LEIPZIGER ZEITUNG/ Auszug Ausgabe 86, seit 18. Dezember 2020 im HandelTorsten Wehlmann und sein Team haben viel vor. Sie wollen das Leipzig aus vergangenen Tagen fรผr viele Menschen erlebbar, begehbar und nachvollziehbar machen. Der Genealoge hat viele Ideen, wie das funktionieren kann โ€“ und manche auch schon umgesetzt. Auf www.altes-leipzig.de kรถnnen User schon durch Teile Leipzigs des Jahres 1900 laufen. Irgendwann wollen Wehlmann und sein Team es mรถglich machen, dass Menschen mit einer Virtual-Reality-Brille durch ein historisches Leipzig laufen. Schon jetzt kann man Familienforschung betreiben.

Herr Wehlmann, auf Ihrer Internetseite altes-leipzig.de kรถnnen Leipziger in die Vergangenheit der Stadt eintauchen. Was ist Ihr persรถnliches Lieblings-Tool?

Das gibt es leider im Moment nur in meinem Kopf. Einmal virtuell durch das historische Leipzig mit VR-Brille laufen und mit der Geschichte in kleinen Geschichten interagieren. Dies in Form von kleinen Aufgaben und Quests, interaktiven Filmen und vielen Informationen aus einer vergangenen Zeit, um Stadtleben, Zusammenhรคnge und lรคngst Vergessenes zu belichten und Geschichte anders, also immersiv zu erleben.

Ansicht des alten Leipzigs. Bald soll man auch in Virtual Reality durchlaufen kรถnnen. ยฉ Altes Leipzig
Ansicht des alten Leipzigs. Bald soll man auch in Virtual Reality durchlaufen kรถnnen. ยฉ Altes Leipzig

Wird es das jemals geben kรถnnen?

Technisch ist dies mรถglich, was wichtig dabei ist, ist die Frage zu klรคren, wie tief und mit welcher Qualitรคt man in dieses Erlebnis eintauchen mรถchte. Aber darรผber diskutieren wir gerade in unseren Gesprรคchen im Rahmen des Projektes โ€žLeipzig Time Machineโ€œ.

Mittlerweile kรถnnen Nutzer die Tauf-, Heirats- und Geburtsurkunden von Leipziger Personen zwischen 1700 und 1950 suchen. Ich habe meine Familienmitglieder aber nicht gefunden. Woran kann das liegen?

Wir erstellen eine Portalversion mit vielen Funktionen zur Familienforschung (Genealogie) in Verbindung zur Leipziger Stadtgeschichte. Die Datenbestรคnde, die im Moment zur Ansicht kommen, belaufen sich auf 160.000 Eintrรคge und werden bis 2022 auf ca. 3,6 Millionen referenzierte Datensรคtze erhรถht.

Vieles wird sich durch das Zusammenbringen unterschiedlicher Datensichten, also Adress-, Bรผrger- und Kirchenbรผcher, Friedhofskartierungen, auch Grabstein-Fotografien und amtliche Nachrichten aus den historischen Tageszeitungen, in hoher Zahl skalieren und ein dynamisches Abbild von einer Zuzugsstadt wie Leipzig vermitteln.

Wer pflegt diese Daten ein?

Unser Team besteht seit circa acht Jahren aus vier kontinuierlich arbeitenden Mitstreitern. Dabei hat sich jeder eine Lieblingsaufgabe rausgepickt und diese mit immer neuen Wissensstรคnden weiterentwickelt. Ebenso wollen wir รผber das Portal auch einen Zugang fรผr Interessierte schaffen, die Daten mit einpflegen und nach vorgegebenen Kriterien bearbeiten. Im Moment arbeiten wir im Projekt โ€žBรผrger schaffen Wissenโ€œ und mit dem CompGen-Verein bei der Referenzierung der Kartei Leipziger Familien mit 260.000 Datensรคtzen zusammen.

