Das Video auf Facebook beginnt ab 12:28 Uhr an diesem 16. November 2017. Zwei Personen werfen Twitterfeeds eines mittlerweile deutschlandweit bekannten Leipziger Jura-Professors an die Wand, immer wieder rotieren die Sinnsprรผche รผber โdie Araberโ, die โAfrikanerโ, โden Islamโ und das โweiรe Europaโ vor den Studenten. Als Dr. Thomas Rauscher den Hรถrsaal betritt, begrรผรt ihn der Student am Pult mit einer Bemerkung auf seine offenbar gute Laune. Seit gestern Abend hat der seit 1993 an der Uni Leipzig tรคtige Professor seinen Twitteraccount gelรถscht. Der Inhalt jedoch verfolgte ihn nun bis in die eigene Lehrveranstaltung hinein.
Hier nun werden seine Twitter-Kommentare zum Weltgeschehen an der Universitรคt zum Start seiner รbung โBGB fรผr Fortgeschritteneโ gezeigt. Nach ersten Protesten ertrรคgt der 62-Jรคhrige die Erklรคrungen der beiden Studenten am Pult โ mit verschrรคnkten Armen. โEs gibt keinen friedlichen Islamโ steht hinter ihm zu lesen, Rauscher wird das Auftreten der Studenten mit dem von Karl Eduard von Schnitzler (der โSchwarze Kanalโ, eine DDR-Politsendung zweifelhaften Inhalts) gleichsetzen.
Er wรผsste zudem, โwas hier an Hass und Wut gegen mich lรคuftโ. Rauscher, der sonst auf Twitter andere Menschen herabsetzt und vom โweiรen Europaโ trรคumt, ist binnen von Sekunden in der Opferrolle zu Hause. Ein Schema, bekannt von nahezu jedem Rechtsextremen, der eigene verbale und reale Gewalt immer รผber die Reaktionen darauf zu legitimieren sucht.
In der Sache selbst kommt es zu keiner Auseinandersetzung, die beiden Studenten bestehen darauf, ihre Vorwรผrfe vorzutragen, wollen auch keine Diskussion mehr. Dazu sei an der Universitรคt in seiner Veranstaltung kein Ort, so Rauscher: kurz versucht er sein Hausrecht durchzusetzen, um dann doch mit verschrรคnkten Armen das Ende des Vortrages abzuwarten โ viele Studenten wollen den Redebeitrag zu den Tweets hรถren (siehe Video).
Seit 1993 hat der aus Erlangen stammende Jurist eine โC4-Professur fรผr Internationales Privatrecht, Rechtsvergleichung sowie Bรผrgerliches Recht an der Universitรคt Leipzig inne.โ (Wiki)
Die hรถchste Besoldungsstufe, erlangt in einer Zeit, als die Leipziger Universitรคt in tiefen Nachwende-Umbruchszeiten steckt, unbelastete Juristen rar und die mit Kenntnissen im neuen bundesdeutschen Recht noch seltener sind. Es geht rasch voran fรผr viele aus dem Westen in der ehemaligen DDR damals โ in den Verwaltungen, an den Gerichten, in den Universitรคten. Die Publikationsliste Rauschers ist bis heute รผbersichtlich, die Forschung bleibt eher monothematisch und im Kern auf Familienrecht bezogen. Einziger Ausreiรer: 1987 bereits befasst er sich mit der โShariaโ, da offenbar noch im Rahmen von Rechtsvergleichen.
Denn 1990 hat Thomas Rauscher mit dem Thema โReformfragen des gesetzlichen Erb- und Pflichtteilrechtsโ habilitiert und kann danach rasch einen Lehrstuhl in Leipzig erklimmen. Ein Wendegewinner im Osten, FDP-Mitglied im Westen: ab 2008 sitzt er im Kreistag des Landkreises Rosenheim fรผr diese Partei. Das beste beider Seiten der Elbe fรผr ihn, eine eigene, nahezu unkรผndbare Professur im Osten, ein politisches Mandat in Bayern.
2013 scheint ein Umbruch im erfolgreichen Leben des Professors einzutreten, er mรถchte mehr und es gelingt nicht.
In den Bundestag zieht er via FDP nicht ein, er tritt bei den Liberalen aus. Sein Mandat im Kreistag behรคlt er fraktionslos dennoch weiter. Das โOberbayrische Volksblattโ schreibt zu seinen Austrittsgrรผnden nach einem FDP-Parteitag 2013: โMit dem Schwerpunkt eines `mitfรผhlenden` Liberalismus und dem strikten Kurs pro Euro gehe die neue Parteifรผhrung den falschen Weg, ist Rauscher รผberzeugt.โ Inwieweit der Rauswurf der Liberalen aus dem Bundestag, fรผr den er wenige Wochen vorher noch fรผr die gleiche Partei kandidierte, eine Rolle fรผr seine Entscheidung spielt, bleibt unklar.
