Wer am Montag, 4. September, mal eben zum Ablachen in die Villa Ida nach Gohlis gekommen war, sah sich getäuscht. Zum „Leipziger Gespräch“ war schon der „blasse, dünne Junge“ Jan Böhmermann geladen, doch auf der Bühne saß ein Mann mit früh gelernter grader Haltung. Sein kommunikatives Gleitmittel für klare Botschaften: die gerissene Humorverpackung, in welche er mal Tipps zum Gegenangriff auf Social Media–Stalker einwickelt, die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte fordert, im „TV-Duell“ einen Konsens ohne vorherigen Streit sieht, Ethik im Journalismus als dringend nötig erachtet und die AfD indirekt mit der NSDAP vergleicht.
Oder in Richtung öffentlich-rechtliche Sender koffert – seine Arbeitgeber. Ganz wie nebenbei immer wieder der Hinweis: ich darf das, ich bin hier der Narr, ich bin frei. So auch der Auftakt. „Willkommen Leipzig. Das Dresden für Leute, die es geschafft haben.“ Mancher, der hier noch herzlich lacht, bekommt von Böhmermann grinsend nachgeschoben: „Und Berlin, das Leipzig für Leute, die es geschafft haben.“ Aus Hahaha wird Huhuhu. Bumm, den falschen Lokalpatriotismus und die eingebildete Überlegenheit aufs Horn gehoben und ganz nebenbei noch klargestellt, dass in der Satire wirklich niemand ein Recht auf Vorzugsbehandlung hat. Auch nicht das einheimische Publikum – anschleimen ist nicht.
Kurz darauf wird es noch die Gegend zwischen Wittenberg und Bitterfeld treffen, wo Böhmermann den einen oder anderen Netzhasser in einem Einfamilienhaus mit „scharfem Hund“ verortet. Denen er, weil er es kann, im Zweifel und bei zuviel Tagesfreizeit auch mal gern selbst im Netz nachstellt. Die Parole lautet: Was raus muss, muss auch gesagt werden, öffentlich, gern im Netz, aber immer mit doppeltem Boden. Denn schließlich habe er in Wittenberg ein paar Thesen angeschlagen, aber kein Schwein hätte sich dafür interessiert.
„Ich werde der schlimmste Albtraum des Stalkers“, so Böhmermann über den Twitter-Böhmermann, und dann folgt die Geschichte mit dem User, der ihn begann zu beschimpfen und von Böhmermann als angebliche Sicherheitsbehörde im Netz ausgeforscht und gejagt wurde. Um sich am Ende wimmernd bei ihm zu entschuldigen– aus Angst vor einer Geldbuße, einem „Online-Strafzettel“.
Ganz nebenbei: es sind diese Geschichten, über die sich Böhmermann selbst am meisten amüsiert, gemeinsam mit seinen 1,7 Millionen Followern auf Twitter und seinen Zuschauern – die groteske Falschnachricht, der clevere Fake, den der Empfänger nur allzu gern glauben möchte, obwohl alles frei erfunden ist. Dabei bleibt er schlicht zu sympathisch, als dass der Ärger bei den Vorgeführten ewig anhalten kann. Er ist hart, direkt, aber fair dabei.
Böhmermann, der vorgebliche Luther unserer Zeit und in Wirklichkeit ein schneller Hieb in Richtung Heldenverehrung eines ehemaligen Reformators und Judenhassers im eifrig gefeierten 500. Jahr der Reformation. Böhmermann, die Netzbehörde, die dem deutschen Michel die Angst vor Strafe via Twitter ins Wohnzimmer bringt. Böhmermann, der an diesem Abend in Leipzig die Enteignung von Google und die Verstaatlichung von Facebook fordert.
Hat er es wirklich so gemeint? Oder einfach nur ein weiterer Gag? Das Schöne sei „ich kann einfach etwas behaupten und muss nicht einmal recherchieren“, so Böhmermann. Dass er sich selbst trotz früher Gehversuche als Kabarett-Rezensent bei der „Norddeutschen“ Zeitung für „zu unseriös für einen Journalisten“ hält, zeigt zumindest eines: der 37-Jährige zieht eben doch Grenzen in seinem Tun.
Immer wieder kreist das Gespräch an diesem Abend auch um die Stationen des Bremers, beginnt bei einem Jungen, der mit 13 sein erstes eigenes Geld beim Zeitung austragen und später auf dem Wochenmarkt verdient, als Polizistensohn früh Kenntnis von der Frage „professionell ausgeübter Gewalt“ erhält („natürlich bin ich für Kennzeichnungspflicht für Beamte, gerade weil sie das Gewaltmonopol von uns bekommen“) und als Schülertheatermitglied mit 16 Jahren vor allem einen Wunsch zu haben scheint: sich von der Bühne herab über Leute lustig zu machen, die schon Geschlechtsverkehr haben.
Um dann eben diesen endlich selbst in der Theatergruppe zu finden.
