Am Montag, 3. August, gab das Sächsische Kultusministerium bekannt, dass Sachsens Schulen am 31. August wieder in den Normalbetrieb starten. „Es wird aber immer eine Abwägung zwischen Infektionsschutz und Kinderrechten bleiben“, erklärte Kultusminister Christian Piwarz zu den berechtigten Sorgen um die Auswirkungen von Corona auf den Schulbetrieb. „Auch in Zukunft kann es zu Corona-Infektionen an Schulen und in Kitas kommen. So ehrlich und realistisch müssen wir sein.“

Es wird auch im Normalbetrieb nicht ohne Hygieneregeln in den Schulen gehen, erklärte Piwarz in der Meldung seines Ministeriums: „Aber Schulen und Kitas stellen kein größeres Risiko als andere Bereiche des öffentlichen Lebens dar.“ Es sei daher wichtig, die Hygieneregeln einzuhalten und bei einer Corona-Infektion an Schule oder Kita schnell zu reagieren. „Wir haben Sicherheitsvorkehrungen getroffen, um Corona-Infektionsketten schnell zu unterbrechen und Schließungen zu vermeiden oder sie so kurz und begrenzt wie möglich zu halten.“

Die Zweifel aus der Politik kamen dann postwendend.

Am Mittwoch, 5. August, meldete sich die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Luise Neuhaus-Wartenberg, zu Wort.

„Der Stufenplan von Staatsminister Piwarz wirft Fragen auf und erscheint mir wenig praktikabel. Was passiert mit Schulen, an denen Schüler/-innen aus verschiedenen Stadtteilen oder Landkreisen unterrichtet werden, in denen es aber jeweils völlig unterschiedliche Infektionsgeschehen gibt? Dies ist insbesondere in den drei Großstädten sowie in den Berufsschulzentren der Landkreise der Fall. Es wirkt auf mich, als wenn das Kultusministerium die Verantwortung einfach auf die Schulen, Lehrkräfte, Eltern und Schüler/-innen abwälzt“, erklärte sie.

„Ich bin überzeugt davon, dass ab September vor allem ein Plan für eine vernünftige Mischung aus Präsenz- und Fernunterricht nötig sein wird. Es rächt sich immer noch, dass es in den letzten Jahren verpasst wurde, die Digitalisierung von Lehr- und Lernmethoden voranzutreiben. Bis die Mittel aus dem Digitalpakt greifen, wird es noch Monate dauern. Leidtragende sind wieder einmal die Lehrkräfte und unsere Kinder.“

Sind die Schulen überhaupt vorbereitet auf den Neustart?

Nicht nur in Sachsen kritisieren Bildungspolitiker/-innen, dass die vergangenen Monate nicht genutzt wurden, um Schulen und Schüler/-innen so gut mit Technik auszustatten, dass Homeschooling (nicht nur im Ernstfall) tatsächlich praktikabel wird.

Denn wenn selbst die verantwortlichen Kultusminister feststellen, dass sie neue Ausbrüche von Corona-Infektionen in Schulen weder vorhersagen noch völlig ausschließen können, ist es geradezu fahrlässig, den Unterricht nicht durch nötige Technik abzusichern. Ein Fakt, den auch die in der Leopoldina versammelten Bildungsforscher mit aufgenommen haben in ihre Ad-hoc-Stellungnahme „Coronavirus-Pandemie: Für ein krisenresistentes Bildungssystem“, die sie am Mittwoch, 5. August, veröffentlicht haben.

Wir leben ganz unübersehbar in einer Zeit, in der schnelles Umdenken im Krisenfall notwendig wird und der Abschied von alten Vorstellungen vom Präsenzlernen aus Kaiser Wilhelms Zeiten ansteht.

Wozu gibt es die ganze Digitaltechnik? Lehrer/-innen und Schüler/-innen müssen lernen, sie auch im digitalen Distanz-Unterricht anzuwenden, der auch ins Homeschooling wieder Struktur bringen könnte. Denn wo die Strukturen fehlen, weichen die Kinder eben doch wieder aufs Spielen aus, wie eine ifo-Studie ergab.

Es geht bei den von der Lepoldina vorgeschlagenen Maßnahmen darum, das bestehende Bildungssystem unter Krisenbedingungen widerstandsfähiger und flexibler zu machen. Die Stellungnahme richtet sich an die verantwortlichen Akteurinnen und Akteure des Bildungswesens, also Ministerien, Landesinstitute, Bildungsträger sowie Kitas und Schulen.