Torsten Wehmann. ยฉ privat

Kรถnnen Sie uns genauer รผber dieses Projekt โ€žBรผrger schaffen Wissenโ€œ informieren?

Bรผrger schaffen Wissen ist die zentrale Plattform fรผr Citizen Science in Deutschland und prรคsentiert, vernetzt und unterstรผtzt seit November 2013 Citizen-Science-Projekte. Das Team stellt sich der Aufgabe, die Bรผrgerforschung in Deutschland weiterzuentwickeln, bekannter zu machen und รผber Projekte zum Mitforschen zu informieren.

Wie bekommen Sie diese Daten? Die Kirchenbรผcher liegen doch beispielsweise dezentral in jeder Gemeinde?

Wir wollten uns als Grundlage auf Daten beziehen, die frei verfรผgbar รผber Bibliotheken und natรผrlich die Tageszeitungen einzusehen sind. Das war der Unterschied zu universitรคren Projekten. Im zweiten Schritt sollten Daten mit Adressbรผchern und anderen Konvoluten verdichtet und referenziert werden. Dadurch ist fรผr die Nutzer eine passgenaue Suche mรถglich und die Anfrage an ร„mter oder das Kirchenarchiv kann konkret erfolgen.

Wie kamen Sie auf die Idee, diese Internetseite aufzubauen und wie haben Sie sich kennengelernt?

Die Idee entstand nach den persรถnlichen und teilweise auch schwierigen Suchen und Erfahrungen, die wir bei der Erstellung von Familienstammbรคumen erlebt haben. Im Weiteren wurde unsere Idee schnell als nicht umsetzbar eingestuft. Wir stellten viele Konzepte auf Wettbewerben vor, die uns keine kommerzielle Chance mit Wissensvermittlung im historischen Kontext durch virtuelle Stadtmodelle einrรคumten.

Daran hat sich bis heute nichts geรคndert, obwohl der Ton mittlerweile vorsichtig neugierig wird und eine Form der Geschichtsvermittlung auch in einem kommerziellen Projekt nicht mehr als ad absurdum gefรผhrt wird. Natรผrlich kรถnnten Museen dieser Aufgabe fachlich fundiert besser nachkommen, aber wo beginnt und endet es.

Wo wollen Sie mit dieser Seite hin?

Geschichte, Genealogie, aber auch Gamifikation mit modernen Medien in die Kรถpfe der Menschen bringen. Dies soll und kann jede Altersstufe betreffen und erreichen. Deshalb besonders fรผr das Spiel in der Familie eine Reihe von vier haptischen Brettspielen mit verschiedenen Leipziger Themen, ein oder spรคter mehrere virtuelle Stadtmodelle in einer 360ยฐ Panorama-Ansicht (z. B. hier gerade der Kรถnigsplatz / Heute: Wilhelm-Leuschner-Platz).

Ansicht der frรผheren Markthalle (heute: Wilhelm-Leuschner-Platz) auf dem Handy. ยฉ Altes Leipzig
Ansicht der frรผheren Markthalle (heute: Wilhelm-Leuschner-Platz) auf dem Handy. ยฉ Altes Leipzig

Zu guter Letzt ein Stadtspiel (Strategie/Rollenspiel) auf einer Gameplattform wie z. B. UNITY, wo der Nutzer einen Charakter in einem stรคdtischen Kontext mit Realgeschichte entwickeln und spielen kann.

Wie lange kรถnnte die Umsetzung noch dauern beziehungsweise woran arbeiten Sie von den genannten gerade?

Auf dem Plan ganz oben steht die Erstellung des Portalzugangs mit vielen Funktionen. Parallel soll das erste Stadtspiel als Brettspiel 2021 auf den Markt kommen.

Interessieren Sie sich vorwiegend fรผr Genealogie oder fรผr die Stadtgeschichte?

Die รœbergรคnge verlaufen mittlerweile flieรŸend, aber der Start war eine Visualisierung von historischen Gebรคuden und die damit gewonnenen Eindrรผcke.

