Sachsens Regierung will das Hochschulgesetz โ wie 2019 im Koalitionsvertrag versprochen โ novellieren, ein studentisches Bรผndnis will es revolutionieren. Im Juli wurde der erste Entwurf fรผr das รnderungsgesetz zur Anhรถrung freigegeben, die Konferenz Sรคchsischer Studierendenschaften verรถffentlichte daraufhin eine 80-seitige Stellungnahme mit weitreichenden Forderungen.
Sachsens Hochschulgesetz ist aus der Zeit gefallen
Sie fordern nicht weniger als eine Revolution: Sachsens Studierendenvertretungen haben sich zu Beginn des Wintersemesters mit den Gewerkschaften und Jugendorganisationen von Grรผnen, Linken und SPD zusammengeschlossen, um den aktuellen Entwurf fรผr die Novellierung des Sรคchsischen Hochschulgesetzes in die รถffentliche Debatte einzubringen. Ihre Kampagne trรคgt den kรคmpferischen Titel โRevolution Studium โ Hochschulen denen, die darin lernenโ.
Sachsens Hochschulgesetz gilt seit langem als veraltet. Das sรคchsische Kabinett versprach in seinem Koalitionsvertrag 2019 eine Gesetzesnovelle, deren erster Entwurf seit Ende Juli vorliegt. Wissenschaftsminister Sebastian Gemkow (CDU) spricht von einer โumfassenden Novelleโ, die das sรคchsische Hochschulrecht โfรผr die Anforderungen einer herausragenden Wissenschafts- und Hochschullandschaft bestmรถglich aufstellenโ soll.
Unter anderem soll der akademische Mittelbau gestรคrkt werden โ also diejenigen Hochschulangestellten, die den Groรteil der Lehre abdecken, beispielsweise wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen und Promovierende. Der Entwurf sieht die Einfรผhrung einer neuen Personalkategorie vor, sogenannte Lektor/-innen.
Sie sollen im Unterschied zu wissenschaftlichen Mitarbeiter/-innen, die weisungsgebunden gegenรผber der fachlichen Leitung ihres Bereichs sind, selbststรคndig forschen und lehren. Das dรผrfen bisher nur Professor/-innen. So will die Regierung neue akademische Karrierewege neben der Professur erรถffnen. Weiterhin strebt der Entwurf eine Interessenvertretung fรผr Promovierende und die Einfรผhrung sogenannter Wissenschaftsmanager/-innen fรผr den besseren Wissenschaftstransfer an.
Wofรผr ist eine Uni da?
Das Bรผndnis aus Studierendenvertretungen, allen voran die Konferenz Sรคchsischer Studierendenschaften (KSS), begrรผรt einzelne Anpassungen des vorgelegten Entwurfs. Einige Forderungen der KSS aus den vergangenen Jahren sind sogar fast im Originalwortlaut in der Novelle zu finden, beispielsweise beim Thema Nachhaltigkeit.
โNichtsdestotrotz klaffen noch immer groรe Lรผcken zwischen dem, was wir seit Jahren fordern, und dem, was beschlossen werden sollโ, sagte Nina Heinke bei einer Kundgebung des Bรผndnisses am 17. Oktober an der Universitรคt Leipzig. Sie sitzt im studentischen Landesausschuss der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW).
Der Entwurf zeige, dass es grundlegend verschiedene Verstรคndnisse von der gesellschaftlichen Rolle einer Hochschule gebe. Mehr und mehr nehme die Ansicht zu, dass es die primรคre Aufgabe der Hochschulen sei, Studierende auf ihren Berufsweg vorzubereiten, quasi als direkte Nachfolge der Schule. Fachliche Ausbildung sei richtig und wichtig, so Heinke, doch es sei mindestens ebenso wichtig, dass es an den Hochschulen gute Rahmenbedingungen fรผr das gebe, was in der Pรคdagogik als โMรผndigkeitserziehungโ bezeichnet wird.
Eine der zentralen Aufgaben einer Universitรคt solle es sein, die Persรถnlichkeitsentwicklung, das Demokratieverstรคndnis und die Neugier der Studierenden zu fรถrdern. Diese Pflicht habe eine Hochschule als grรถรtenteils gesellschaftlich getragene Institution.
