Am Dienstag, 20. Juni, hat der LandesSchülerRat Sachsen die Ergebnisse des ersten Schülerentscheids seit 1995 vorgestellt. Über 74.000 Schüler haben über die von ihnen bevorzugte Dauer der Grundschulzeit in Sachsen abgestimmt. Die CDU schickte postwendend Frohlocken in die Welt und sieht sich bestätigt. Aber ganz so einfach ist die Sache nicht. Und Leipzig fällt regelrecht aus dem Rahmen.
„Ich sehe die Initiative des Landesschülerrates positiv. Die hohe Beteiligung zeigt mir: Unsere Schüler sind sehr an der Weiterentwicklung unseres leistungsfähigen Schulsystems interessiert und haben dazu klare Vorstellungen. Umso wichtiger war es, auch die Meinung der Betroffenen einzuholen“, meinte am Dienstag der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Lothar Bienst. „Das ist für uns ein eindeutiges Signal und bestätigt unsere Position: Keine Experimente in unserem Schulsystem auf dem Rücken unserer Kinder. Bildungspolitik wird mit uns weiterhin keine Spielwiese für ideologisch motivierte Abenteuer sein.“
„Unsere Schüler“?
Sollen wir jetzt Gänsehaut kriegen?
Tatsächlich war das Ergebnis durchwachsen.
74.205 Schülerinnen und Schüler an 249 sächsischen Schulen haben sich am ersten Schülerentscheid seit 22 Jahren beteiligt. Die Fragestellung des Entscheides lautete: „Sollte die Grundschulzeit auf 6 Jahre verlängert werden?“.
Mit 56 Prozent der Stimmen erzielten dabei die Gegner der sechsjährigen Grundschulzeit und damit Befürworter des bisherigen Modells die Mehrheit, teilt der Landesschülerrat mit. 44 % der Schülerinnen und Schüler befürworteten die Verlängerung der Grundschulzeit auf 6 Jahre.
Landesschülersprecher Friedrich Roderfeld zu diesem Ergebnis: „Die Schülerinnen und Schüler haben uns einen klaren politischen Auftrag erteilt. Sie wollen das bisherige Modell der 4-jährigen Grundschulzeit beibehalten. Eine generelle Ausweitung der Grundschule auf die Klassenstufen 1-6 ist nicht mehrheitsfähig.“
Aber dann geht er dennoch auf Details ein, die nachdenklich machen. Denn die Stimmverhältnisse unterschieden sich von Schule zu Schule deutlich. Auch das Alter der Schüler und die Schulart hatten Einfluss auf die Entscheidung. Schülerinnen und Schüler der unteren Klassenstufen und der Oberstufe entschieden sich häufiger für die Verlängerung der Grundschulzeit als andere.
Die Schüler von Gymnasien und Oberschulen befürworten hingegen mehrheitlich vier, die Schüler von Berufsschulen sechs Jahre Grundschule.
„Das Ergebnis zeigt, dass es durchaus eine kontroverse Debatte an den Schulen gibt. In dieser Frage sind die Schüler keineswegs alle einer Meinung, für uns ein Zeichen, dass wir auch weiterhin die Debatten aufmerksam verfolgen müssen“, sagte Roderfeld.
Tatsächlich macht die Umfrage etwas deutlich, was das flotte Statement von Lothar Bienst gleich wieder wegwischt: Es gibt Schülergruppen, die sind in das jetzige Schulsystem hineingewachsen, haben sich eingefuchst und größtenteils keine Probleme (mehr) damit. Die Haltung, dass sie es gern beibehalten sehen, ist nur zu verständlich.
Aber das betrifft vor allem die Schüler der 7. Klassen aufwärts. In den 5. und 6. Klassen die Haltung also sichtlich noch eine andere.