2016 fรคllt der Erasmusbeauftragte der Fakultรคt das erste Mal รถffentlich richtig auf. Intensive Twitteraktivitรคten rings um seine Angst vor โMillionen aus fremder Kulturโ, welche โDeutschland zerstรถrenโ wรผrden und โJe suis Pegidaโ machen die Runde.
Das Debattenformat โDonners-Talkโ mit Rauscher am 28. April 2016 im Audimax der Uni Leipzig misslingt grรผndlich, es geht kaum um Inhalte, Rauscher zieht sich auf seine private Meinungsfreiheit zurรผck. Angesichts der Gegenwehr im Saal verfรคllt der sonst so wortgewaltige Twitterer in die Opferrolle, wรคhnt sich im Recht, betont nochmals die Meinungsfreiheit. An diesem Abend konfrontieren ihn Teile der 800 anwesenden Studenten mit verschiedenen sexistischen รuรerungen, die er wรคhrend seiner Vorlesungen getรคtigt haben soll. In einem Fall sieht er sie aus dem Kontext gerissen, in einem anderen Fall bestreitet der Professor, die Menstruation von Frauen thematisiert und darum gebeten zu haben, dass sich diese in eine hintere Reihe setzen sollten.
Nun haben einige an der Universitรคt bis hinauf zur Unileitung offenbar angesichts der neueren รuรerungen des Juristen genug.
Im Hรถrsaal 9 ziehen die beiden Studenten in Zweifel, dass Dr. Rauscher als Beamter alle seine Studenten gleichberechtigt behandeln kรถnne angesichts seiner islamfeindlichen Tweets. Weitere Tweets zeigen, dass Rauscher die seit dem 15. Jahrhundert einsetzende Kolonialzeit offenbar รผbersieht, wenn er รผber Afrikaner und Araber schreibt: โSie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstรถrt und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiร aufgebaut haben.โ Etwas zum Einlesen auf Wiki, bei Interesse kann man auch gute Geschichtsbรผcher bemรผhen.
Angesichts der europรคischen Geschichte der bis heute andauernden Ressourcenentnahme westlicher Staaten in den ehemaligen Kolonien im freundlichsten Fall eine schlichte Dummheit. Fast scheint es, die Argumentation des FDP-Austritts setzt sich hier, รผber eine gruppenbezogene Feindlichkeit hinaus โ gemeinhin als Rassismus bekannt โ als strikt darwinistische Weltanschauung fort.
Nur der Stรคrkere siegt in Rauschers Welt, der Unterlegene ist selbst schuld und wird aussortiert.
Nicht verwunderlich, dass es der Professor im Video erwรคhnenswert findet, dass der Redebeitrag der Studenten abgelesen worden sei. Zu schwach eben die Performance (Abwertung des Gegenรผbers, hier der beiden Studenten) fรผr einen wirklichen Leistungstrรคger โ so ohne freie Rede ist die Sache eben nichts wert. Offenbar ist es ganz gleich ob nun Afrikaner, Araber oder deutscher Student โ keiner ist rauscher.
Weshalb der Hinweis des unter Druck geratenen Lehrenden, doch keine kรถrperliche Gewalt anwenden zu lassen โ obwohl er dazu aus Notwehrgrรผnden โberechtigt seiโ โ ebenfalls im Ohr bleiben dรผrfte: mit den eigenen Tweets in der Realitรคt konfrontiert, fรผhlt sich ein sonst scheinbar รberlegener offensichtlich bedroht.
Die Universitรคtsleitung hat bereits gestern, am 15. November, aufgrund der andauernden Probleme disziplinarrechtliche Schritte angekรผndigt, das Ministerium hat sich eingeschaltet, Rauscher hat seine rund 1.300 Follower bei Twitter verlassen. Ob eine Verabschiedung des Juristen aus dem Lehrbetrieb stattfindet, ist eine rein rechtliche Auseinandersetzung. Fern der Frage, was so ein Dozent jungen Menschen auf der Suche nach einem aufgeklรคrten humanistischen Weltbild รผberhaupt beibringen kann.
Vielleicht hรคtten die Aktivisten heute neben den Flugblรคttern auch das Buch โDer kleine Prinzโ verteilen sollen. Recht ohne Herz ist offenkundig blind.
Fรผr heute genรผgt wohl ein weiterer Hinweis von Hagen Rether.
Leipziger Juraprofessor wรผnscht sich ein โweiรes Europaโ + Update
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