Nicht nur die Klasse 4b der Schule am Auensee steht zurzeit ohne Lehrer da. An der Oberschule in Delitzsch sind dieses Schuljahr schon rund 300 Unterrichtsstunden ausgefallen. Eine Besserung ist allenfalls mittelfristig in Sicht. Sachsen hat die vergangenen 20 Jahre bei der Entwicklung des Lehrermarkts auf die falsche Fährte gesetzt. Roman Schulz, Pressesprecher des Landesamts für Schule und Bildung über die Klasse 4b und die Lehrer-Versorgungslage im Freistaat.
Herr Schulz, wie lautet die Sicht des Landesamts auf die Situation der 4b?
Wir haben in diesem Jahr durchaus Probleme mit der Unterrichtsversorgung im Freistaat Sachsen. Das liegt daran, dass wir im Sommer unser Einstellungsziel nicht erreicht haben, und zwar nicht, weil wir nicht wollten oder lieber sparen wollten, sondern weil uns Köpfe, also Menschen fehlen.
Statt der avisierten 1.500 haben wir nur 1.000 Lehrer einstellen können. Dazu kommt, dass wir um die 160 Kollegen in Sachsen haben, die krankheitsbedingt Unterrichtsverbot haben und 560 schwangere Lehrerinnen, wobei das kein Vorwurf ist: Wir sind alle sind froh, dass Menschen Kinder bekommen. Unterrichtsvertretungen sind an vielen Standorten nicht möglich, da die Personaldeckungen nicht mehr da sind. Das heißt, ist ein Kollege abwesend, schlägt das sofort mit Ausfall zu Buche.
Leipzig galt vor ein paar Jahren noch als der Ort, der sich die wenigsten Sorgen um den Lehrernachwuchs machen musste …
Ja, das trifft mittlerweile nicht bloß auf die Regionen Erzgebirge, Bautzen, Chemnitz, Nordsachsen oder die Lausitz zu, wo fast niemand hin möchte. Auch die Städte sind an der Grenze. Grundschulen haben kleine Kollegien mit zehn bis zwölf Lehren. Wenn dann zwei, drei von ihnen ausfallen, wird es schwer, den Unterricht abzudecken.
Die Eltern der 4b fordern gemeinsam mit der Schulleiterin eine Lösung. Wie kann diese unter diesen Umständen aussehen?
Es ist uns im September gelungen, auf Unterrichtsvertretungsbasis zwei halbe Stellen zu besetzen. Das sind Vertretungen aus dem studentischen Bereich, denen können und wollen wir aber natürlich keine Klasse anvertrauen. Es soll aber ab 1. November eine Lehrkraft aus dem Erziehungsurlaub zurückkommen.
Ihren Worten ist zu entnehmen, dass diese Klasse und Schule nicht die einzige mit Problemen ist …
Wir haben auch Schulen in anderen Gegenden, die Probleme haben. Die Oberschule Delitzsch hat seit Schuljahresbeginn fast 300 Ausfallstunden. Das liegt aber nicht daran, dass das Landesamt zu doof für das Personalmanagement ist. Der Lehrermarkt ist deutschlandweit leer. Seriöse Quellen gehen von 40.000 Lehrer aus, die fehlen. Pessimistischere Quellen sagen, es sind mehr.
Wie kann das sein?
Das ist ein Ergebnis unserer Einstellungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Wenn ich daran denke, was wir in den 00er Jahren und 10er Jahren nicht eingestellt und nicht genommen haben … Das fällt uns nun auf die Füße. Seit 2014/15 bilden die Universitäten noch stärker Lehrer aus. 2.600/2.700 Schüler schreiben sich in so ein Studium ein. 18 Prozent aller Abiturienten in Sachsen studieren Lehramt. Da geht nicht mehr.
Reicht das nicht?