Es geht beim Protest also nicht nur um neue Personalkategorien oder die Handhabung von Arbeitsunfรคhigkeitsbescheinigungen bei Prรผfungen, sondern ums groรe Ganze, wie so oft, und alles hรคngt mit allem zusammen. Das erklรคrte Felix Fink auf einer vom Bรผndnis organisierten Podiumsdiskussion am 14. Oktober an der Universitรคt Leipzig sehr anschaulich.
Fink ist Referent fรผr Hochschulpolitik bei der KSS und Beauftragter fรผr studentische Angelegenheiten des Stura der Uni Leipzig โ ein Amt, das 2019 auf Drรคngen des Stura eingefรผhrt wurde, um die Kommunikation zwischen Rektorat und studentischer Selbstverwaltung zu verbessern. Fink ist seit vielen Jahren Sprachrohr der Studierenden und kennt das sรคchsische Hochschulsystem so gut wie wenig andere Studierende.
Prekรคre Arbeitsbedingungen
Als Beispiel fรผr die akuten systemischen Probleme der Hochschulen nannte Fink den flรคchendeckenden Einsatz sogenannter Lehrkrรคfte fรผr besondere Aufgaben (LfbA). Sie sollen den Studierenden laut Hochschulgesetz praktische Fertigkeiten und Kenntnisse vermitteln, sind aber ausdrรผcklich nur fรผr Lehrinhalte zustรคndig, โdie nicht die Qualifikation eines Hochschullehrers erfordertโ, beispielsweise fรผr รbungen. Forschen sollen sie nicht.
Fรผr die forschungsbasierte Lehre, die klassische Fachseminare umfasst, sind wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen zustรคndig. In den letzten Jahren wurden an der Universitรคt Leipzig vermehrt LfbA eingesetzt, zum Beispiel an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultรคt. Einige Lehrende, die frรผher als wissenschaftliche Mitarbeiter/-innen angestellt waren, setzen ihre Arbeit heute genauso fort, nur unter einer anderen Personalkategorie โ und mit deutlich hรถheren Lehrdeputaten.
In der Praxis kรถnne das bedeuten, dass ein Dozent, der frรผher fรผr vier Seminare zu unterschiedlichen Themen zustรคndig war, heute zehn Seminare zu einem Thema gibt, rechnete Felix Fink vor. Das bedeutet, dass er am Ende des Semesters rund 300 Prรผfungsleistungen abnehmen muss. โWenn diese Prรผfungsleistungen Hausarbeiten wรคren, mรผsste der Dozent in den Semesterferien 300 Arbeiten lesenโ, so Fink. โIch bezweifle, dass er die alle lesen kรถnnte, geschweige denn betreuen.โ
Die Konsequenz kรถnne sein, dass Hausarbeiten durch Online-Multiple-Choice-Prรผfungen ersetzt werden. So werden Studiengรคnge automatisiert, Dozierende und Studierende entfremden sich voneinander, auf individuelle Interessen und Bedรผrfnisse von studentischer Seite kรถnnen Lehrkrรคfte kaum eingehen. Welche Auswirkungen die prekรคren Arbeitsbedingungen der Dozierenden auf die Qualitรคt der Lehre und somit des Studiums haben kann, wird hier deutlich.
Bรผndnis fordert paritรคtisches Stimmrecht in Hochschulgremien
Wie also wรผrde die Gesetzesnovelle aussehen, hรคtte sie das Studierendenbรผndnis erarbeitet? Die KSS hat auf einer 80-seitigen Stellungnahme zum Entwurf ausgefรผhrt, wo sie Verbesserungsbedarf sieht. Der abnehmenden Qualitรคt der Lehre will das Bรผndnis mit deutlich mehr entfristeten Arbeitsvertrรคgen entgegentreten. Aktuell haben 85 Prozent der Angestellten im akademischen Mittelbau einen befristeten Vertrag, 25 Prozent sind gar fรผr ein Jahr oder kรผrzer angestellt.
Bezรผglich der Lernbedingungen fordert das Bรผndnis eine unbegrenzte Anzahl an Prรผfungsversuchen, um den psychischen Druck zu verringern. In der Regel haben Studierende drei Versuche, um eine Prรผfung zu bestehen. Die Corona-Ausnahmeregelung habe gezeigt, dass die meisten Studierenden die sogenannten Freiversuche gar nicht wahrgenommen haben, berichtete Dr. Mathias Kuhnt auf der Podiumsdiskussion am 14. Oktober. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum fรผr sozialwissenschaftliche Methoden der TU Dresden und Sprecher der Landesvertretung des akademischen Mittelbaus.