Die „Methode Böhmermann“
So doppelbödig, wie Böhmermann sich dabei auch immer bewegt: Was der fragende Thomas Bille an diesem Abend vorhat, wird schnell klar. Er versucht für den mit 270 Gästen – laut Veranstalter Sparkasse ausgewählt aus 2.000 Interessenten – rammelvollen Saal herauszubekommen, was das System, die „Methode Böhmermann“ ist. Glücklicherweise schafft es der Gefragte, genau dies weiter ein Stück offenzulassen und gleichzeitig exemplarisch vorzuführen.
Manchmal fast zu schnell für einige, doch das Publikum versteht sich schließlich als intellektuell – da darf’s ein bisschen mehr sein vom Studienabbrecher auf der Bühne, hier und da. Den meisten Teil des Abends lauschen die Gäste atemlos, in der Bahnfahrt nach Hause wird ein Veranstaltungsbesucher für seinen Begleiter noch mal alle angesprochenen Themen sortieren müssen.
Böhmermanns eigentliche Waffe – er redet schnell und dennoch abwägend, ganz so, als ob er nur danach sucht, wann nach dem situativ platzierten Spruch oder dem trockenen Tabubruch die eigentliche Botschaft kommen darf. Möglichst soll diese noch nicht einmal gleich erkannt werden, so Böhmermann, der damit zugibt, dass ihm der zweite, tiefere Eindruck lieber ist. Er sucht nach Wirkungstreffern.
Vor, zurück, zur Seite, ran. Ein Boxkampf mit sich und den schnellen Gedanken, Thomas Bille wird zum Stichwortgeber. Und er versteht es, glaubhaft zu vermitteln, dass er sich selbst für fehlerhaft hält und beständig nach Bodenhaftung sucht, das Image des Polizistensohnes, der mit früh für sein Taschengeld zu arbeiten begann, ist eben nicht nur ein Image. Böhmermann ist einer, der sich über 1LIVE Radio, Harald Schmidt-Show und viele weitere Zwischenstationen im wahrsten Wortsinn ganz ohne Uni-Abschluss hochgearbeitet hat.
Einschübe also, die auch denen, die die Stationen des TV-Narren nicht kennen, ganz langsam begreiflich machen, warum er das kann, was er tut: er ist ein bisschen anders, direkter und böser als diejenigen, die nur mal einen Spaß machen wollen.
Folgerichtig, dass Jan Böhmermann (von einigen wohl unbemerkt) die Frage nach der Ökonomisierung unserer Gesellschaft mit dem „Haribo-Stadion“ einleitet und „Red Bull“ meint. Oder Gegenden beschreibt, in denen „der Regionalexpress nicht mehr hält, weil es sich einfach nicht lohnt“ – es entstünden nachvollziehbare Ängste, abgehängt zu sein. Aus diesen Bildern generiert Böhmermann ein gewisses Restverständnis für Leute, die sich offenbar nicht mehr anders zu helfen wissen, als die AfD zu wählen.
Eine Partei, deren Vertreter Böhmermann nie in eine seiner Sendungen einladen würde.
Warum nicht? „Die Ideen der AfD wurden doch alle schon mal in Deutschland und europaweit ausprobiert.“ Auf Twitter steht in seinem Account seit 3. September 2017 zu lesen: „Nur noch 3 Wochen, 21 Tage, bis zum ersten Mal seit Kriegsende wieder die Nazis im deutschen Parlament sitzen. Eine unverzeihliche Schande.“
Immer dann, wenn in dieser oder ähnlichen Stellen des Gespräches Mimik und Gesprochenes nicht ganz zusammenpassen, sieht man dem Bremer beim Grübeln zu: Jetzt Spaß oder doch gleich drauf? Wie viel von mir und wie viel Show? Oder darf’s doch noch ein Schuss Arroganz sein, mit der Böhmermann bekennendermaßen das aus seinem Leben rausdrückt, was einfach zu dumm ist, um darüber auch nur mehr als zwei Minuten sprechen zu können. Wie mit AfD-Politikern zum Beispiel.
Der blasse, dünne Junge liefert
Richtig der Satz gegen Ende des Abends: „Ich werfe nicht nur den Hut in den Ring, sondern mich selbst.“ Die Gefahr, genau deshalb als neuer Heilsbringer auch gekreuzigt zu werden, kennt Böhmermann spätestens, seit sich eine wegen des Flüchtlingsdeals mit der Türkei nervöse Bundeskanzlerin dazu aufschwang, ein Gedicht zu bewerten, ohne den Zusammenhang der satirischen Gesamtnummer zu erwähnen. Schäbig, darf man aus heutiger Sicht sagen, wie auch die eilfertige Löschung des Videos durch das ZDF aus der eigenen Mediathek.
