Vielleicht muss die Frage sogar anders gestellt werden. Vielleicht kann man mit reinen Stundenzahlen nicht beschreiben, was in Sachsens Schulen an politischer Bildung falsch läuft. Und wenn Sachsens Bildungsministerium demonstrieren wollte, wie man Kritiker lächerlich macht, dann ist es den Staatsangestellten bestens gelungen mit ihrem Beitrag „,Fake news‘ zur politischen Bildung in Sachsen“.

Da nutzen auch die Gänsefüßchen bei „Fake news“ nicht. Hier wird eine Unart sichtbar, die wirklich schlechte Lehrer haben: Schüler, die etwas Falsches antworten, vor der ganzen Klasse lächerlich zu machen.

In diesem Fall meinten die Ministeriumsmitarbeiter, die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion Cornelia Falken lächerlich machen zu müssen, indem sie eine einzige Aussage aus ihrer Rede im Landtag herauspickten und mit Zahlenspielen zeigten, wie Unrecht die nervige Schülerin doch hat.

Der Satz, den sich die Ministerialbeamten herausgepickt hatten, lautet: „In Sachsen haben Schülerinnen und Schüler 50 Stunden GMK, in Nordrhein-Westfalen dagegen 250 Stunden.“

Im Grunde hätte eine kleine Richtigstellung gereicht: „Der Vorwurf von Cornelia Falken ist nicht neu. Gestützt durch eine Studie der Konrad Adenauer Stiftung taucht die Behauptung in den Medien beharrlich auf. In Sachsen gebe es bis zum Erreichen der mittleren Reife viel zu wenig Stunden Gemeinschaftskunde, nämlich nur etwa 50. In Nordrhein-Westfalen seien es mit 250 Stunden deutlich mehr. Doch wer sich die Mühe macht, in den Anhang der Studie zu schauen, erkennt, dass die Autoren Äpfel mit Birnen verglichen haben. Auch eine Internetrecherche offenbart: In Nordrhein-Westfalen gibt es das Unterrichtsfach Gemeinschaftskunde überhaupt nicht. Dort werden die Unterrichtsfächer Geschichte, Erdkunde und Politik unter dem Lernbereich Gesellschaftslehre zusammengefasst. Ein Realschüler belegt in Nordrhein-Westfalen bis einschließlich der 10. Klassenstufe 21 Wochenstunden Gesellschaftslehre.“

Und dann haben die SMK-Autoren hin und her gerechnet und belegt, dass der sächsische Schüler sogar 25 Wochenstunden in den Fächern Geschichte, Geographie und G/R/W (Gemeinschaftskunde/Recht/Wirtschaft) hat, die irgendwie alle politisch sind, der Schüler in NRW nur 21.

Wer Kinder in der sächsischen Schule hat, weiß, was für ein Tonnagedenken sich dabei in die Lehrpläne ergießt. Im Text der SMK-Mitarbeiter wird das an dieser Stelle sehr deutlich: „Mehr noch: Politische Bildung spielt eine noch viel größere Rolle im wochenstundenstärksten gesellschaftswissenschaftlichen Unterrichtsfach Geschichte. Schon in den Lernzielen des Lehrplanes ist die politische Bildung klar formuliert: Die Schüler sollen die Fähigkeit entwickeln, begründete Urteile über Vergangenes, über Geschichtsdarstellungen und über Geschichtsbezüge der Gegenwart zu fällen. Sie sollen die Bereitschaft zur Mitgestaltung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung entwickeln, heißt es wörtlich. Das wird durch die Lernbereiche in den Klassenstufen untersetzt. Ab Klassenstufe 8 geht es nahezu ausschließlich um die Geschichte des 20. Jahrhunderts, Fragen von Demokratie und Diktatur oder Krieg und Frieden.“

Die meisten Schüler erinnern sich hinterher nur noch an: Diktatur, Diktatur, Diktatur. Ach ja: Hitler.

Das SMK redet von Didaktik, die verbessert werden müsste. Das Problem ist aber, dass all die gesellschaftlichen Fächer nicht organisch sind, nicht miteinander korrespondieren und gerade Geschichte nicht als Prozess erlebbar wird, sondern als ein Baukasten, dessen Bausteine immer grauer, kantiger und redundanter werden, je länger sich die Kinder damit plagen müssen.

