Für FreikäuferAm Donnerstag, 3. August, versuchte das Sächsische Kultusministerium, den nächsten Tiefschlag bei der Lehrersuche für Sachsen schönzureden. „Fast alle freien Lehrerstellen besetzt“, versuchte es den nächsten Versuch, genug Lehrer für das neue Schuljahr zu finden, zu verkleiden. Aber junge Lehrer halten Sachsen für keinen attraktiven Arbeitgeber.
Das steckt schon allein in dieser nüchternen Zahl: Auf die 1.400 freien Stellen hatten sich lediglich rund 1.160 ausgebildete Lehrer beworben. Davon waren über die Hälfte für die Schulart Gymnasium ausgebildet. Viel zu wenig ausgebildete Lehrer bewarben sich für die Schularten Grundschule, Oberschule und Förderschule, teilte das Ministerium mit.
„Wir finden auf dem Arbeitsmarkt nicht genügend grundständig ausgebildete Lehrer – weder in Quantität noch mit der Ausbildung für die entsprechende Schulart“, versuchte Kultusministerin Brunhild Kurth die Gründe wieder bei den jungen Pädagogen zu suchen, die sich einfach nicht bewerben wollen.
Tatsächlich bildet Sachsen genug Lehrer aus – nur nutzen die jede sich bietende Chance, lieber eine Arbeitsstelle in einem der anderen Bundesländer zu finden, die händeringend Lehrer suchen. Denn neben der besseren Bezahlung gibt es dort ein geordnetes Schulumfeld meist dazu – und eine Schulbürokratie, die ihre Lehrer nicht wie Bandarbeiter behandelt.
Nur eine Fraktion versuchte im Nachhinein, das miserable Ergebnis nun auch für das Schuljahr 2017/2018 noch etwas aufzuhübschen. Denn anders, als die Kultusministerin behauptet, ist der Unterricht überhaupt nicht gesichert.
„Das wichtigste Signal ist: Fast alle der 1.400 offenen Lehrerstellen konnten besetzt werden. Damit wird das Land dem berechtigten Anspruch von Eltern, Lehrern und Schülern in Sachsen für einen gesicherten Start ins neue Schuljahr gerecht. Zugleich werden unsere Weichenstellungen vom vergangenen Jahr bestätigt – die umfangreichen Maßnahmen im beschlossenen Lehrerpaket mit rd. 213 Millionen Euro beginnen zu greifen. Für uns als CDU-Fraktion ist das insgesamt eine positive Entwicklung und keineswegs selbstverständlich, wie ein Blick in benachbarte Bundesländer zeigt“, meint der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Lothar Bienst. Und auch er versucht das Debakel mit dem gleichen Argument zu erklären: „In Anbetracht eines bundesweit leergefegten Arbeitsmarktes für Lehrer ist es wenig überraschend, dass auch in diesem Jahr nicht alle freien Stellen mit grundständig ausgebildeten Bewerbern besetzt werden konnten. Die Einstellung von Seiteneinsteigern ist deshalb notwendig und weiterhin unverzichtbar. Für deren zentrale Fortbildung ist Sachsen mit der zwischen Kultusministerium und Universität Leipzig unterzeichneten Vereinbarung gut aufgestellt. In dem Zusammenhang danke ich auch allen Lehrerkollegien vor Ort, die den Seiteneinsteigern mit ihren Erfahrungen und ihrem Wissen an den fordernden Lehrerberuf heranführen und unterstützen.“
Das Provisorium wird zum Dauerzustand
Jahr um Jahr ähnelt die Arbeit der Kultusministerin einem heillosen Improvisieren.
