Am Montag, 23. November, lieร die โSรคchsische Zeitungโ Sachsens Kultusminister Christian Piwarz zu Wort kommen und ihn erklรคren, wie er mit den Schulen jetzt in Zeiten der hohen Corona-Positiv-Zahlen umgehen will. Aber eine wirklich klare Linie in seinen Aussagen konnte der Landeselternrat nicht entdecken. Im Gegenteil: Es scheint mit den Gewurstel einfach munter so weiterzugehen.
Woran der Kultusminister allein nicht schuld ist. Dass Sachsen jetzt, acht Monate nach Beginn der Corona-Pandemie, auf einmal zu den Bundeslรคndern mit den am hรถchsten belasteten Kreisen gehรถrt, das haben auch andere Kolleg/-innen im Kabinett mit verbockt. Und auch die Landrรคte, die den politischen Mut zu drakonischen Maรnahmen bei neuen Corona-Hotspots nicht hatten, stรผnden normalerweise in der Verantwortung.
Sie haben die Pandemie lieber laufen lasen, als auch nur einmal die Tatkraft zu zeigen, die man auch von demokratisch gewรคhlten Politikern erwarten kann. Aber das war ja auch nicht nur in Sachsen so, das jetzt quasi die Pandemie รผber Bรถhmen frei Haus geliefert bekam.
Die westlichen Kollegen haben sich genauso fahrlรคssig verhalten.
Und die Zuschauer an den Bildschirmen dรผrften nun endgรผltig die Nase voll haben von all den Ausreden und Ausnahmen und Eigenbrรถdeleien, bei denen nirgendwo mehr eine klare Linie zu sehen ist. Die aber auf immer weitere Verlรคngerungen des Shutdowns hinauslaufen. Mit der Hoffnung auf den baldigen Einsatz eines Impfstoffs.
Und der Sommer wurde auch beim Thema Schulen vรถllig verschlafen. Man startete ins neue Schuljahr, als wรคre Corona รผberwunden wie in China. War es aber nicht. Und entsprechend chaotisch geht es an vielen Schulen zu. Dutzende sind mittlerweile wieder geschlossen, Schรผler/-innen und Lehrer/-innen in Quarantรคne.
Und von einem flexiblen Umgang mit dem Unterricht kann keine Rede sein.
Entsprechend kritisch sieht der Erweiterte Vorstand des Landeselternrat Sachsen die รuรerungen des Kultusministers.
โMit viel Interesse und gleichzeitig mit groรer Verwunderung haben wir am Montagabend die Ausfรผhrungen des Kultusministers Christian Piwarz in der Sรคchsischen Zeitung gelesen. Hier war die Rede von ,einer verlorenen Schรผlergenerationenโ, ,leichtfertiger รbergang zum Unterricht im Wechselmodellโ und ,Entsetzenโ zu lesen. Auch 24 Stunden nach dem ersten Lesen sind wir weiterhin von dieser Art und Weise betroffen. Wir als Eltern machen uns hรคufig Sorgen um unsere Kinder und das sicher auch nicht immer zu Recht.
Was allerdings die derzeitige Situation anbelangt, mit Infektionszahlen, die im absolut dunkelroten Bereich liegen, diverse Fachleute und -einrichtungen, die immer wieder empfehlen, dass die AHA+L-Regeln eingehalten werden sollen und gravierenden Einschnitten in allen anderen Bereichen, da kรถnnen wir nicht erkennen, dass wir uns grundlos sorgen.โ
Aber eigentlich geht es ja nicht um Prรคsenzunterricht oder nicht, sondern darum, dass auch Sachsens Regierung auรer Lรผften, Maske und Hรคndewaschen nicht viel eingefallen ist, um auch in Zeiten der steigenden Fallzahlen Unterricht mรถglichst aufrechterhalten zu kรถnnen.
Natรผrlich sehe man, dass der Prรคsenzunterricht nicht รผberall aufrechterhalten werden kann, schreibt der Landeselternrat: โEr soll jedoch auch nicht ersetzt werden, denn wir wissen, wie wertvoll es ist, dass unsere Kinder von gut ausgebildeten Lehrern unterrichtet werden sowie wie gut es ihnen gut, mit Gleichaltrigen zu lernen und sich auszutauschen. Auรerdem haben wir bereits bei der Schulschlieรung im Mรคrz erkannt, dass sich unsere Kinder nach einem strukturierten Tagesablauf sehnen und nach dem, was sie oftmals ablehnen, die Schule. Jedoch stellt uns die anhaltende pandemischen Situation vor noch nicht dagewesene Herausforderungen, die ein Umdenken in der Bildungspolitik erfordern.โ
Aber nicht nur viele Lehrer/-innen gehรถren ja zur Risikogruppe, sondern auch einige Kinder.
โNeben der ohnehin schwierigen personellen Situation an vielen Schulen im Freistaat sind nun noch mehr Lehrer (quarantรคnebedingt) abwesend, sodass die Schรผler zu Hause bleiben mรผssen, bzw. sehr viel Unterricht schlicht ausfรคlltโ, stellt der Landeselternrat fest.