Darรผber hinaus will das Bรผndnis das Mitbestimmungsrecht in den akademischen Gremien grundlegend verรคndern. Seit Jahren fordern KSS und GEW ein paritรคtisches Stimmverhรคltnis in den wichtigen Hochschulgremien, beispielsweise in den Fakultรคtsrรคten und im Senat. An der Universitรคt Leipzig beispielsweise wird eine Viertelparitรคt gefordert, da es vier Mitgliedergruppen gibt: Professor/-innen, wissenschaftlich Beschรคftigte, Verwaltungsangestellte und Studierende. Aktuell sind die wichtigen Gremien โ wie in allen sรคchsischen Hochschulen โ zur Hรคlfte mit Professor/-innen besetzt, obwohl sie die mit Abstand kleinste Gruppe an den Hochschulen bilden.
An der Leipziger Hochschule fรผr Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) sieht es nicht anders aus. Studierende machen hier 91 Prozent der Hochschulangehรถrigen aus, stellen aber nur 23 Prozent der Senatsmitglieder. Im Senat sitzen drei Mitgliedergruppen (Professor/-innen, weiteres Hochschulpersonal und Studierende), deswegen wird hier eine Drittelparitรคt gefordert. Professor/-innen machen an der HTWK momentan 54 Prozent der Senatsmitglieder aus, das weitere Hochschulpersonal stellt โ wie auch die Gruppe der Studierenden โ 23 Prozent.
Auf der Kundgebung am 17. Oktober veranschaulichte Michel Manthey vom HTWK-Stura die existierenden Machtverhรคltnisse an der Hochschule. โDas Rektorat besteht aus einer Handvoll Profs, die hinter verschlossenen Tรผren ihre Sitzungen abhalten, und die den ein oder anderen Leitfaden nach viel Kritik im Senat auch einfach mal so beschlieรen kรถnnten.โ
Die รผberproportionale Entscheidungsmacht der Professor/-innen wirke sich auch auf die Demokratie an der Universitรคt aus, kritisierte Felix Fink bei der Podiumsdiskussion am 14. Oktober. Professor/-innen kรถnnten jeden Antrag ablehnen, ohne um das bessere Argument ringen zu mรผssen. Sie stimmten selten unterschiedlich ab. Die meisten inhaltlichen Antrรคge wรผrden von Studierenden eingebracht.
โSo wird das Vorankommen der Hochschule gehemmt.โ Die demokratische Beteiligung an der Universitรคt wรผrde das Bรผndnis auรerdem mit einem studentischen Prorektorat, mit รถffentlichen Rektoratssitzungen und รถffentlich einsehbaren Protokollen erhรถhen.
Podiumsdiskussion mit Gemkow im November
Weiterhin fordert das Bรผndnis, Studierende besser vor Diskriminierung zu bewahren. Bisher ist der Diskriminierungsschutz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz in Sachsen lediglich fรผr Hochschulbeschรคftigte rechtlich verankert. Eine neue Formulierung im Gesetzesentwurf beauftragt die Hochschulen zwar, dafรผr zu sorgen, dass all ihre Mitglieder und Angehรถrigen โgleichberechtigt an Forschung, Lehre, Studium und Weiterbildung teilnehmen kรถnnenโ.
Ein Diskriminierungsschutz fรผr Studierende โ wie in anderen Bundeslรคndern โ ist bisher aber nicht vorgesehen. Oft gibt es in gemeldeten Fรคllen keine Konsequenzen fรผr die mutmaรlichen Tรคter/-innen, da die Hochschulen nicht einschreiten kรถnnen, solang der Vorfall nicht strafrechtlich relevant ist.
Die Politik hat sich mit Reaktionen auf die Forderungen des Bรผndnisses bisher zurรผckgehalten. Lediglich die Linksfraktion im sรคchsischen Landtag forderte die Regierung auf, die Forderungen der Studierenden ernst zu nehmen und im Gesetzesentwurf zu verankern. Spรคtestens am 22. November wird Wissenschaftsminister Gemkow Stellung nehmen mรผssen. An diesem Tag hat ihn die KSS zu einer Podiumsdiskussion an der TU Dresden geladen.
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