Böhmermann war dennoch betroffen von der indirekten Einladung Angela Merkels an alle Hasser, ihn zu verurteilen, Personenschutz inklusive. Rückblickend betrachtet: Der Narr deckt den faulen Flüchtlings-Kompromiss auf und die Kanzlerin behält Unrecht angesichts des weiteren Verhaltens Erdogans – bis heute. So funktioniert die Eulenspiegelei von Jan Böhmermann selbst dann, wenn er zugibt, natürlich nicht alles vorhergesehen zu haben, was er da herausforderte, als er sich auf Artikel 5 des Grundgesetzes, die „Kunstfreiheit“ berief.
Und was auch an diesem Abend in der Villa Ida zu erhöhten Sicherheitsvorkehrungen wegen Drohungen gegen ihn und seine Familie seitdem geführt hat. Böhmermann zum Umstand, dass nichts so übel ist, dass es nicht auch etwas Gutes hätte: „Dafür bekomme ich jetzt bei Kurden den Döner kostenlos.“
Jan Böhmermann als „Polizistensohn“ in einem Video zu Fremd- und Eigenwahrnehmung im Job.
Quelle: Magazin Royale bei Youtube
Die fundamentale Verschiebung und Absurdität des Vorgangs selbst wird auch an diesem Abend deutlich, wenn Böhmermann die drei erfolglosen Klagen gegen ihn wegen „Lukas (Podolski) Tagebuch“ 2005 gegen den Vorgang einer Kanzlerintervention wegen eines Gedichtes stellt. Angela Merkel hat den Narren verraten und der Narr muss auch deshalb bis heute auf jedes Wort in der Causa „Schmähgedicht“ achten.
Kein Konsens ohne vorherigen Streit
Was zum Beginn des Abends zurückführt und den politischen Jan Böhmermann zeigt. Ganze 37 Tweets zum „Kanzlerduell“ am 3. September. Hier passend die erneute abrupt-ernste Anmerkung des Satirikers, dass ihm der inhaltliche Streit in der Politik fehlt und die Frage, wie eigentlich ohne diesen das Interesse wach und der politische Konsens aus verschiedenen Standpunkten heraus erarbeitet werden soll? Das Kanzlerduell als Ausdruck einer voreilig beschlossenen Konsenssuche ohne Debatte.
Böhmermann über Claus Strunzs Moderatoren-Auftritt: „Ich hätte erwartet, dass er noch mehr Gas gibt, dass es noch mehr auf Äußerlichkeiten ankommt. So, sagen Sie mal Frau Merkel, ist der Schulz nicht scharf?“ Da wäre Stefan Raab noch der bessere gewesen und nun stehe zu befürchten, dass Claus Strunz eine eigene Late-Night-Show bekäme.
Gelächter und dann die Definition von Journalismus: „Es ist notwendig, ein paar ethische und moralische Linien einzuhalten.“ Böhmermann muss nicht einmal sagen, was er von Claus Strunz hält – es entsteht in den Köpfen der aufmerksamen Zuhörer das Bild eines Moderators, der im Kanzlerduell mit falschen Abschiebe-Zahlen aufwartete und den Wutbürger gab.
Dass wirklich niemand ausgelassen wird, bleibt bis zum Ende des zweistündigen Gespräches erhalten. Die öffentlich-rechtlichen Sender seien gut für die Journalismusausbildung, aber ansonsten „bekomme ich auf Netflix mehr für mein Geld“. Und während Böhmermann noch auf verknöcherte Strukturen im öffentlich-rechtlichen Denken eindrischt und fehlende Freude am Experiment unter anderem im Netz attestiert, schiebt Thomas Bille die Frage nach, warum er parallel bei „Spotify“ angeheuert habe. Da, wo die Deutsche Bank und Goldman Sachs Investoren sind, wo es um Gewinnmaximierung und harte Verträge bis hin zu Dumping gehen soll.
Der einzige Moment des Abends vielleicht, wo auch einem öffentlich-rechtlich beauftragten Jan Böhmermann nichts ganz Richtiges einfallen kann. Es gibt eben kein richtiges Leben im falschen und die Gier nach Geld besiegt auch ein Böhmermann nicht allein. Aber er darf auch nach dem „Leipziger Gespräch“ von sich behaupten, das Beste darin zu versuchen. Als selbstironischer, ernsthafter Narr, sehr zum Vergnügen derer, die trotz aller Übel in der Welt bei ihm eine Art Humor finden, der den Kompass fest auf humanistische Grundsätze ausrichtet.
Wohl der eigentliche Grund, warum „Böhmi“ nicht in die große Samstagabendshow passt, eine ganze Rap-Gemeinde hinter sich weiß und längst die gesamtdeutsche Presse aufspringt, wenn „der Jan“ mal wieder ein Ding gedreht hat.
Kommentar: Mal was zum Thema „Kunstfreiheit“ (11.04.2016)
Mal etwas über Kunstfreiheit, das Grundgesetz und einen neuen Satiriker mit Wirkung
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