Es ist im Grunde genauso wie im Gesundheitswesen: Wer die Personalprobleme im sächsischen Bildungssystem lösen will, muss die Arbeitsbedingungen verbessern. Mit mehr Geld oder Verbeamtung löst man die Probleme nicht. Im Gegenteil: Man tut so, als ginge es im Lehrerberuf nur ums Geld und nicht um eine attraktive Berufswahl. Doch alle „Reformen“ haben nichts geändert: Sachsen startet wieder mit zu wenig Lehrer/-innen ins neue Schuljahr.
Und dass er es weiß, deutete Kultusminister Christian Piwarz (CDU) ja schon vor dem Ferienbeginn an, als er sagte: „Ich hätte mir durchaus mehr Lehrerstellen vorstellen können. Aber damit ist zumindest gewährleistet, dass keine Einstellung einer Lehrerin oder eines Lehrers an einer fehlenden Stelle scheitern wird.“
Am Geld liegt es nicht, anders als noch vor zehn Jahren, als die Landesregierung noch glaubte, auch beim Lehrpersonal sparen zu können. Doch diese Denkweise in den Kategorien von Investition und Sparen hat sich festgefressen. Auch weil Sachsens Bildungsminister geradezu vernarrt sind in diverse INSM-Bildungsmonitore, die den Kultusministern einreden, es ginge im Bildungssystem um Effizienz und nicht um die Freude am Lernen.
Geht es Lehrern nur ums Geld?
Also glaubt auch Piwarz, dass man nur genug Lehrerstellen finanzieren muss, dann löse sich das Personalproblem auch. Im neuen Doppelhaushalt wird dafür genug Geld bereitgestellt, meldete das Kultusministerium am 16. Juni: „Dem Haushaltsentwurf zufolge können in den kommenden zwei Jahren zusätzlich 730 Lehrerinnen und Lehrer eingestellt worden. Die geplanten Lehrerstellen steigen von 31.000 auf 31.420 im Jahr 2023 und 31.730 im Jahr 2024.“
Doch längst werben auch alle andere Bundesländer mit Geld um die jungen Lehramtsabsolventen. Aber kein einziges damit, dass es die Lehrpläne entrümpelt und den Lehrerinnen und Lehrern wieder Zeit verschafft, mit den Schülerinnen und Schülern wirklich die Freude an Bildung zu erleben.
Das am Montag, dem 29. August beginnende Schuljahr 2022/23 wird jedenfalls wiederholt allen Beteiligten gewaltige Kraftanstrengungen abverlangen und für viel Frust und Resignation sorgen, befürchtet die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Sachsen.
Jede zehnte Lehrkraft fehlt
Denn der Freistaat ist weiterhin personell für das kommende Schuljahr außerordentlich schlecht aufgestellt und bleibt weit hinter den Minimal-Anforderungen zurück. Derzeit fehlt nach Berechnungen der GEW Sachsen jede zehnte Lehrkraft an öffentlichen Schulen. Trotz deutlich steigender Schülerzahlen gelinge es nicht einmal, die altersbedingt ausscheidenden Lehrkräfte zu ersetzen. Einschnitte bei den Lerninhalten und Unterrichtsausfall seien unvermeidlich.
„Negative Folgen für die Bildungschancen von Kindern und Jugendlichen sind unvermeidlich. Für Lehrerinnen und Lehrer droht eine weitere Arbeitsverdichtung. Trotzdem fehlen bisher wirksame Vorschläge des Kultusministeriums zur Behebung des akuten und perspektivischen Personalmangels“, kommentiert Uschi Kruse, Landesvorsitzende der Bildungsgewerkschaft in Sachsen, diesen Dauerzustand.
„Mehr noch: Der Stellenplan im Entwurf des Kultushaushaltes macht deutlich, dass man sich auf eine Fortsetzung des Mangels einstellt.“
Die GEW Sachsen wolle dem nicht tatenlos zusehen. Die Gewerkschaft sieht Lösungen vor allem in einem neuen wirksamen Programm, das bereits bei der Lehrkräfteausbildung beginnt, ein echtes Personalentwicklungskonzept beinhaltet und endlich eine tatsächliche und nachhaltige Entlastung der Lehrkräfte bewirkt.
Wenn die Zeit für den Schulstoff fehlt
Auch die GEW sieht das Problem im völlig verkorksten Zeitmanagement. Statt den Lehrerinnen und Lehrern Zeit zu geben, mit den Kindern das Lernen zu erleben, sind sie allesamt in das Hamsterrad eines völlig überfrachteten Lehrplans eingesperrt.
„Den Schulen fehlt die Zeit an allen Ecken und Enden: Zeit für individuelle Förderung, Zeit für Klassenleitung, Zeit für Digitalisierung, Zeit für Zusatzaufgaben, Zeit für Schulleitung und Zeit für die Koordinierung multiprofessioneller Teams“, stellt Kruse fest. „Das ist besonders problematisch in einem Jahr der Unsicherheiten durch die Folgen des Angriffs auf die Ukraine, der einhergehenden Energiekrise und der Corona-Pandemie.“
Und auch Luise Neuhaus-Wartenberg, Sprecherin der Linksfraktion im Landtag für Bildungspolitik, attestiert Sachsens Bildungspolitik eine völlige Fehljustierung zum Schuljahresstart: „Die bisherigen Maßnahmen, um den Mangel an Lehrkräften zu stoppen, sind nicht erfolgreich genug. Von flächendeckender Schulsozialarbeit sind unsere Schulen weit entfernt. Wenn junge Lehramtsstudierende während ihrer Schulpraktika von einem Realitätsschock berichten, lässt das tief in unser Schulsystem blicken.
Unsere Lehrkräfte sollen gestalten können und nicht durch ein zu straffes Lehrplankorsett abgeschreckt werden. Ein migrationsfreundliches Sachsen muss allen potenziellen Lehrkräften, auch jenen aus dem Ausland, eine langfristige Perspektive mit guten Arbeitsbedingungen anbieten.“
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