Eigentlich hätten wir in diesem Jahr mal keine Zeile über den neuen INSM-Bildungsmonitor geschrieben. Denn eigentlich ist alles gesagt darüber, auch über die Unfähigkeit der sächsischen Staatsregierung, diesen Monitor zu lesen und zu merken, dass er gar nicht das abbildet, was der jeweilige Kultusminister dann meint, herauslesen zu können. Aber auch Kultusminister Christian Piwarz konnte sich nicht enthalten, das technokratische Ranking für ein gutes Zeugnis für Sachsens Bildungssystem zu erklären

Denn wieder landete Sachsen auf Platz eins in diesem Punktesystem und selbst die Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) gab zu, dass sich seit 2013 eigentlich nicht wirklich viel geändert hat in diesem Ranking. Was nun einmal auch daran liegt, dass die neoliberalen Reformen schon seit Jahren umgesetzt sind und sich seither in den einzelnen Bundesländern nicht viel getan hat. Auch nicht in Sachsen.Da hat man zwar endlich wieder eine belastbare Suche nach Lehrer/-innen auf die Beine gestellt, aber am eigentlichen Auslesesystem hat sich nicht viel geändert. Und an dem ausgedünnten Schulnetz in Sachsen auch nichts. Und wer die jährlichen Bildungsempfehlungen sieht, der sieht auch, dass weiter emsig aussortiert wird und das Gymnasium nach wie vor die angestrebte Regelschule ist für alle Eltern, die ihren Kindern irgendwie Chancen im Berufsleben mitgeben wollen.

Aber Piwarz tat am Mittwoch, 18. August, dennoch wieder hocherfreut: „Dieser Erfolg ist ein Erfolg der gesamten Schulfamilie, vor allem aber unserer Lehrer und auch unserer Erzieher, die den Grundstein für das Lernen legen. Ich danke allen, die sich in Sachsen mit Leib und Seele der Bildung verschrieben haben. Dazu gehören auch die Schüler und die Elternhäuser.“

Genau das aber ist der Monitor nicht. Größere Leistungstests in den Schulen gab es in der Zeit überhaupt nicht, die letzten waren 2018. Piwarz weiß also gar nicht, ob es da irgendeine Leistungsentwicklung gab.

„Im Bildungsmonitor zeigen sich insgesamt nur noch sehr geringe Fortschritte gegenüber dem Bildungsmonitor 2013, in welchem Jahr erstmals die aktuelle Indikatorik Anwendung fand und die Ergebnisse deswegen vergleichbar sind“, schreibt die wirtschaftsnahe INSM selbst zum aktuellen Gesamtbefund.

„Die größten Rückschritte gab es bei der Schulqualität (-17,9), bei der Integration (-14,9) und bei der Reduzierung von Bildungsarmut (-3,5). Der aktuelle INSM-Bildungsmonitor bildet datenmäßig den Zeitraum 2018 bis 2020 ab und beschreibt damit die Herausforderungen bis zum Beginn der Coronakrise. Aktuellere Daten in der Breite sind nicht verfügbar.“

Und Sachsen? Der erste Platz trügt, denn natürlich bewertet die INSM in ihrem Monitor technische Voraussetzungen besonders stark. Aber genau da, wo auch die tatsächlichen Bildungserfolge einfließen, schwächelt Sachsen unübersehbar. Selbst aus Sicht der INSM.

Nehmen wir ein ganz zentrales Thema der INSM-Sicht auf Bildung: „Zeiteffizienz“. Aus INSM-Sicht sind längere Bildungskarrieren geradezu verboten. Wie kann es sein, dass Studierende in einem durchgetakteten Bachelor-Studium nicht pünktlich fertig werden und Sachsen nur auf Platz 13 landet im Ranking?

Natürlich kann das sein, wie die INSM selbst feststellt: „Das relativ schlechte Abschneiden Sachsens in diesem Handlungsfeld lässt sich auf den geringen Anteil der Studienanfänger in einem Bachelorstudiengang zurückführen. Das Durchschnittsalter der Erstabsolventen lag in Sachsen leicht höher als im Bundesdurchschnitt (Sachsen: 26,2 Jahre; Bundesdurchschnitt: 25,9 Jahre). Weiterhin lösten gemessen an der Anzahl der Neuverträge im Jahr 2019 mit 31,1 Prozent mehr Jugendliche als im Bundesdurchschnitt vorzeitig ihren Ausbildungsvertrag auf (Bundesdurchschnitt: 30 Prozent).“

Das erzählt sowohl im Fall Studium wie im Fall Berufsausbildung davon, dass da vorher etwas schiefgegangen ist und die jungen Leute einerseits erst mal das Abitur machen, auch wenn sie dann trotzdem in die Berufsausbildung gehen. Und viele landen in der Berufsausbildung mit völlig falschen Vorstellungen darüber, was sie dort erwartet.