Und gerade dieses Übergewicht des diktaturgeprägten 20. Jahrhunderts führt augenscheinlich zu einem Ergebnis, das Cornelia Falken in ihrer Landtagsrede so beschrieb: „Der konkrete Anlass für die Behandlung unseres Antrages auf dem heutigen Plenum ist die Vorlage eines ‚Handlungskonzeptes zur Stärkung der demokratischen Schulentwicklung und politischen Bildung an sächsischen Schulen‘. Es wurde im Auftrag des Kultusministeriums von einem Expertengremium erarbeitet. Es steht unter der Überschrift: ‚W wie Werte‘. Entstanden ist das Konzept in Reaktion auf den Sachsen-Monitor aus dem Jahr 2016. Die repräsentative Umfrage im Auftrag der Staatsregierung brachte erschreckende Ergebnisse zutage: So waren 46 Prozent der 18 bis 29-Jährigen der Meinung, ‚Juden versuchen heute, Vorteile daraus zu ziehen, dass sie während der Nazi-Zeit die Opfer gewesen sind.‘ Und 49 Prozent stimmten der Aussage zu, ‚Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden.‘“

Das erzählt tatsächlich nicht davon, dass die jungen Leute aus der Schule ein weltoffenes und demokratisches oder gar geschichtsbewusstes Denken mitgenommen haben.

Den Lösungsansatz aus Sicht der Linken schilderte Cornelia Falken so: „Die Linke hat in ihrem hier vorliegenden Antrag einige Mindestanforderungen an eine Erneuerung der politischen Bildung in den Schulen gestellt. An der Frage, ob es an Sachsens Schulen zu wenig politische Bildung gibt, hatte sich vor zwei Jahren öffentlicher Streit entzündet. Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, hatte so argumentiert. Er kritisierte in Sachsen eine Bevorzugung der Naturwissenschaften gegenüber der politischen Bildung. Auch der Landesschülerrat beklagte, dass die politische Bildung in Sachsens Schulen zu kurz komme. In Bundesländern wie Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen beginne politische Bildung bereits in der sechsten bzw. in der fünften Klasse. Die Schülervertretung wünschte sich ‚eine Ausweitung des Gemeinschaftskundeunterrichts‘. In Sachsen wird nur in der 9. und 10. Klasse an den Oberschulen und im Gymnasium Gemeinschaftskunde (GMK) unterrichtet.“

Und so fordere die Linksfraktion – wie die SPD – die Politische Bildung ab Klasse 5 durchgehend zu erteilen und das Fach in der Stundentafel als ein Zwei-Stundenfach auszuweisen. Und außerdem – und darauf ging man im SMK wohlweislich nicht ein – auch eine Modernisierung des Unterrichtsfachs Gemeinschaftskunde. Das bedeute, „den Unterricht inhaltlich und methodisch auf den neuesten Stand politikwissenschaftlicher und soziologischer Erkenntnisse zu bringen“.

„Die Modernisierung des Faches soll sich auch im neuen Namen des Unterrichtsfaches dokumentieren: Statt ‚Gemeinschaftskunde‘ soll es künftig ‚Politische Bildung‘ heißen“, sagte Falken.

Die bisherige Kultusministerin Brunhild Kurth hatte den Antrag der Linksfraktion schon mit dem Verweis abgelehnt, dass das im Gefolge des „Sachsen-Monitor“ einberufene Expertengremium noch keine Empfehlungen für eine Umsetzung der Monitor-Ergebnisse im Lehrplan gegeben habe.

Denn eines wird selbst aus dem ganz und gar nicht launigen SMK-Beitrag ersichtlich: Die Zahl der Stunden oder der Name des Faches ändern wohl eher nichts. Es kommt viel mehr auf die Art der Vermittlung an. Und eine falsche, weil dröge Art der Vermittlung des langen Weges zur Demokratie kann geradezu fatale Ergebnisse haben. Und hat es wohl auch. Denn die im „Sachsen-Monitor“ befragten jungen Leute sind allesamt Abgänger des sächsischen Bildungssystems. Vielleicht macht ja die Expertengruppe gute Vorschläge, wie Politik und Geschichte in Sachsens Schulen wieder lebendiger und fruchtbringender vermittelt werden kann. Aber das könnte auch bedeuten, dass ein Großteil der mit Wissenshäppchen verstopften Lehrpläne entsorgt werden muss.

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Im Übrigen lässt sich Demokratie auch dann gut lernen, wenn sie gelebt wird. Fragt man Schüler in den oberen Klassen, was sie denn lernen wollen, erntet man oft Schweigen oder Unverständnis. Beteiligung und Dialog müssen aber eingeübt werden, um eine demokratische Gemeinschaft, auch in der Schule, ausbilden zu können. Über Inhalt und Didaktik hinaus ist Politische Bildung etwas, das konzeptionell gelebt werden muss, in allen Fächern. Dazu tritt meiner Meinung nach auch Intellektualität – aber das ist ein anderes Thema….

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