„Vor zwei Jahren sprach die sächsische Kultusministerin Kurth noch von einem vorübergehenden Zustand und einem ‚Tal der Tränen‘, das durchschritten werden muss. Nun wird immer deutlicher, dass auch auf Jahre hinaus keine Verbesserung der prekären Lage an den Schulen im Freistaat zu erwarten ist und der vorübergehende Zustand ein dauerhafter wird“, kommentiert Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, die tatsächlich alarmierende Meldung zur Lehrerwerbung. „Die in der heutigen Pressekonferenz von Kultusministerin Kurth genannten Fakten und Zahlen machen deutlich, dass Sachsens Schulen Gefahr laufen, im ‚Tal der Tränen‘ unterzugehen. Der Anspruch und das Streben nach guter Qualität in der schulischen Bildung droht im Strudel des Lehrermangels endgültig zu versinken. Vor allem auch, weil die Zahl der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger immer neue Höchststände erreicht und nun schon bei über 50 Prozent aller neu eingestellten Lehrerinnen und Lehrer liegt. Auch deutschlandweit ist dies eine ‚rekordverdächtige‘ Quote. Praktisch bedeutet dieser Durchschnittswert, dass es Regionen und Schulen gibt, die deutlich mehr als 50 Prozent Seiteneinsteiger haben. In der Regionalstelle Bautzen beträgt dieser Wert an den Grundschulen 72 Prozent und an den Oberschulen sogar 77 Prozent.“
Vielen Seiteneinsteigern würden schlicht noch die erforderlichen Qualifikationen fehlen, um sich der anspruchsvollen Aufgabe eines Lehrers oder einer Lehrerin wirklich stellen zu können. Pädagogische, didaktische, psychologische oder auch Fachkenntnisse müssen vielfach noch erworben werden.
„Das braucht Zeit. Die dreimonatige Einstiegsqualifizierung kann hier nur ein erster Schritt sein. Bis zur voll ausgebildeten Pädagogin bzw. zum Pädagogen ist es ein langer Weg, den letztendlich auch nicht jeder Seiteneinsteiger erfolgreich abschließt“, benennt Zais die Hürden bei der Integration von SeiteneinsteigerInnen. „Die Kultusministerin konnte zur Attraktivitätssteigerung des Lehrerberufs bisher keine wirklich wirksamen Maßnahmen benennen. Es fehlen die Konzepte, wie mit den vielfältigen Herausforderungen umgegangen werden sollte. Schon in der Ausbildung an den Hochschulen muss es Veränderungen geben, damit sich junge Menschen auch für ein Studium in bisher weniger gefragten Fächern oder Schularten entscheiden.“
Und dann gibt es da noch das kleine Problem: Die Schülerzahlen steigen stärker als bislang geplant.
„Die Prognose der Entwicklung der Schülerzahlen in Sachsen muss ebenfalls auf den Prüfstand. Nach einer Studie der Bertelsmann Stiftung zur Entwicklung der Schülerzahlen in Deutschland (Juli 2017), liegt die Zahl der Schüler 2025 deutlich über den bisherigen Annahmen. Die aktuelle Einstellungspolitik in Sachsen darf nicht die Fehler der vergangenen Jahre wiederholen, mit Einstellungszahlen weit unter dem tatsächlichen Bedarf zu arbeiten“, meint Zais. „Die Lehramtsausbildung muss insgesamt gestärkt und mit Blick auf die hohe Quote der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger vor allem auch an der TU Chemnitz erweitert und langfristig gesichert werden. Die Erfahrung zeigt, dass nach einem erfolgreich abgeschlossenen Studium Lehrerinnen und Lehrer oftmals in der Region ihres Hochschulstandorts bleiben.“
Die Kultusministerin hat kein Konzept
„Die Personalpolitik der Kultusministerin geht mittlerweile an die Substanz. Die Informationen aus dem Kultusministerium belegen eine nun schon Jahre andauernde Tendenz, den Unterricht in den Schulen trotz einer gegebenen ‚Unterrichtsgarantie‘ nicht absichern zu können. Jetzt rächen sich die Versäumnisse der vergangenen Jahre“ geht die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Falken, auf die lange Vorgeschichte der Misere ein. Denn als Brunhild Kurth 2011 ins Amt kam, steckte Sachsens Schulwesen längst in der Krise, weil sich die Regierung weigerte, genug Lehrer einzustellen. Tausende junge Lehrer wanderten seitdem ab. Und bis heute hat die Bildungsministerin kein Konzept, wie sie sie in Sachsen halten könnte.
Die Ministerin entschuldigt sich für den verspäteten Ausbau der Kapazitäten für Lehramtsstudierende. Aber Falken erinnert daran, dass die Linksfraktion schon 2011 in einem Antrag: „Lehrernotstand abwenden“ ein „Sofortprogramm Qualifizierten Lehrernachwuchs für Sachsen gewinnen‘“ (Parlaments-Drucksache 5/5584) gefordert hatte.
