stadtbauherr Otto Wilhelm Scharenberg. Außerdem ist es eine große Architektur an einem Platz und die dadurch zu erkennende, städtebauliche Bedeutung wurde durch das hohe Satteldach aus Schiefer noch unterstrichen. Ansonsten ist es eine relativ klassische, gründerzeitliche Schule mit relativ aufwendiger Fassadengestaltung und – abgesehen von den Treppenhäusern – schlichter Innengestaltung.
Schulen mussten zwischen 1890 und dem 1. Weltkrieg sehr schnell gebaut werden, um dem auch damals hohen Bedarf an Schulplätzen gerecht zu werden. Die Stadt Leipzig hatte auch damals schon nicht so viel Geld, um aufwendig Schulen zu errichten. Insgesamt gibt die Schule einen guten Einblick in die Schulbau-Architektur um 1900 in Leipzig.
Bei aller Freude über den Erhalt: Konnten Elemente nicht mehr gerettet werden?
Wie gesagt, mussten wir die Türen überwiegend austauschen. Türen müssen heute andere Anforderungen an Akustik, Brandschutz und so weiter erfüllen. Die Böden wurden aus den gleichen Gründen ausgetauscht. Die alten Böden schwingen anders, haben andere Schallfrequenzen, als es heute möglich ist. Die Fliesen in den Flurbereichen mussten wegen ihres schlechten baulichen Zustands ausgetauscht werden.
Inwieweit konnte dem Konflikt zwischen den Anforderungen an Schule vor 120 Jahren und heute sowie dem Denkmalschutzaspekt bei der Sanierung Rechnung getragen werden?
Unsere Anforderungen an den Schulbetrieb sind leider oder zum Glück deutlich andere als vor 120 Jahren. Wir haben die Veränderungen nicht vorgenommen, weil wir wollten, sondern weil es um die Einhaltung der Schulbau-Richtlinien geht. Es ist immer noch derselbe Grundriss wie vor 115 Jahren. Es handelt sich um eine Mittelflurerschließung mit einem relativ großen Flurbereich, mit den Treppenhäusern und Geländeformen wie 1907. Die Klassenräume wurden dagegen relativ frei gestaltet.
Unterm Strich ist es für uns als Denkmalschutz eine große Freude, dass die Schule trotz drei Jahrzehnten mangelhafter Nutzung wiedergewonnen werden konnte. Deswegen haben wir zum Tag des offenen Denkmals auch eine Begehung angeboten. Wir sind stolz. Wir haben gut mit den Kollegen vom Amt für Gebäudemanagement zusammengearbeitet und sind froh, dass die Schule so aussieht, wie es jetzt aussieht.
„Alle unter einem Dach (II): Wir sind froh, dass sie jetzt so aussieht!“ erschien erstmals am 16. Dezember 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 109 der LZ finden Sie neben Großmärkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehändlern.
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