Unser Gehirn ist eine Geschichtenmaschine. Und lernen kann es, wenn es geübt hat, viele, viele Geschichten darzustellen. Und die ganz und gar nicht erstaunliche Wahrheit ist: Das üben Kinder früh im Leben – beim Vorlesen mit Papa oder Mama am Abend. Und das entscheidet sogar darüber, wie gut und schnell sie in der Schule dann Lesen lernen.

Und wenn man die Ergebnisse der neuen „Vorlesestudie 2018“ der Stiftung Lesen genauer betrachtet, trifft das nicht nur aufs Lesen zu. Denn das Lesen ist ja die Grundlage für alle anderen Wissensstoffe. Und deswegen überrascht die Formel auch nicht, die die Stiftung nach dieser Umfrage aufmacht: „Niedrige Bildung + Nicht-Vorlesen = hohes Risiko“.

Wobei mit niedriger Bildung hier die Eltern gemeint sind, die es eben nicht für selbstverständlich halten, dass im Haus jederzeit Bücher zum Lesen und Vorlesen vorhanden sind und die ihren Kindern dann auch nicht vorlesen, sondern sie lieber vor den Fernseher setzen.

Mancher nennt es „bildungsfern“.

Aber eigentlich ist es ja nur ein Nicht-gelernt. Was Kindern aus lesefreudigen Familien gar nicht bewusst ist, weil es für sie ein Leichtes ist, sich selbst den dicksten Büchern zu widmen und dabei in Phantasiewelten einzutauchen.

Dass das Kindern aus nicht-lesenden Familien unheimlich schwerfallen könnte, wird jetzt selbst erst den Lesexperten so langsam bewusst. Lesen muss man wohl lernen wie das Schwimmen und das Radfahren. Wenn man es erst einmal kann, fällt einem gar nicht mehr ein, das irgendwie schwer zu finden.

Die Stiftung Lesen hat ihre kleine Umfrage zum Thema am Montag, 29. Oktober, veröffentlicht.

Die Ergebnisse:

Rund 78 Prozent der Kinder, denen mehrmals in der Woche oder täglich vorgelesen wurde, fällt das Lesenlernen leicht. Bei den anderen ist das laut ihren Eltern deutlich seltener der Fall (50 Prozent). Fragt man die Kinder selbst, ist sogar mehr als die Hälfte der Grundschüler mit wenig Vorleseerfahrung frustriert, weil das Lesenlernen ihnen zu lange dauert (52 Prozent), gegenüber nur 28 Prozent derjenigen, denen regelmäßig vorgelesen wurde.

Kinder, denen vorgelesen wird, lernen leichter lesen. Grafik: Vorlesestudie 2018, Stiftung Lesen
Kinder, denen vorgelesen wird, lernen leichter lesen. Grafik: Vorlesestudie 2018, Stiftung Lesen

„Lesenlernen ist kein Kinderspiel“, erklärte dazu Antje Neubauer, die das Fachkuratorium Bildung der Deutsche Bahn Stiftung leitet. „Vorlesen schafft die besten Voraussetzungen, damit Kinder dieser Aufgabe in der Grundschule gewachsen sind. Bereits 15 Minuten am Tag genügen. Dazu rufen wir alle Eltern auf.“

Gefragt wurden die Kinder auch, welche außerunterrichtlichen Angebote zur Leseförderung sie an ihren Schulen kennen. Bundesweit konnte fast jeder vierte Grundschüler (23 Prozent) kein entsprechendes Merkmal nennen – also weder Büchereien oder Regale, wo man Bücher leihen kann, noch Leseecken oder Buch-AGs.

„Leser wird man durchs Lesen“, so der Geschäftsführer der Zeit Verlagsgruppe Dr. Rainer Esser. „Jedes Kind muss an seiner Schule Angebote zum Lesen finden, auch außerhalb des Unterrichts. Denn neben der Lesekompetenz geht es um die Praxis, das Tun und die Freude daran.“

Auf die Frage, was ihnen in der Schule Spaß macht, nennen 57 Prozent der Kinder das Lesen. Noch öfter genannt werden praktische Inhalte wie Natur/Umwelt (77 Prozent) und Forschen/ Experimentieren (67 Prozent) oder Malen/Basteln und Sport/Bewegung (jeweils 61 Prozent).

„Kinder interessieren und begeistern sich für Themen und Inhalte. Deshalb hat der Bundesweite Vorlesetag ab jetzt ein Motto, dieses Jahr am 16. November ‚Natur und Umwelt‘. Wir freuen uns auf viele kreative Aktionen an Kitas und Schulen, in Familien und an öffentlichen Orten. Denn nur gemeinsam machen wir Deutschland zum Vorleseland“, so Dr. Jörg F. Maas, Hauptgeschäftsführer der Stiftung Lesen.

Leipziger Zeitung Nr. 60: Wer etwas erreichen will, braucht Geduld und den Atem eines Marathonläufers

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