„Das Personalproblem und wie es zu lösen ist, war also lange bekannt. Und die Behauptung, ‚die Staatsregierung habe aus den Fehlern gelernt‘, ist eine Beschönigung. Zutreffender wäre es, davon zu sprechen, dass Not erfinderisch macht“, sagt Falken. „Dementsprechend sehen die Maßnahmen aus. Das Kultusministerium mobilisiert die letzten Reserven: ‚Lehrer im Ruhestand‘ werden als Honorarkräfte angestellt und Lehrkräfte gefragt, ob sie über ihr Stundendeputat hinaus unterrichten. Kurzfristig sollen die Seiteneinsteiger die Unterrichtsversorgung absichern helfen. Ihr Anteil an den Einstellungen beträgt mittlerweile mehr als die Hälfte, genau 52 Prozent. Im Vorjahr waren es noch 48 Prozent. Im Grundschulbereich kommen die Seiteneinsteiger gar auf 66 Prozent und in der Oberschule auf 60 Prozent. Eine Erweiterung des Personenkreises, der für eine Einstellung als Seiteneinsteiger in Frage kommt, hat die Kultusministerin schon angekündigt.“
Logisch, dass die Belastung der Grundschullehrerinnen enorm steigt. Sie müssen neben den Seiteneinsteigern auch den Gymnasiallehrerinnen und -lehrern im Schulalltag der Grundschulen und in der Unterrichtspraxis zur Seite stehen. Dennoch müssen sie mit ansehen, wie die Gymnasiallehrer finanziell besser dastehen als sie selbst. Längerfristig sollen eine Entschlackung der Lehrpläne und eine Änderung der Stundentafel zu einer Entspannung der Personalsituation in den Schulen beitragen. Motto also: Weniger lernen, dann schaffen es die Lehrer auch.
„Eltern und Schüler werden sich von der Vorstellung verabschieden müssen, nicht ständig um die nötigen Ressourcen für einen guten Unterricht bangen zu müssen und ‚keine vollgestopften Schulen und keine Klassenzimmer, die aus den Nähten platzen‘, vorzufinden“, sagt Falken. „Eine Entspannung der Lage stellt die Kultusministerin ‚frühestens in zwei bis drei Jahren‘ in Aussicht. Doch auch diese Aussage ist mehr Hoffnung als Gewissheit.“
Unterrichtsausfall garantiert
Die Freien Wähler Sachsen machen Sachsens Sparminister Georg Unland für die Misere verantwortlich.
„Auch im nächsten Schuljahr wird wegen fehlender Lehrer wieder massiv Unterricht ausfallen. Es wurden zu wenige Lehrer ausgebildet, zu wenig schulart-genau gesteuert, bei den Gehältern gespart und es gibt kein Verbeamtungsangebot“, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende der Freien Wähler, Astrid Beier. „Diesen Wettbewerbsnachteil muss Sachsen endlich aufgeben. Abwanderung in andere Länder ist die Folge. Die Oberschule wurde vernachlässigt und nicht attraktiver gemacht. Seiteneinsteiger sollen die Löcher stopfen, aber auch diese Notlösung ist endlich. Die politische Fehlplanung begann schon vor 2010. Wenn jemand in der Staatsregierung ehrlich Verantwortung übernehmen würde, dann müsste Sparminister Unland jetzt zurücktreten. Er hat vor Jahren zu wenig Lehrerstellen zugelassen und nicht mehr Kapazitäten an den Universitäten für die Lehrerausbildung ermöglicht. Leider hatten sich auch der Ministerpräsident und die CDU-Fraktion dafür nicht stark gemacht.“
Eigentlich hätte die Kultusministerin gute Partner, mit denen sie das Dilemma lösen könnte. Die Gewerkschaften haben sich mehrfach bereiterklärt, gemeinsam mit dem Kultusministerium an Lösungsvorschlägen zu arbeiten.
„Es ist mehr als dringlich, dass das Kultusministerium dieses Angebot ernsthaft aufgreift“, sagt Petra Zais. „Wir erwarten, dass Ministerpräsident Stanislaw Tillich seiner Kultusministerin dabei den Rücken stärkt und den ‚Pakt für Bildung‘ endlich als gemeinschaftliche Aufgabe des gesamten Kabinetts begreift. Wenn die sächsische CDU angesichts der dramatischen Situation bei der Absicherung des Lehrerbedarfs noch immer glaubt, am ‚längeren Hebel‘ zu sitzen und deshalb aller Naselang nur Stückwerk liefert, hat sie die Zeichen der Zeit nicht verstanden.“
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