Krimis zu schreiben ist nicht einfach. Auch dann nicht, wenn man sich eine gewitzte Heldin erschaffen hat wie die vielbegabte Gisela Schikaneder, die jetzt Schikaneder-Zorn heißt und dem Hauptkommissar Waldemar Schräg immer wieder ins Gehege kommt. Diesmal aus einem naheliegenden Grund, denn diesmal hat es eine Mordsbande ausgerechnet auf ihre Familie abgesehen. Und das auch noch in Leipzig.

Auch wenn alles erst einmal mit einer deftigen Erpressung beginnt, bei der einem gewöhnlichen Reiseunternehmen in Leipzig wahrscheinlich alle Felle wegschwimmen würden und die Panik den ganzen Geschäftsbetrieb lähmen würde. Aber die Heldinnen und Helden in Traude Engelmanns neuem Schikaneder-Krimi leben in einer anderen Welt, zwei, drei Etagen über dem gewöhnlichen Leipziger Fußvolk. Da sind 50.000 Euro aus dem Geschäft abgezweigt zu verkraften.

Nur das Unternehmen Zorn liegt ein bisschen jottwehdeh, draußen Richtung Rückmarsdorf, in einer Ecke, wo nachts leere Parkplätze gähnen und Giselas Stieftochter Irene eigentlich schon das Grauen kriegen müsste, wenn sie nur aus dem Fenster schaut. Denn hinter der Mauer des Parkplatzes steht ein dichter Wall aus Nadelbäumen, dahinter ein seit Jahren verlassenes Grundstück. Betrieb ist hier eigentlich nur, wenn tagsüber das Büro besetzt ist und wenn die Reisebusse der Firma Zorn aus- oder einrollen.

Eigentlich alles Zutaten für einen richtigen Thriller, bei dem sich gerade die weiblichen Helden zu Tode fürchten müssten. Dass Gisela Schikaneder-Zorn die Erpressung noch locker wegsteckt und dem Erpresser selbst ein Schnippchen schlägt – beziehungsweise dem etwas fadenscheinigen Privatdetektiv, der mit der Sache beauftragt war – gehört noch zum eher komödiantischen Einstieg in das Geschehen, auch wenn die Erpressung später noch einmal eine Rolle spielen wird.

Als aber eine blonde Reisebegleiterin, die eben noch von Irene beim Techtelmechtel mit ihrem Mann Henk, dem Geschäftsführer des kleinen Reiseunternehmens, erwischt wurde, tot im Kofferraum von Henks Auto gefunden wird, bringt das eine ganze Kette von Ereignissen in Gang. Und nur weil die ominöse Erpressung im Raum steht, scheint Henk der mutmaßliche Täter zu sein, wird von Kommissar Schräg eingebuchtet und Lorenz und Gisela müssen nun den Laden schmeißen.

Dabei wollte Lorenz doch seinen Lebensabend genießen. Erst am Ende des Buches feiert er seinen 60. Geburtstag. Da weiß der Leser längst, dass er sich hier in einer Welt befindet, die man zwar aus dem Fernsehen kennt, die aber mit der tatsächlichen Welt der meisten Irdischgeborenen nichts zu tun hat. Da weiß man dann auch, wofür die 50.000 Euro praktischerweise angelegt wurden. Und man hat die durch nichts zu bremsende Gisela dabei erlebt, wie sie wirklich keine einzige brenzlige Situation ausgelassen hat.

Am Ende spielt sie gar mit ihrem Leben und nur die professionelle Arbeit von Hauptkommissar Schräg verhindert, dass sie nun die fünfte Leiche in dieser Geschichte wird. Ich hoffe, ich hab richtig mitgezählt. Die bösen Buben, mit denen es die Zorns zu tun bekommen, kennen keine Skrupel, sind gut vernetzt und verdienen sich mit gestohlenen Antiquitäten goldene Nasen. Und da hilft auch die europäische Kooperation der Polizeien nichts.

Man bekommt meist nur die kleinen Fische gefangen, aber die eigentlichen kriminellen Strukturen dahinter bekommt man nicht in den Griff. Es ist wie mit Drogen, Menschen, Fahrrädern – die kriminellen Netzwerke können fast unbehelligt arbeiten. Dabei nutzen sie die Freizügigkeit in der EU schamlos aus, die Erpressbarkeit der eigentlichen Dienstboten sowieso.

