Eigentlich stand der „Bildungsreport Leipzig 2021“ nur zur Information auf der Tagesordnung der Ratsversammlung am 19. Mai. Er muss auch nicht abgestimmt werden, denn jedes Jahr legt das Dezernat Jugend, Schule und Demokratie einen neuen vor: 250 Seiten dick, sehr detailliert. Gerade die Details machen sichtbar, wo es klemmt und hapert. Diesmal war es Anlass für SPD-Stadtrat Andreas Geisler, eine kleine Brandrede zu halten.
Denn eigentlich muss das in Leipzig nicht mehr diskutiert werden. Es war ja sogar mal einer der Anlässe, diesen jährlichen Bildungsreport zu erstellen – weil nämlich 10 und mehr Prozent Schulabgänger/-innen ohne Hauptschulabschluss schlichtweg inakzeptabel und auch nicht zu begreifen sind in einem Land, in dem permanent über die Ressource Bildung diskutiert wird. Aber wo klemmt es tatsächlich?
Und warum ändert sich an den Zahlen so wenig? Auch 2021 verließen 9,4 Prozent der Leipziger Schulabgänger/-innen die Schule ohne qualifizierten Abschluss. Sie haben auf dem Arbeitsmarkt grottenschlechte Aussichten, werden kaum gut bezahlte Arbeitsplätze finden und damit ein Leben lang unter einem richtig miesen Start ins Leben leiden.
Und dass das nicht erst in den höheren Jahrgängen seine Ursachen hat, weiß man nur zu gut. Die wichtigsten Weichen werden schon bei Schuleintritt gestellt. Kinder, die hier schon mit Handicaps starten, holen den Rückstand zu ihren Altersgefährten fast nicht mehr auf.
Denn in der Schule geht es immer ums Sprechen und Verstehen. Die deutsche Sprache ist die Grundlage für jeden Bildungserfolg. Und gerade Kinder aus Familien, in denen es in diesem Bereich nicht genug Unterstützung gibt, scheitern in ihrer Schulkarriere.
Im Bildungsreport kann man dazu auf Seite 105 zu Beispiel lesen: „Weiterhin waren die Unterschiede bei der Verteilung der Hauptschulabschlüsse und der Abgang ohne mindestens einen Hauptschulabschluss stark ausgeprägt; so verließen 10,5 % aller Schüler die Schule mit einem Hauptschulabschluss, bei den Schülerinnen war der Anteil mit 5,1 % weniger als halb so hoch. Ohne mindestens Hauptschulabschluss waren es 11,2 % der Schüler und nur 7,5 % der Schülerinnen.“
Das heißt: Wir haben hier ein echtes Problem von Jungen vor uns. Das in diesem Fall eng gekoppelt ist mit dem Migrationshintergrund der Kinder.
Denn hierzu heißt es: „Bei den Gymnasiastinnen und Gymnasiasten mit Migrationshintergrund gab es hinsichtlich des Schulerfolgs kaum Unterschiede zu Schüler/-innen ohne Migrationshintergrund. Anders ist die Situation an den Oberschulen zu beurteilen; hier verblieben anteilig fast doppelt so viele Abgänger/-innen mit Migrationshintergrund ohne mindestens einen Hauptschulabschluss (14,5 % zu 6,5 %).“
Und das hat eben nicht nur damit zu tun, dass es für diese Kinder nicht genug Förderung in den höheren Klassen gibt. Man muss in die Zeit vor Schuleintritt zurückblicken, betonte Geisler. Hier wäre das Thema Vorschule dringend.
Was auch nicht neu ist. Das betonte er auch. Das Thema beschäftige ihn nun seit zehn, elf Jahren – und es ändere sich nichts. Und gerade der Freistaat Sachsen, der hier in Verantwortung stehe, tue nichts. Da müsse dann wohl wieder die Stadt Leipzig aktiv werden und sich der Sache annehmen.
Denn wenn jedes Jahr allein 400 Kinder wegen auffälliger Sprachdefizite zurückgestellt würden, dann müsse das in den Kindertagesstätten angegangen werden, die hier für die Elternhäuser einspringen müssen. Es brauche gerade für dieser Kinder eine Förderung vor dem Schuleintritt, damit sie den sprachlichen Rückstand zu ihren Altersgenossen aufholen. Der beträgt oft ein bis zwei Jahre.
Und das ist – statistisch betrachtet – nun einmal ein Jungen-Problem. Im Bildungsreport heißt es auf Seite 30 dazu: „Werden die Bildungsverläufe differenziert nach den Geschlechtern der Teilnehmenden betrachtet, so fallen Disparitäten ins Auge, die sich vor allem in unterdurchschnittlichen Bildungserfolgen von Jungen ausdrücken. Jungen sind ungleich stärker von der Selektion in der Schuleingangsphase betroffen und wurden doppelt so häufig wie Mädchen von der Einschulung zurückgestellt.“
Leipzig hat zwar schon ein „Förderprogramm in Kindertageseinrichtungen in diesen Ortsteilen“, wo es „sozialräumliche Disparitäten“ gibt. Aber augenscheinlich reicht das noch nicht. Andreas Geisler jedenfalls mahnte, das Thema im Jugendhilfeausschuss aufzugreifen.
Denn wenn der Freistaat sich nicht in der Verantwortung sieht, kann nur die Stadt mit ihren Kita-Angeboten versuchen, die Chancen all der Kinder zu verbessern, die zur Schuleingangsuntersuchung auffällige Rückstände haben. Vorlesen, Sprechen, zum Mitmachen animieren, wären wichtig, so Geisler.
Gerade weil das Thema seit Jahren nicht wirklich gelöst ist, wird es Ausschüsse und Ratsversammlung wieder stärker beschäftigen. Denn keine Stadt kann es sich leisten, Kinder von vornherein aufzugeben und sie in eine Lebenskarriere hineinlaufen zu lassen, in der sie immer nur die Abgehängten und Aussortierten sein werden.
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