„Vorrangiges Ziel sei es, den Zugang zu Bildungseinrichtungen so lange wie möglich aufrechtzuerhalten, so die Stellungnahme“, betont die Leopoldina zur Notwendigkeit, diese Vorsorge zu treffen. „Solange es jedoch weder einen Impfstoff noch breit zur Verfügung stehende Therapien gibt, müsse in den Bildungseinrichtungen das Infektionsrisiko reduziert werden. Abhängig vom lokalen Infektionsgeschehen seien in den kommenden Monaten erneut partielle Schließungen möglich. Deswegen empfehlen die Expertinnen und Experten auch Investitionen in ein zukunftsfähiges digitales System von Fernunterricht als Ergänzung der Präsenzlehre.

Die Autorinnen und Autoren der Ad-hoc-Stellungnahme aus den Fachgebieten Erziehungswissenschaften, Bildungsforschung, Fachdidaktik, Psychologie, Ökonomie, Soziologie, Theologie, Virologie und Medizin benennen Maßnahmen in sieben Handlungsfeldern.

Die sieben Handlungsfelder

1. Aufrechterhaltung des Zugangs zu Bildungseinrichtungen: Empfohlen werden Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen, systematische Tests auf das Coronavirus und die Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Risikogruppen unter den Kindern und dem pädagogischen Personal sowie unter den Angehörigen beider Gruppen.

Um die vollständige Schließung einzelner Bildungseinrichtungen zu vermeiden, sollten überall, wo dies sinnvoll ist, feste Kontaktgruppen (zum Beispiel Klassen) eingerichtet werden, die zueinander möglichst wenige Berührungspunkte haben. Ziel ist es, den persönlichen Kontakt der Kinder und Jugendlichen einer Kontaktgruppe untereinander und zu den Pädagoginnen und Pädagogen so lange wie möglich zu gewährleisten.

2. Entwicklung von Konzepten zur Verzahnung von Präsenz- und Distanzlernen: Lernen und Bildung zu ermöglichen, ist die zentrale Kompetenz pädagogischer Fachkräfte, auch in Zeiten des Distanzlernens. Eltern können hier lediglich unterstützen. Bund und Länder sollten nach Möglichkeit eine länderübergreifende Lösung für digitale und datenschutzrechtlich geprüfte Lernplattformen erarbeiten.

Zudem empfiehlt die Stellungnahme länderübergreifende Rahmenregelungen, zum Beispiel für Prüfungen in Phasen des Distanzlernens. Die pädagogischen Fachkräfte sollen über die Plattformen qualitätsgesicherte Materialien und Inhalte teilen und mit den Kindern, Jugendlichen und deren Eltern in Phasen des Distanzlernens in Interaktion treten können.

3. Bereitstellung einer geeigneten, sicheren und datenschutzkonformen digitalen Infrastruktur: Erste finanzielle Voraussetzungen wurden durch den „DigitalPakt Schule“ geschaffen. Die technische Ausstattung, Unterstützung, Wartung, Instandsetzung und Entwicklung von Bildungsmedien sollten durch einen länderübergreifenden Beirat unterstützt werden, in dem Fachleute aus der Bildungsadministration, der Bildungspraxis, der Bildungsforschung und dem Informations- und Wissensmanagement vertreten sind.

4. Unterstützung pädagogischer Fach- und Lehrkräfte beim professionellen Einsatz digitaler Medien: Notwendig sind Unterstützung im Hinblick auf die digitale Infrastruktur und technische Ausstattung, die Bereitstellung geeigneter digitaler Lehrmittel und Materialien sowie Fortbildungsangebote.

5. Stärkung der Kooperation und Kommunikation mit Eltern und Familien: Die Expertinnen und Experten empfehlen unter anderem regelmäßige (Video-)Sprechstunden, Coachingangebote für Eltern sowie Materialien für altersgemäße Förderangebote.

6. Förderung von Kindern und Jugendlichen mit Lern- und Leistungsrückständen: Als Schwerpunkt wird die Förderung von mathematischen und sprachlichen Vorläufer- bzw. Basiskompetenzen empfohlen, die für das weitere Lernen grundlegend sind.

7. Stärkung der Wissens- und Informationsbasis: Forschung und Evaluation tragen dazu bei, Auswirkungen der Kita- und Schulschließungen und die Wirksamkeit der neu eingeführten Lehr- und Lernmethoden wissenschaftlich zu bewerten und aktuell dem Bedarf anzupassen.

Mit dieser Stellungnahme legt die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die fünfte Ad-hoc-Stellungnahme zur Coronavirus-Pandemie in Deutschland vor.

Die ersten vier veröffentlichten Ad-hoc-Stellungnahmen haben sich mit akuten gesundheitspolitischen Maßnahmen im Umgang mit der Pandemie, mit den psychologischen, sozialen, rechtlichen, pädagogischen und wirtschaftlichen Maßnahmen, die zu einer schrittweisen Rückkehr in die gesellschaftliche Normalität beitragen können sowie mit Maßnahmen für ein resilientes und anpassungsfähiges Gesundheitssystem beschäftigt.

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