Politiker erwähnen ungern, was für Fehler in der Vergangenheit gemacht wurden. „Die heute vom Wissenschaftsministerium vorgestellte Absolventenbefragung von Junglehrerinnen und -lehrern zeigt, dass Sachsen die richtigen Weichenstellungen vorgenommen hat“, erklärte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) am Donnerstag, 6. Juni, zur neuen Lehramtsabsolventenstudie, die Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange (SPD) vorstellte. Die letzte Studie hatte es 2015 gegeben. Und die von Piwarz beschworenen Erfolge haben in keinem Fall mit den neuen Zahlen zu tun.
Piwarz verwies auf die bessere Bezahlung und die Verbeamtung von Lehrkräften, auf die Verdopplung der Referendariatsplätze von ehemals rund 1.000 auf derzeit 2.050 Plätze. „Auch die Gewährung von einem Anwärtersonderzuschlag von 1.000 Euro für Nachwuchslehrkräfte, die ihren Vorbereitungsdienst an Schulen in Bedarfsregionen absolvieren, wird sich hoffentlich langfristig auszahlen“, meinte er.
Doch alle diese Maßnahmen sind viel zu frisch, um auf die Absolventenjahrgänge 2013 bis 2017, die jetzt erfasst wurden, einen Einfluss zu haben.
Denn das, was die Wissenschaftsministerin zur jetzigen Studie sagen kann, galt 2015 überhaupt nicht: Die Mehrheit der Absolventen eines Lehramtsstudiums an einer sächsischen Hochschule strebt den Berufseinstieg an einer Schule in Sachsen an.
Doch heute steht als Bewerbungsziel Sachsen für die Arbeit an einer Schule mit deutlichem Abstand auf Platz eins. Rund drei Viertel der Absolventinnen und Absolventen, die den Vorbereitungsdienst abgeschlossen haben, haben sich in Sachsen beworben. Mit weitem Abstand folgen die an Sachsen angrenzenden Bundesländer Sachsen-Anhalt (22 %) und Brandenburg (11 %). Etwas mehr als die Hälfte haben sich ausschließlich in Sachsen für eine Stelle beworben.
Das war 2015 noch anders. Nur 51 Prozent der sächsischen Junglehrer konnten auch an einer sächsischen Schule ihre Arbeit aufnehmen. Und das, obwohl die Zahl der Lehrerstudienplätze noch deutlich geringer war. Die damalige Kultusministerin Brunhild Kurth setzte den völlig sinnfreien Sparkurs ihrer Vorgänger fort und lief sehenden Auges in einen landesweiten Lehrermangel hinein. Und hunderte Bewerbungen von sächsischen Lehrsamtsstudenten wurden trotzdem abgelehnt.
Am Ende reagierte Kurth nur noch mit lauter Notstandspaketen und einer wachsenden Zahl von Seiteneinsteigern.
Wirklich geholfen hat vor allem die enorme Erhöhung der Zahl der Studienanfänger für das Lehramt von 1.000 im Jahr 2012 auf 2.600 im Jahr 2018, ein Zuwachs, der vor allem durch Eva-Maria Stange forciert wurde. Denn natürlich bleiben nicht alle Lehramtsstudenten im Land. Ein Teil geht immer weg – meist aus familiären Gründen oder weil sie oder er in die Heimat zurückwill.
Das deckt sich sogar beinah mit der Herkunft der Lehramtstudenten, denn knapp drei Viertel kommen aus Sachsen, ein Viertel aus anderen Bundesländern. Und die meisten äußern in der Befragung (95 Prozent), dass sie Lehrer/-in werden wollen, weil sie die Arbeit als Lehrer/-in reizt. Es ist kein „Notfall“-Beruf, sondern einer, der eben auch viele junge Leute anzieht, die in der Vergangenheit von sächsischen Kultusministern regelrecht abgeschreckt wurden. Denn wenn die Chancen, in der eigenen Heimat nach Studienabschluss nicht als Lehrer/-in arbeiten zu können, nur bei miserablen 51 Prozent liegen, dann wählt man wohl lieber andere Studienrichtungen.