Es ist eigentlich nur ein Nebengedanke, der am Ende aufkommt, als die Rolle der Reisebegleiterinnen und des Busfahrers zumindest gestreift werden. Aber wo Menschen miserabel bezahlt werden, weil das die Glaubenshüter der Zeit für leistungssteigernd halten, sind sie natürlich allesamt verführbar. Davon profitieren alle kriminellen Netzwerke (aber das verraten wir natürlich der sächsischen Polizei und ihrem kühnen Innenminister nicht, die glauben, mächtig-gewaltige Erfolge in der Schmugglerbekämpfung gefeiert zu haben). Und solange alle (Dienst-)Boten käuflich sind und eben wegen ihrer Armut erpressbar, flutschen die faulen Geschäfte. Nur müssen sie in der Regel parieren. Das haben ja alle kriminellen Vereinigungen von der Mafia gelernt. Die kleinen Boten haben zu gehorchen, sonst haben sie ihr Leben verwirkt.

Und man bekommt erst ganz am Ende mit, wie die blutige Serie tatsächlich ins Rollen kam. Aber da sind auch Henk und Irene schon im Krankenhaus gelandet. Gisela erstaunlicherweise nicht, obwohl sie in der letzten Begegnung mit einem der Täter heftig zugerichtet wurde. Aber es geht ja um ihre Familie. Und augenscheinlich gilt für Stief- und Schwiegermütter dasselbe wie für Mütter: Sie werden zur Walküre, wenn ihren Lieben Gefahr droht oder gar etwas angetan wird.

Und dass sie in solchen Fällen auf eigene Faust versucht, den Fall zu klären, hat die Heldin des Buches ja schon im ersten, 2012 erschienenen Roman „Die Geldwäscherin“ gezeigt. Da lässt sie sich auch von einem zu Recht besorgten Kriminalkommissar nicht bremsen, wagt sich in die gefährlichsten Situationen – und das meist ohne jede Rückversicherung. Andere hätten da längst das SEK angefordert, aber unbekümmert um sich selbst geht sie auf die bösen Buben los, von denen sie ahnt, dass sie irgendwie in der Sache stecken.

Anfangs natürlich auch noch etwas ziellos. Da müssen erst einige verstörende Vorfälle passieren, damit auch sie ahnt, dass der Fall wohl doch ein bisschen anders liegt, als sie und Schräg dachten. Und sicher hätte sich Schräg gewaltig darüber gefreut, wenn sie ihre Beobachtungen früher mit ihm geteilt hätte. Denn ein Großteil der Spannung im Buch entsteht dadurch, dass die so sehr Beschäftige ihre Erkenntnisse gern für sich behält, sie auch gern mal tagelang vergisst, um dann naiverweise in Situationen zu geraten, die sie bei ein bisschen Nachdenken gemieden hätte. Mal abgesehen davon, dass sich der Hauptganove schon die ganze Zeit so seltsam verhält, dass er eigentlich Haus- und Kontaktverbot bekommen müsste.

Denn auch das schwebt so mit: Das übergriffige Verhalten, das die MeToo-Bewegung endlich auf die mediale Bühne gehoben hat, ist ja nur ein Aspekt krimineller Handlungsmuster. Kommissar Schräg findet dafür die passenden Worte, als er die Charakterähnlichkeiten der beiden Hauptbuben beschreibt: „Sie verstanden sich blendend, denn sie waren vom selben Schlag – intelligent, weltgewandt, skrupellos.“

Auch deshalb hat es die Polizei so schwer, kriminellen Netzwerken beizukommen: Ihre Gegner sind hochintelligent und verwenden alle ihre Intelligenz darauf, ihre Geschäfte abzusichern und vor Zugriffen zu sichern. Und sie kaufen nicht nur kleine Reisebegleiterinnen und Busfahrer, sondern auch Polizisten, Rechtsanwälte und Politiker. So gesehen hatte es Gisela Schikaneder-Zorn diesmal eher nur mit Dilettanten zu tun. Mit falschen Münzen auch, um auf den Buchtitel zu kommen. Aber sie selbst ist es nicht, die gefälschte Zahlmittel aus alten Zeiten in Umlauf bringt.

Was bleibt? – Das Gefühl, dass am Stadtrand zu wohnen vielleicht doch nicht so gut ist fürs Herz. Man braucht Nerven wie Drahtseile und eine gewisse Abhärtung gegen das Gefühl, dass nachts draußen unheimliche Dinge vor sich gehen. Was sie ja in diesem Buch wirklich tun.

Traude Engelmann Die Falschmünzerin, Edition Krimi, Leipzig 2018, 15 Euro.

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