Man muss bedenken, dass nicht alle die Fächer studieren, die gebraucht werden. Uns fehlen vor allem Naturwissenschaften. Dazu kommt, dass die jungen Menschen nicht mehr bereit sind, für ein paar Jahre in ländliche Region zugehen. Die individuelle Freiheit ist höher als der Drang, diesem Bedarf nachzukommen. Die Leute wollen nicht mehr aus den Städten raus.
Daher fehlt es überwiegend in den erwähnten Regionen Lausitz, Erzgebirge, Chemnitz, Nordsachsen. Wenn wir Bewerbern sagen, es gibt einen Platz für sie an einer Schule zwischen Eilenburg und Torgau, dann schauen sie so, als ob sie ans Ende der Welt müssten.
Wie lange wird dieser Mangel noch die Schulen vor Probleme stellen?
Gerade kommt eine richtig ungesunde Melange zusammen. Kultusminister Piwarz geht davon aus, dass es die nächsten zwei, drei Jahre nicht viel besser wird. In dieser Zeit ist mit einer Unterdeckung zu rechnen. Eine 100-prozentige Absicherung des Unterrichts kann so nicht funktionieren. Wenn alles gutgeht, wird es bis 2030 besser, so Piwarz – wenn alles funktioniert.
Es kommt vor allem darauf an, den Effekt der alternden Lehrerzimmer zu egalisieren …
In den nächsten Jahren werden wir solche Altersabgänge haben, dass diese durch das, was in den Universitäten nachwächst, nur teilweise gedeckt sein werden. Wir sprechen mit vielen Menschen, die ab 63 in Teilzeit gehen, dass sie statt acht Stunden Teilzeit weniger Teilzeit machen.
Sachsen setzt seit 2015 auf Quereinsteiger und seit 2019 auf die Verbeamtung. Inwieweit sind diese Maßnahmen ein Teil der Lösung?
Wir stellen jedes Jahr zweimal Quereinsteiger ein, am 01.11. und am 01.05. Dann absolvieren diese eine vierteljährliche Einstiegsqualifikation und sind dann zu den Einstellungskorridoren in August und Februar einsatzbereit. Jedes Jahr sind das 150 bis 200 pro Einstellungszeitraum. Aber: Auch hier wird der Markt immer schwieriger, denn es gibt kein unerschöpfliches Reservoir an diesen Kandidaten.
Diese Fälle gab es vor allem 2015 bis 2017, als studierte Akademiker die Gelegenheit nutzen wollten, wirtschaftliche Sicherheit zu erlangen. Dazu kommt auch hier: Wir brauchen Seiteneinsteiger in den Naturwissenschaften und modernen Fremdsprachen, da gibt es aber mittlerweile auch wieder Bedarf in der Wirtschaft, im Handwerke, in der Technik …
Die Verbeamtung hat die Abwanderung gestoppt, aber davon sind die Menschen nicht mehr geworden. Wir haben damit lediglich einen negativen Trend gestoppt, nämlich dass Menschen an den Grenzen zu anderen Bundesländern nicht mehr zwangsläufig abwandern. Zusätzlich kommen pro Jahr 40 bis 50 Lehrer zurück nach Sachsen. Auch die Verbeamtung ist keine Wunderwaffe.
Was könnte denn eine Lösung sein? In Lengenfeld suchen die Schüler nun selbst nach ihren Lehrern …
Lengenfeld liegt genau dort, wo es, wie erwähnt, schwer ist, Lehrer einzustellen. Die Oberschule Pausa bei Plauen hat nun folgendes gemacht: Montag bleiben die 5. Klassen zu Hause und Freitag die 6. Klassen und machen dann häusliche Lernzeit. Das gefällt den Eltern nicht, aber die Schule ist durch die erwähnten Gründe knapp mit den Lehrern.
Damit dann nicht jeden Tag was ausfällt und die Schüler dann zwei Stunden auf den Schulbus warten müssen, hat die Schulleitung entschieden, dass sie versuchen, den Ausfall auf einen Tag zu konzentrieren. Das ist eine gute Lösung in einer schlechten Situation. Aber mehr nicht.
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