Und natürlich hat das auch mit dem zweiten Topos zu tun, den die INSM für Sachsen als ziemlich schlecht bewertet: „Integration“.

Hier landete Sachsen nur auf Platz 11, und das will was heißen: „Bei den Tests zu den Bildungsstandards aus dem Jahr 2018 zeigte sich, dass der Einfluss des sozialen Hintergrunds der Eltern auf die Mathematikleistungen der Kinder höher ausfiel als in vielen anderen Bundesländern. Weiterhin erlangten im Jahr 2019 mit 4,9 Prozent unterdurchschnittlich viele Jugendliche mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit an beruflichen Schulen die Studienberechtigung (Bundesdurchschnitt: 6,6 Prozent). Die Studienberechtigtenquote von ausländischen Jugendlichen an allgemeinbildenden Schulen fiel mit 19 Prozent jedoch deutlich überdurchschnittlich aus (Durchschnitt: 9,2 Prozent). Weiterhin erreichten 2019 in Sachsen 20,9 Prozent der ausländischen Schulabgänger keinen Abschluss (Bundesdurchschnitt: 17,6 Prozent).“

Selbst bei allen Schulabgängern schaffen 8,5 Prozent den Abschluss nicht. Das ist Rang 10 unter den Bundesländern.

Und das in einem Bundesland mit Fachkräftemangel?

Das hat natürlich auch mit dem Topos „Betreuungsbedingungen“ zu tun. Auch hier fällt Sachsen negativ auf, nicht nur in den Kindertagesstätten. „Unterdurchschnittliche Betreuungsrelationen weist Sachsen darüber hinaus auch in den Grundschulen, in der Sekundarstufe I (ohne Gymnasien), in den beruflichen Vollzeitschulen und an den Hochschulen auf.“

Zu große Klassen, zu wenige Lehrer/-innen und damit auch fehlender Freiraum, sich mit den leistungsschwächeren Schülern zu beschäftigen.

Und das sind – wie gesagt – nur die technischen Parameter. Die INSM betrachtet Schule ja als eine Art Fließband, auf dem die Kinder ja quasi im Schnelldurchlauf die Produktionsstrecke durchlaufen sollen, um am Ende fix und fertig in die Wirtschaft einzutreten. So funktioniert Bildung aber nur im Rahmen neoliberalen Effizienzdenkens.

Und gerade Sachsen, das sich seit Jahren bemüht, den INSM-Maßstäben gerecht zu werden, zeigt sehr eindrücklich, dass das nicht funktioniert. Dass so ein System sogar regelrecht Bildungsverlierer produziert, und das sind eben nicht nur die Kinder mit Migrationshintergrund, die ohne Abschluss bleiben. Das geht nicht mit einem normierten Schulsystem.

Und selbst die INSM empfiehlt da auf einmal etwas, was eigentlich gar nicht vorgesehen ist in diesem Effizienz-System: „Auf Basis von Vergleichsarbeiten sollten gezielte Förderprogramme zur Schließung der Lernlücken umgesetzt werden. Dazu ist eine hochwertige Förderinfrastruktur an Schulen zur nachhaltigen Verbesserung der Bildungschancen weiter aufzubauen (Ganztagsschulen, multiprofessionelle Teams) und die Digitalisierung der Schulen weiter voranzubringen.“

Multiprofessionelle Teams?

Da sind wir mal gespannt, wann Sachsen so etwas umsetzt. Denn bislang sonnte man sich ja lieber im Glanz des ersten Platzes, statt die im Text versteckten Mahnungen selbst dieser INSM ernst zu nehmen.

So richtig hat Piwarz die Empfehlung auch nicht verstanden. Am 18. August sagte er: „Wir haben gezielte Förderprogramme zum Schließen der Lernlücken aufgebaut, die zum Teil in den Sommerferien begonnen haben und vor allem jetzt im neuen Schuljahr durchstarten. Die Empfehlungen des Bildungsmonitors sind damit aufgegriffen. Ich bin optimistisch, dass wir die Schüler bestmöglich unterstützen und die Lerndefizite bewältigen können.“

Die Förderprogramme für die Sommerferien gelten aber vor allem den Lernrückständen wegen Corona. Sie sind nicht dauerhaft angelegt und sie sind auch nicht wirklich fest installiert, um gerade die Schüler/-innen zu fördern, die im durchgetakteten sächsischen Bildungssystem bislang immer noch „vom Band fallen“.

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