Verblüffend viele Autor/-innen von Doktorarbeiten flogen ja in den letzten Jahren auf, weil ihre Arbeiten voller Plagiate und versteckter Zitate waren, deren Herkunft einfach nicht angegeben wurde. War das nur Schlamperei, echter Betrug oder pures Nichtwissen? Wenigstens das mit dem Nichtwissen soll jetzt eine von MLU-Forschern entwickelte LernApp beheben.
Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört nun einmal auch korrektes Zitieren. Und bevor die Mitstreiter von VroniPlag darangingen, die Doktorarbeiten aller möglichen berühmten und nicht so berühmten Leute nach Verstößen gegen die wissenschaftlichen Zitierregeln zu durchforsten, konnte man eigentlich davon ausgehen, dass die Herren und Damen Doktoren wenigstens richtig zitiert hatten, wenn ihre Arbeit schon keinen wirklichen wissenschaftlichen Nutzen hat.
Aber die Ergebnisse von VroniPlag sprachen dann Bände. Da haben auch Doktorväter- und -mütter und Gutachter ganz offensichtlich schlampig gearbeitet, als sie diese zusammengeschusterten Arbeiten durchwinkten.
Im Juristischen Bereich der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) wurde jetzt deshalb eine App entwickelt, mit deren Hilfe Jura-Studierende das richtige Zitieren auf spielerische Art quasi nebenbei lernen können. „CitApp: Das Jura-Zitierspiel“ ist jetzt für Android und Windows 10 verfügbar und kann bundesweit genutzt werden.
Gravierende Punktabzüge, im schlimmsten Fall eine nicht bestandene Prüfung: Formale Mängel in schriftlichen Arbeiten haben auch schon manchen Jura-Studierenden echte Probleme bereitet. Und dabei geht es um Grundlegendes.
Gerade in den ersten Semestern widme sich ein Drittel der Bewertung von Arbeiten ausschließlich den Fehlern bei Formalien, sagt Ottmar Rensch, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter dieses ungewöhnlichen Projektes am Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht der MLU. Dort ist in den vergangenen zweieinhalb Jahren eine App entwickelt worden, mit der angehende Juristinnen und Juristen selbst das korrekte Zitieren lernen sollen. Finanziert wurde sie mit 146.000 Euro aus Hochschulpakt-Mitteln.
Zu Themen wie Fußnoten oder Literaturangaben in einer wissenschaftlichen Arbeit habe es im juristischen Bereich der MLU in der Vergangenheit zwar Angebote gegeben. Die Vorlesungen seien aber nicht gut besucht gewesen, sagt Dr. Marcus Bergmann, der 2017 den Antrag zur Finanzierung des Projekts gestellt hat. Auch Seminare oder zahlreiche Handreichungen halfen nur bedingt.
„Es ist immer noch eine Schwachstelle. Deshalb haben wir überlegt, was man tun kann“, so Bergmann. Die Idee: ein Spiel mit eingebauten Lerneinheiten. Also nicht das „Modell trockene Vorlesung“, sondern eine App, die man auch vor Vorlesungsbeginn, in Pausen oder in der Straßenbahn nutzen kann und mit der Studierende im Idealfall Spaß haben. Die Idee der sogenannten „serious games“ sei vor allem in den USA weit verbreitet, so Bergmann.
In der CitApp bauen Teilnehmer eine virtuelle Stadt. Um dafür Geld zu verdienen, Rohstoffe zu generieren oder neue Aufgaben freizuschalten, müssen sie zunächst Quizaufgaben lösen und verschiedene Tutorials absolvieren. In den anschließenden Übungsaufgaben sollen dann zum Beispiel Fehler in Zitationen gefunden, Bestandteile einer Literaturangabe korrekt sortiert oder Arbeiten richtig gegliedert werden.
Der Schwierigkeitsgrad steigert sich im Laufe der Zeit. Derweil kann die Stadt immer weiter ausgebaut werden: mit Marktplatz, Mühlen, einer Bibliothek, Wohnhäusern, Ackerflächen, Dekoration. Und Schutztürmen – von ihnen aus wird die Stadt verteidigt, wenn Plagiatoren und Bücherwürmer sie angreifen und Häuser in Ruinen verwandeln.
Das Spiel komplett durchzuspielen dauert mehrere Stunden. Im Vorfeld der Entwicklung wurden Erst- und Drittsemester zu ihrer Smartphone-Nutzung und ihren Spielgewohnheiten befragt.
„Ganz viele spielen fünf bis zehn Minuten am Tag. Deswegen wurde die CitApp so konzipiert, dass man sie ohne Nachteile jederzeit an- und ausschalten kann“, so Rensch. Für die technische Umsetzung sorgte die Rat King Entertainment GbR aus Halle. Heruntergeladen werden kann die App im Google Play Store, die Windows-Version für den PC steht auf der Webseite des Projekts zur Verfügung.
Mit den sehr spezifischen Quellen in der Rechtswissenschaft und deren konservativen Regeln beim Zitieren ist sie nach Angaben der beiden Projektverantwortlichen zwar ausschließlich auf Jura-Studierende zugeschnitten. Die Zielgruppe sei dennoch groß, so Bergmann – bundesweit gibt es laut Statistischem Bundesamt mehr als 110.000 angehende Juristinnen und Juristen.
Und wenn man sich die ganzen gescheiterten Doktoren in den Disziplinen von Soziologie, Politologie und anderen Gesellschaftswissenschaften anschaut, dürfte auch dort der Bedarf an einer solchen App nicht geringer sein. Denn eigentlich geht es um ein Grundproblem unserer Zeit: den richtigen und fairen Umgang mit dem geistigen Eigentum anderer Leute.
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