Es sind meist aufgeregte รคltere Herrschaften, die Panik-Geschichten รผber eine Jugend verbreiten, die mit all den neuen technischen Spielzeugen scheinbar verwahrlost und auch noch die Regeln unserer schรถnen deutschen Sprache verlernt. Aber das sind wohl wieder nur die Angstbilder von alten Menschen. Ein Hallenser Forscher hat sich jetzt wirklich mal mit den jungen Leuten beschรคftigt und Erstaunliches herausgefunden.
Die wichtigste Botschaft dabei: Textmessenger verfรผhren Jugendliche nicht automatisch dazu, sรคmtliche sprachlichen Regeln รผber Bord zu werfen. Im Gegenteil: Je nach Kontext gelten auch in der digitalen Kommunikation Rechtschreibfehler als peinlich und unzรคhlige Emojis als รผberflรผssig. Jugendliche sind sich sehr bewusst, was in welchen Situationen angemessen ist, wie eine Studie des Linguisten Dr. Florian Busch von der Martin-Luther-Universitรคt Halle-Wittenberg (MLU) zeigt. Darin zeigt er auch, wie Emojis digitale Gesprรคche bereichern und gleichzeitig komplexer machen kรถnnen.
Die Studie ist im Vorfeld des Welt-Emoji-Tags am Samstag, 17. Juli, bei De Gruyter erschienen.
Kurznachrichtendienste, wie WhatsApp oder Telegram, zรคhlen zu den beliebtesten Apps bei Jugendlichen.
โHรคufig beginnt und endet ihr Tag mit dem Blick auf das Smartphone โ und damit auch mit den Messengerdienstenโ, sagt der Linguist Dr. Florian Busch von der MLU. Im Rahmen seiner Promotion untersuchte er die schriftliche Kommunikation von Jugendlichen im Netz und in der Schule und befragte rund 200 Schรผlerinnen und Schรผler nach ihrem Mediennutzungsverhalten, analysierte mehr als 19.000 Textnachrichten aus WhatsApp sowie knapp 80 Schulaufsรคtze von ihnen. Auรerdem fรผhrte er umfangreiche Interviews zu den Fragen, wie Jugendliche in der Schule und in der Freizeit schreiben und wann und warum sie welche sprachlichen Mittel einsetzen.
โEs gibt sehr deutliche Unterschiede zwischen dem Schreiben in der Schule und dem Schreiben mit Freundinnen und Freundenโ, fasst Busch zusammen. Wรคhrend die Schรผlerinnen und Schรผler in ihren Kurznachrichten mit Freundinnen und Freunden meist auf Groร- und Kleinschreibung sowie Kommata verzichten, orientieren sie sich in ihren Schulaufsรคtzen stark an Rechtschreib- oder Zeichensetzungsregeln.
โEs zeigt sich, dass Jugendliche oft sehr wohl รผber Rechtschreibkompetenz verfรผgen, in der digitalen Kommunikation aber andere Normen gelten, die ein persรถnlicheres, adressatengerechtes Kommunizieren ermรถglichenโ, erklรคrt Busch. Als vรถllig bedeutungslos gelte die Rechtschreibung aber auch im Digitalen niemals. โSchreibfehler kรถnnen auch in WhatsApp als peinlich wahrgenommen werden. Darauf weisen sich die Jugendlichen mitunter gegenseitig hin und korrigieren einander. Ihnen ist wichtig, nicht ungebildet zu wirkenโ, sagt Busch.
Emojis, wie Smileys und Herzen, nehmen eine wichtige Rolle in der digitalen Kommunikation ein: Knapp ein Viertel aller Textnachrichten enthielt diese. โEntgegen zahlreicher Behauptungen werden Emojis aber in der Regel nicht dafรผr genutzt, ganze Wรถrter oder Sรคtze zu ersetzenโ, so Busch. Vielmehr seien sie eine Interpretationshilfe, wie eine Nachricht zu verstehen ist. โAn die Stelle von klassischen Satzzeichen tritt hier eine groรe Zeichenvielfalt, die eine erfolgreiche digitale Kommunikation ermรถglichtโ, sagt Busch weiter.
Je nach Beziehung der Jugendlichen untereinander kรถnnen wiederum andere Regeln gelten: โEnge Freunde verzichten mitunter ganz auf den Einsatz von Emojis, weil sie nicht nรถtig sind, um einander richtig zu verstehen. In weniger engen Beziehungen werden sie verwendet, um die Bedeutung einer Nachricht zu illustrierenโ, sagt Busch.
Diese Vielfalt ist fรผr die Jugendlichen รผbrigens Segen und Fluch zugleich. โDas Schreiben in der Schule wird von manchen Jugendlichen als eindimensionaler und in diesem Sinne als einfacher wahrgenommen, weil es mit der Standardsprache nur ein Regelwerk gibt, an dem sie sich orientieren mรผssenโ, sagt Busch. Schriftliche Konversationen รผber WhatsApp seien da deutlich komplexer: โHier gibt es viel mehr Mรถglichkeiten und Nuancen, mit denen Bedeutung transportiert werden kann.โ Das mache es deutlich schwieriger, immer den richtigen Ton zu treffen.
Florian Busch: Digitale Schreibregister. Kontexte, Formen und metapragmatische Reflexionen. Berlin 2021, 618 S., 119,95 Euro, ISBN: 978-3110728743
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