โEs wurden mittlerweile einige Schulen zeitweise geschlossen, einige Kinder sind zum 2. oder 3. Mal in Quarantรคne. Fรผr uns ist das Augenwischerei, wenn wir hier von Regelbetrieb sprechen. Wir als Eltern sind keine Experten, aber wir kรถnnen Ideen einbringen und Empfehlungen geben, wie wir gemeinsam das Ziel erreichen, dass unsere Kinder, auch in dieser schwierigen Zeit, die Schule mit bestmรถglicher Bildung verlassen kรถnnen.โ
Da hรคtte man logischerweise einen ganzen Handlungskatalog vom Kultusministerium verlangen kรถnnen. Denn die AHA+L-Regeln erfordern kein groรes Hirnschmalz. Das machen alle so.
Aber ein Freistaat, dem sowieso der gut ausgebildete Nachwuchs fehlt, sollte eigentlich alles dafรผr tun, allen Kindern eine gute Schule zu sichern. Warum gibt es dazu eigentlich keinen Krisenstab, der einfach mal Instrumente entwickelt hรคtte, im jetzt eingetretenen Ernstfall zu handeln?
Natรผrlich gibt es ihn nicht: Sachsen hat sich im Sommer in eifriger Selbsttรคuschung gewiegt, dass die Pandemie an Sachsen einfach vorbeigehen wรผrde. War ja bis dahin vor allem nur ein Problem der westlichen und sรผdlichen Lรคnder.
Ein Selbstbetrug mit Folgen.
Also hat der Landeselternrat jetzt ein paar Vorschlรคge gesammelt, wie flexibel auf die unterschiedlichen Pandemielagen in den sรคchsischen Schulen reagiert werden kรถnnte.
1. ) Aufhebung der Schulbesuchspflicht: Einige Schรผler und Eltern sind sehr gut klargekommen, sodass diesen auch wieder die Chance dazu gegeben werden sollte. Mรถglich wรคre auch, dass dies nur in Abstimmung mit dem Lehrer und/oder bei regelmรครiger Teilnahme an den Arbeiten/Klausuren genehmigt wird;
2.) Klassenleiterunterricht in den Grundschulen: so kรถnnten wenigstens weitergehende Kontakte vermieden werden;
3.) Wechselmodell: damit kรถnnten wir natรผrlich erreichen, dass endlich Abstรคnde eingehalten werden kรถnnen. Zudem kam aus den Erfahrungen im Frรผhjahr die Rรผckmeldung, dass die Arbeit in den Kleingruppen effizienter wรคre und so wenigstens hier und da kleine Vorteile entstehen;
4. ) Einsatz zusรคtzlicher Kapazitรคten im รPNV: Aufgrund der Absage diverser Busreisen stehen eine groรe Anzahl an Fahrzeugkapazitรคten und Busfahrer zur Verfรผgung. Diese kรถnnten an einigen Stellen eingesetzt werden, um die Situation im รPNV dahingehend zu entspannen, dass wenigstens ansatzweise etwas mehr Abstand eingehalten wird. Wir wollen ja gar nicht so weit gehen, dass jeder Schรผler einen Platz bekommt, was das ganze noch sicherer machen wรผrde, aber es ist derzeit schon hilfreich, wenn man den Arm heben kann, um die Niesetikette zu wahren.
5.) Fokussierung auf die โKernfรคcherโ: ja, wir wissen, dass es diese so offiziell nicht gibt und auch Musik, Kunst, Sport u. รค. halten wir fรผr wichtig, im Normalfall. So kรถnnte aber ein Stรผck Entlastung fรผr Lehrer geschaffen werden, damit diese den Aufwand, den der Hybridunterricht mit sich bringt, bewรคltigen kรถnnen;
6.) Einsatz schulfremden pรคdagogischen Personals: nein, im Normalfall lassen sich Lehrer nicht so einfach ersetzen und das wollen wir ja auch nicht. Nur haben wir gerade viel zu wenige davon, aber andere Fachleute, z. B. Museumspรคdagogen haben dafรผr noch Kapazitรคten. Ja, es wird nicht ganz der Lehrplan eingehalten, dafรผr werden aber wertvolle Kompetenzen vermittelt und die Kids sind in guten pรคdagogischen Hรคnden. Zudem hat es fรผr Eltern den Vorteil, dass sie nicht wieder Notbetreuungen aus dem Hut zaubern mรผssen, wenn die Schule spontan schlieรt, weil Lehrer sich in Quarantรคne befinden.
Und besonders erschreckt den Landeselternrat, dass der Kultusminister augenscheinlich die hohen Neuerkrankungszahlen gerade in Sรผd- und Ostsachsen gar nicht zur Kenntnis zu nehmen scheint.
โWir wissen, dass die Coronakrise nicht zur Bildungskrise werden darfโ, betont der Landeselternrat. โHerr Piwarz kann sich ,ein Wechselmodell nur bei besonderen Inzidenzlagen und nur fรผr einen streng befristeten Zeitraum vorstellenโ. Wir kรถnnen Sie beruhigen, Herr Piwarz, wir wollen das auch nicht ewig, denn es ist fรผr alle Seiten anstrengend. Aber die besondere Inzidenzlage โฆ wohin soll diese denn noch steigen?
Am Dienstag waren im Situationsbericht des RKI drei! sรคchsische Landkreise in den Top10 deutschlandweit mit einer Inzidenz von 305 bis 364. Wir wรผrden sagen, dass man nicht leichtfertig ist, wenn dies als besondere Inzidenzlage bezeichnet wird. Machen wir uns nichts vor, egal welche Wege nun gefunden werden, nichts davon bekommt eine Eins mit Sternchen, aber das verbohrte Festhalten am Prรคsenzunterricht und Regelbetrieb ist auch meilenweit davon entfernt.โ
Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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