Man darf über die Sachsen staunen. Wenn man sie nach vernünftigen politischen Lösungen befragt, stimmen sie zu zwei Dritteln für wirklich zukunftsfähige Vorschläge. Wenn dann aber Wahl ist, wählen sie immer wieder das alte, kaum noch funktionsfähige System. So wie beim Thema Bildung. Die CDU, die in Sachsen regiert, sperrt sich mit aller Macht gegen jede Idee einer Gemeinschaftsschule. Die Sachsen aber wollen sie.
Und worüber Cornelia Falken, die bildungspolitische Sprecherin der Linken im Sächsischen Landtag, besonders staunt: Selbst 60 Prozent der CDU-Anhänger befürworten den Vorschlag.
Es ist also ziemlicher Unfug, wenn sich die CDU-Bildungsministerin Brunhild Kurth hinstellt und das Thema längeres gemeinsames Lernen einfach vom Tisch wischt. Möglicherweise aus wahltaktischem Kalkül. Denn es sind ja SPD, Linke und Grüne, die für ein längeres gemeinsames Lernen plädieren, um endlich die radikale Auslese im sächsischen Bildungssystem zu beenden. Denn nichts anderes ist die strikte Trennung der Kinder schon nach der vierten Klasse in Gymnasium und Oberschule.
Die Linksfraktion hatte das Institut Kantar Emnid beauftragt und das hat 1.000 Sachsen per Telefon befragt, wie sie zur Gemeinschaftsschule stehen.
Die Sächsinnen und Sachsen erteilen dem gegliederten Schulsystem, das die Kinder nach der vierten Klasse aussortiert, eine klare Absage. 64 Prozent der Befragten halten die frühe Trennung für falsch – 62 Prozent wollen lieber ein Schulsystem mit nur einer Schulart, die je nach Leistungsniveau differenziert unterrichtet und alle Abschlüsse anbietet. Hinter dieser Gemeinschaftsschule steht eine Zwei-Drittel-Mehrheit in allen Altersgruppen und in den Anhängerschaften aller großen Parteien.
Drei Viertel der Menschen in Sachsen würden dafür unterschreiben, dass ein Volksentscheid zum längeren gemeinsamen Lernen stattfindet – auch je 78 Prozent der Anhänger von CDU und SPD. Das ist das Ergebnis der repräsentativen Umfrage im Auftrag der sächsischen Linksfraktion.
Zur Vorstellung der Ergebnisse sagt Cornelia Falken: „Jetzt ist die Zeit gekommen für eine gemeinsame Initiative quer durch alle Gruppen, die sich für gesellschaftlichen Zusammenhalt engagieren, ob in Vereinen, Initiativen, Parteien, Verbänden sowie kleineren und größeren Organisationen der Gesellschaft. Eine einzige Partei, die CDU, ist dem längeren gemeinsamen Lernen im Weg. Diese Blockade durch einen Volksentscheid aufzulösen wäre ein vernünftiger Weg.“
Eine Zusammenkunft auf Initiative des Vereins „Gemeinsam länger lernen in Sachsen“ e.V. mit zahlreichen Initiativen-Vertretern hat es bereits im Juni gegeben. Für Ende Oktober ist ein weiteres Treffen geplant.
„Wir unterstützen aktiv die Bestrebungen, die verfrühte Trennung der Kinder zu überwinden. Nach Klasse 4 ist noch gar nicht absehbar, welcher Bildungs- und Lebensweg dem einzelnen Kind am besten entspricht. Unsere Gesellschaft ist sozial zerrissen, auch durch das veraltete gegliederte Schulsystem. Sachsen braucht eine moderne Schule, in der nicht gegen-, sondern miteinander gelernt wird“, betont Falken.
Und auch aus der SPD gibt es volle Zustimmung zum Ergebnis.
„Die Ergebnisse der Umfrage zum längeren gemeinsamen Lernen sind ein positiver Impuls für die Debatte“, sagt Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. „Wenn 66 Prozent die Einführung einer Gemeinschaftsschule befürworten, muss sie auch ernsthaft erwogen werden. Hier sollte sich niemand mehr, auch nicht unser Koalitionspartner, der Debatte verweigern. Wir sollten die Zeit bis 2019 nutzen, um ein akzeptiertes Gemeinschaftsschul-Modell zu entwerfen. Letztendlich werden die Wählerinnen und Wähler 2019 die Möglichkeit haben, zu entscheiden.“
Auch die SPD fühle sich durch die Umfrage in ihrer Linie bestärkt.
„Das längere gemeinsame Lernen wird von vielen gewünscht – aber nicht von allen. Deshalb haben wir uns immer dafür eingesetzt, den Schulen diese Möglichkeit zu eröffnen, ohne sie dazu zu verpflichten. Diesen Weg werden wir auch weiterverfolgen“, sagt Friedel. „Ein solches ‚optionales Modell’, wie es inzwischen eine Reihe von Bundesländern kennen, wird beiden Seiten gerecht und kann zum sächsischen Schulfrieden beitragen. Die hohe Akzeptanz von 75 Prozent für eine Volksabstimmung zu diesem Thema bestärkt uns, diesen Weg zu unterstützen.“
So ähnlich sehen es auch die Grünen.
Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion: „Die Ergebnisse bestätigen, dass die Menschen die Frage des längeren gemeinsamen Lernens beschäftigt. Wir Grüne wollen einen gesetzlichen Weg, der diese Möglichkeit optional bietet. Überall dort, wo es vom Schulträger und der Schulkonferenz gewünscht wird, sollte das längere gemeinsame Lernen möglich sein. Chemnitz zeigt mit dem Schulmodell, wie hervorragend das funktioniert. Leider hat die Koalition diesen Weg bei der Schulgesetznovellierung abgelehnt.“
Auch sie plädieren dafür, dass Eltern auch dann noch eine Wahlmöglichkeit bleibt.
„Was wir nicht wollen, ist die Pflicht zur Gemeinschaftsschule“, sagt Zais. „Das lässt sich für mich auch nicht aus den Umfragedaten ablesen. Die Erfahrung zeigt, dass Eltern sehr sensibel reagieren, wenn es um den Bildungsweg ihres Kindes geht. Eine Entscheidungsoption ist daher für die Eltern der richtige Weg. Das wäre auch der von uns unterstütze Ansatz bei einer Initiative für einen Volksentscheid.“
Besonders interessant ist, dass mehr als die Hälfte ein gemeinsames Lernen bis zur achten Klasse bevorzugt. Und die Mehrheit sieht die Entscheidung, ob sie zur Gemeinschaftsschule werden wollen, zuerst bei den Schulen selbst.
Was freilich starke Veränderungen im sächsischen Bildungssystem nach sich zieht. Denn dann wird die Mehrzahl der Schulgebäude zwangsläufig für den Bedarf einer Gemeinschaftsschule ausgelegt sein müssen. Was freilich Schulbestände auch in den Landkreisen deutlich stabiler macht. Die Kinder „verschwinden“ nicht schon nach der vierten Klasse, weil sie ins Gymnasium in der Kreisstadt verschickt werden.
Jetzt müssen sich nur alle Befürworter des gemeinsamen Lernens zusammenfinden und der Debatte ihre ideologische Verkantung nehmen. Denn etwas anderes steckt ja nicht hinter der Sturheit der Bildungsministerin.
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