„Die Studie zeigt, dass die massive Erhöhung der Studienplätze im Lehramt Wirkung zeigt“, betont denn auch Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange. „Die große Mehrheit strebt auch einen Berufseinstieg an einer Schule in Sachsen an. Damit erfüllen die Hochschulen ihre Aufgabe bei der Lösung des Personalproblems an den Schulen. Deutlich wird aber auch, wie wichtig es ist, die Lehramtsabsolventinnen und -absolventen gleich nach dem Ersten Staatsexamen in Sachsen zu halten. Wenn sie sich zum Vorbereitungsdienst außerhalb Sachsens bewerben, verlieren wir sie. Denn: Wer den Vorbereitungsdienst in Sachsen absolviert, der bleibt meist hier, auch wenn er nicht aus Sachsen kommt.“
Deswegen war die von Piwarz erwähnte Aufstockung der Referendariatsplätze von 1.000 auf derzeit 2.050 so wichtig. Sachsens Regierung hatte selbst die Lehrerausbildung zum Engpass gemacht, völlig gegen alle Vernunft und alle Prognosen.
Erstaunlich ist trotzdem, dass die jungen Lehrer trotzdem bleiben, denn sie treffen auf ein heruntergespartes Bildungssystem mit hohem Zeitdruck und einem enormen Stresspegel.
Die Ministerin ergänzt: „Die Studie zeigt uns die Punkte, an denen wir ansetzen müssen, um noch mehr der an unseren Hochschulen ausgebildeten Lehrkräfte im Land zu halten. Erschreckend ist, dass die Unzufriedenheit mit dem politischen Klima in Sachsen offensichtlich für viele junge Lehrer – besonders wenn sie aus einem anderen Bundesland kommen – ein triftiger Grund ist, eine Beschäftigung außerhalb Sachsens zu bevorzugen.“
Aber auch an diesem Klima ist die stets unionsgeführte Regierung nicht ganz unschuldig. Sie hat sich über mehrere Wahlperioden als rigide Spar-Regierung verkauft und das Thema politische Bildung in den Schulen sträflichst vernachlässigt.
Gute Bezahlung und sicherer Arbeitsplatz sind übrigens auch Dinge, die die Lehramtsabsolventen wichtig finden.
Aber als zentral erweist sich tatsächlich das grundlegende Angebot an Studienplätzen, das bei der SPD, als sie 2014 in die Regierungskoalition eintrat, ein ganz zentraler Forderungspunkt war.
„Es war richtig, in den letzten Jahren die Lehramtsstudienplätze in Sachsen zu verdoppeln. Die Absolventenzahlen, insbesondere für die Grund- und Oberschulen, zeigen, dass es zur Trendumkehr kommt. Unser Politikwechsel wirkt und wir bauen die Defizite der Vorgängerregierung ab. Wir können so mittelfristig dem Lehrermangel begegnen. Dafür muss jetzt aber auch das Bildungspaket an den sächsischen Hochschulen verstetigt und durch Dauerstellen untersetzt werden“, erklärt der wissenschaftspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Holger Mann.
Und die bildungspolitische Sprecherin Sabine Friedel ergänzt: „Das Referendariat ist der Schlüsselpunkt in der Lehrerbildung. Es ist gut, dass Wissenschaftsministerin Stange ihren Auftrag aus dem Koalitionsvertrag erfüllt hat. Die erste Phase der Lehrerbildung – das Lehramtsstudium – wurde evaluiert und nun mit der Sonderauswertung der Absolventenstudie untersetzt. Leider fehlt bis heute die Evaluation der zweiten Phase, des Referendariats. Hier hat Kultusminister Piwarz noch Hausaufgaben zu erledigen.“
Ganz gerettet ist Sachsens Bildungssystem noch nicht, denn der Stresspegel, den die Hälfte der befragten Berufseinsteiger benennt, hat auch mit fehlender Eigenverantwortung zu tun. Lehrer aber brauchen Gestaltungsfreiräume, sonst wird der Unterricht zum Abarbeiten nach Schema F.