Das Titelblatt der LEIPZIGER ZEITUNG Nr. 86, Ausgabe Dezember 2020. Foto: Screen LZ

Welcher Quellen haben Sie sich hierfรผr bedient?

Das Stadtmodell um 1900 ist georeferenziert und baut auf Echtdaten aus Stadtkarten und Bauzeichnungen auf. Anregungen haben wir aber auch aus Postkarten, kolorierten Stichen, Zeichnungen und Gemรคlden erhalten.

Noch dreht es sich nur um die Kernstadt und nicht um Plagwitz oder Lindenau. Ein Panorama von diesen Stadtteilen kรถnnte gerade Aufschlรผsse รผber die Industrialisierungszeit geben. Ist so etwas in Planung?

Ein Zusatzmodell ist die Weiterfรผhrung โ€žPlagwitz. Vom Dorf zur Industrievorstadtโ€œ. Dafรผr haben wir Vorbereitungen getroffen, aber mit der Modellierung noch nicht begonnen.

Die Leipziger Stadtgeschichte lรคsst sich durch die Vรถlkerschlacht, aber auch die Industrialisierung gut in den Geschichtsunterricht der weiterfรผhrenden Schule einbauen. Wie kann Ihre Seite schon jetzt und in Zukunft Unterricht bereichern?

Wir wรผrden uns รผber diesen Einsatz freuen, aber diesbezรผglich bestand von dieser Seite noch kein Interesse. Vielleicht lรคsst dies sich durch den Aufbau der Leipziger Time Machine mit Stadt- und Staatsarchiv, Universitรคt Halle und anderen Playern in Zukunft auf tragfรคhigen Boden bringen.

Gemeinsam mit dem Stadtarchiv ist das neueste Projekt die Erstellung einer Time Machine. Was wird dann mรถglich sein?

Die Diskussion dazu ist gerade voll im Gange. Ich hoffe, dass alle Partner dabei Chancen fรผr die Bearbeitung ihrer Bestรคnde, die Prรคsentation und zukรผnftige รผberdisziplinรคre Zusammenarbeit finden kรถnnen. Da das auch viel mit Datenschutz, Rechtssicherheit und finanziellen Ressourcen zu tun hat, ist es wichtig diese Fragen auf breiter Basis zu erรถrtern und eine gute Lรถsung zu finden.

Gibt es eine Zusammenarbeit mit der Universitรคt Leipzig oder anderen Leipziger Institutionen? Wenn ja, wie sieht diese aus?

Mit der Universitรคt Leipzig sind wir noch nicht im Kontakt, aber ich glaube รผber die Time Machine wird auch das Interesse der Leipziger Universitรคt wachsen, sich in dieses spannende Projekt mit einzubinden.

Wenn Sie eine Zeitmaschine hรคtten, in welches Leipzig wรผrden Sie gern zurรผckreisen?

Also zumindest fรผr einen Tag wรผrde ich sehr gern in das Modell um 1040 nach Herbert Kรผas reisen. Dort wรผrde mich jede Textur, Kleidung, Handwerkskunst und Sprache interessieren. Ich wรผrde das Stadttor verlassen und um die Stadt reiten. Keine Ahnung, ob sich die Bilder und Eindrรผcke beschreiben lieรŸen. Aber hier sprechen wir eher einen Menschheitstraum an.

Und was machen Sie eigentlich, wenn Sie nicht an altes-leipzig.de arbeiten?

Jeder aus unserem Team hat im tรคglichen Leben einen Beruf und eine Arbeit. Ich persรถnlich arbeite als Planer in einem groรŸen Mรถbelhaus.

Frohe Weihnacht mit der neuen โ€žLeipziger Zeitungโ€œ oder: Trรคume sind dazu da, sie mit Leben zu erfรผllen

Frohe Weihnacht mit der neuen โ€žLeipziger Zeitungโ€œ oder: Trรคume sind dazu da, sie mit Leben zu erfรผllen

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