Es war einer dieser nur scheinbar stilleren Abende auf der Buchmesse 2018. Leisere Töne, die oft die Eigenart haben, in ihrer Klugheit zu fein gestrickt, weggebrüllt oder schlicht medial überhört zu werden. Dies gab es am Donnerstag, 15. März 2018, hörbar und deutlich im Leipziger Ost-Passage Theater von Frank Richter. Der ehemalige Chef der in Dresden beheimateten "Zentrale für politische Bildung Sachsen" und mittlerweile ausgetretenes CDU-Mitglied hatte nicht nur eine dreiteilige Lesung seines Buches „Hört endlich zu!“ sondern auch Zeit für eine spannende Debatte im Anschluss dabei.

Ob seine Begegnung mit einer Bundeskanzlerin im Wahlkampf 2017, eine Reise in das westmecklenburgische Neonazi-Dorf Jamel zu den Lohmeyers oder ein sanft gewundener Exkurs durch die „Arroganz der Macht“ in den 1990er Jahren bis heute – immer versteht es Richter in seinem Buch in ständiger Selbstreflektion zu beobachten, sich selbst und andere zu hinterfragen und dabei tiefer zu lauschen – was es in ihm auslöst, was er spürt, wenn etwas manchmal fast Unbegreifliches vor ihm steht.

Wie zum Beispiel eine Bundeskanzlerin, die mit ihrem Wahlkampfauftritt im Beisein Richters im eigenen Heimatwahlkreis den Versuch unternahm, die Menschen in allen wichtigen Fragen wie Europa, Flucht, Altersarmut und Bildung derart faktenfrei einzulullen, bis Richter samt Gattin im Urlaub reichlich konsterniert und bewusst desinformiert von dannen zog.

Besonders stark wird der Abend, wenn Theologe Richter, der selbst einst in diesen wilden Wendejahren am 8. Oktober 1989 als Bürgerrechtler zur „Gruppe der 20“ in Dresden gehörte, von der Nachwendezeit und den Folgen erzählt. Und dabei lange Linien bis ins Heute, über die CDU hinweg, zu PEGIDA, AfD und sträfliche Fehler in der Demokratiebildung zieht.

Nichts fehlt, nicht die Verheerungen der Treuhand, welche den Westdeutschen fast unbekannt blieb, nicht die überhebliche Verachtung der Bundestagsabgeordneten (West) gegenüber einem renommierten Ost-Schriftsteller und Alterspräsidenten Stefan Heym (PDS, Linke) bei seiner ersten Rede am 10.11. 1994 im Bundestag, nicht das katastrophale Handeln des sächsischen Politikbetriebes in den letzten Jahren.

Die Lesung von Frank Richter am 15. März 2018 im Ost-Passage Theater Leipzig. Video L-IZ.de

So katastrophal, dass es sogar solche belebenden Geister wie Richter aus der CDU in Richtung APO trieb. Ihn, der gemeinsam mit anderen die Kraft fand, am 8. Oktober 1989 aus dem Polizei-Kessel an der Prager Straße heraus mit den Volkspolizisten ins Gespräch zu kommen, die Friedlichkeit zu wahren und so seinen ersten Teil zur Friedlichkeit der Ostwende beizutragen. Ihn, der geradezu prädestiniert ist, bis heute immer wieder hervorzutreten, wenn Worte, Dialog, Verständigung – ja Demokratie gefragt sind.

Ein lebender Beweis für aufgeklärte Dialogfähigkeit und scharfe Analyse bis zum trennenden Strich zwischen Humanität und Aggressionen nicht nur während einer Buchmesse, auf der teils verbittert um Meinungsfreiheit gestritten wird.

Es scheint, als ob Frank Richter verstanden hat, was es letztlich bedeutet, wenn er von einer „Revolution spricht, die nicht beendet wurde“, sondern im Vereinigungsprozess verschwand, die Selbsterfahrung der Ostdeutschen unter der D-Mark und dem Tempo der Übernahme eines „geschenkten Systems“, den Kapitalismus, begrub. Es ist auch seine nicht vollendete Wende, es sind noch zu viele Rechnungen und Fragen offen.

Die Debattenrunde mit Frank Richter am 15. März 2018 im Ost-Passage Theater Leipzig. Video L-IZ.de

Zu vieles ist liegengeblieben in Ostdeutschland, vor allem auch in Sachsen. Frank Richter spricht es aus und hört aufmerksam zu, wenn er auf dialogbereite Menschen trifft, die nicht nur zuschauen wollen. Er ist einer, der noch gebraucht wird und der dies verstanden hat. Er sieht die Aufrüstung der Rechtsextremen und deren Wunsch, die Risse noch zu vertiefen und so die Gesellschaft zu zerstören und wird nicht schweigen können.

Einer, der weiß, dass 2019 gleich drei Wahlen in Sachsen stattfinden werden, in die auch er sich einmischen muss. Wie, will er auch auf Nachfragen hin augenzwinkernd noch nicht verraten.

Die gesamte Veranstaltung als Audio zum Nachhören

 

Hört endlich zu! – Frank Richters Appell, die Demokratie wieder mit ehrlichen Debatten zu beleben + Video

Hört endlich zu! – Frank Richters Appell, die Demokratie wieder mit ehrlichen Debatten zu beleben + Video

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