„Wenn 54 Prozent der Befragten angeben, sich aufgrund der Unzufriedenheiten mit der sächsischen Bildungspolitik außerhalb von Sachsen zu bewerben, müssen wir hier genauer auf die Ursachen schauen“, sagt Friedel. „Unsere zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer brauchen größere Gestaltungsmöglichkeiten und mehr Eigenverantwortung in den Schulen vor Ort. Im Team zu unterrichten, neue Methoden zuzulassen und zugleich Tätigkeiten als Klassenleiterin zu honorieren, sollen neue Impulse zur Schulentwicklung geben.“
Zur Veränderung seit 2015 berichtet die Studie unter anderem: „Über die vier betrachteten Prüfungsjahrgänge hat Sachsen deutlich an Attraktivität gewonnen. Aus dem Prüfungsjahrgang 2014 haben rund 63 Prozent ihren Vorbereitungsdienst in Sachsen angetreten. Dieser Anteil erhöht sich in den folgenden Prüfungsjahrgängen kontinuierlich und liegt für den Prüfungsjahrgang 2017 um zwölf Prozentpunkte höher. Deutlich wird, dass der Anstieg schon vor dem im März 2018 beschlossenen Handlungsprogramm ‚Nachhaltige Sicherung der Bildungsqualität im Freistaat Sachsen‘ begonnen hat.“
Das kann man durchaus einen Dämpfer für den jubelnden Kultusminister nennen. Die jungen Lehrer nennen zwar auch Verbeamtung und Bezahlung als Entscheidungsgrund. Aber erst die ausreichende Bereitstellung von Studien- und Referendariatsplätzen hat überhaupt erst hunderte junger Abiturienten dazu animiert, nun doch „auf Lehrer“ zu studieren. Ermöglichen nennt man das.
Und trotzdem bleibt Sachsen in Konkurrenz mit den anderen Bundesländern. Denn – so stellt die Studie fest: „Die Absolventinnen und Absolventen, die sich (auch) außerhalb Sachsens beworben haben, wurden nach den wesentlichen Gründen für ihr Bewerbungsverhalten befragt. Eine ganze Reihe von Gründen bekam eine hohe Zustimmung. 60 Prozent gaben die insgesamt bessere Arbeitssituation außerhalb Sachsens als Grund an. Fast gleich häufig wurden die bessere finanzielle Vergütung (57 %) und private/familiäre Gründe (56 %) genannt.“
Und dann kam etwas ganz Wichtiges, das eben zeigt, dass jungen Pädagogikstudenten sehr wohl wichtig ist, ob sich ein Land über neue Lehrer freut oder Schule eher als regulierte Sparbüchse betrachtet wird: „Nur geringfügig dahinter rangiert die Unzufriedenheit mit der sächsischen Bildungspolitik (55 %).“
„Bei den Gründen, in Sachsen zu bleiben, dominieren dagegen eindeutig persönliche und regionale Bindungen (private/familiäre Gründe: 96 %; Nähe zum Heimatort: 72 %; Lebensqualität/Kulturelles Angebot: 54 %“, so die Studie.
Umso unverschämter, wie rückweisend die Einstellungspolitik bis 2014 war. Was eigentlich ganz einfache Psychologie ist. Aber mit geradezu gnadenloser Arroganz zogen sächsische Finanz- und Kultusminister eine Sparpolitik durch, die mit den Bedürfnissen des Landes und den Erwartungen der jungen Menschen nichts zu tun hatte.
Jeder zweite Lehramtsabsolvent musste 2010/2011 außerhalb Sachsens eine Stelle finden
Jeder zweite Lehramtsabsolvent musste 2010/2011 außerhalb Sachsens eine Stelle finden
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