So sieht es auch Sabine Friedel, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Faktion: „Wer mit dem System gut zurechtkommt und sich arrangiert hat, will es behalten. Die jüngsten und die ältesten Schüler dagegen sprechen sich für eine Veränderung aus. Für die Schüler in der 5. und 6. Klasse wiegt die Trennung vom Freundeskreis und der Druck in der 4. Klasse stark, für die Schüler der Oberstufe die Frage kurz vor dem Schulabschluss, wie es jetzt weitergeht und ob man wirklich die richtige Schulart gewählt hat.“
Sie sieht keineswegs einen Grund für das Ende der Diskussion: „Das Ergebnis bestätigt unsere Linie: Das längere gemeinsame Lernen wird von vielen gewünscht – aber nicht von allen. Deshalb haben wir uns immer dafür eingesetzt, den Schulen diese Möglichkeit zu eröffnen, ohne sie dazu zu verpflichten. Diesen Weg werden wir auch weiterverfolgen. Ein solches ‚optionales Modell‘, wie es inzwischen eine Reihe von Bundesländer kennen, wird beiden Seiten gerecht. Das Votum der Schülerinnen und Schüler gibt Rückenwind, für diesen Kompromiss weiterzukämpfen.“
„Die Daten ergeben, dass in den Klassenstufen 5 und 6 sowie in der gymnasialen Oberstufe, den Schulen beruflicher Bildung und den Schulen des zweiten Bildungsweges überdurchschnittlich viele Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens zu finden waren. In diesen Klassen/Kursen waren die Befürworter oft die stärkere Fraktion oder erzielten zumindest überdurchschnittliche Ergebnisse“, stellt der LandesSchülerRat fest. Es gibt also ziemlich konkrete Schülergruppen, die die frühe Trennung der Schüler als Problem betrachten.
Und noch ein Ergebnis lässt aufhorchen: „Von den 249 teilnehmenden Schulen gab es an 170 eine relative Mehrheit gegen die Verlängerung der Grundschulzeit bis zur Klasse 6, an 79 war das Gegenteil der Fall. Damit ist das Verhältnis hier deutlich klarer als bei Verteilung der Gesamtstimmzahlen.“
Aber das bedeutet eben auch, dass sich in der Befragung auch regionale Probleme widerspiegeln. Denn gerade dort, wo die Auslese zwischen Oberschülern und Gymnasiasten besonders stark ist, kippen auch die Mehrheiten für die Trennung nach vier Schuljahren.
Und dabei fällt ausgerechnet Leipzig völlig aus dem Rahmen: Nur hier überwiegen mit 52 Prozent die Befürworter des längeren gemeinsamen Lernens gegenüber den Ablehnern mit 48 Prozent. Was zumindest ein Hinweis darauf ist, dass die Unwucht des sächsischen Bildungssystems in Leipzig besonders spürbar ist – fehlende Lehrer, vollgestopfte Klassen, rapide Unterschiede bei der Bildungsempfehlung.
Der LandesSchülerRat wolle nun die Meinung der sächsischen Schülerinnen und Schüler in dieser Frage in die Politik und die bildungspolitischen Gremien tragen, meint Roderfeld: „Wir werden uns weiterhin an der Debatte beteiligen. Aber unsere Position ist klar formuliert: Keine sachsenweite Verlängerung der Grundschulzeit.“
Was dann Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, überrascht: „Eine Mehrheit von 56 Prozent wertet der Landesschülerrat als politischen Auftrag, sich zukünftig nicht für entsprechende Bestrebungen nach längerem gemeinsamen Lernen einzusetzen. Diese Schlussfolgerung überrascht uns. Aus zwei Gründen. Zum einen gibt es die 44 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die sich für ein längeres gemeinsames Lernen ausgesprochen haben. Das ist eine nicht zu unterschätzende Größe. Und zum anderen hat die JAKO-O-Bildungsstudie von 2014 deutlich gemacht, dass eine deutliche Mehrheit der Eltern längeres gemeinsames Lernen befürwortet. Wir Grüne bleiben dabei: Überall dort, wo es vor Ort gewollt ist, sollte es die Möglichkeit für längeres gemeinsames Lernen geben. Dafür werden wir uns auch weiter einsetzen.“
Was aber dann? Denn so eindeutig, dass man nichts ändern müsste, ist das Ergebnis nicht. Es weist ziemlich deutlich darauf hin, dass es an einer nicht unerheblichen Zahl von Schulen Probleme beim Übergang gibt. Und dass eine Gruppe (die Berufsschüler) die frühe Trennung auch nach Jahren noch als Handicap in der eigenen schulischen Karriere begreift.
Im Grunde ein seltsamer „Sieg“ für die reformunwillige CDU, denn wieder sind jene, die unter der frühen Auslese am stärksten leiden, in der Minderheit geblieben. Und dass der LandesSchülerRat daraus eine Auforderung zum Beisteuern abliest, ist regelrecht tragisch. Damit wird ein sehr differenziertes Problem wieder mit einer Mehrheitsentscheidung vom Tisch gewischt und für obsolet erklärt. Kluge Politik ist das nicht.
Die neue LZ Ausgabe Juni 2017 ist seit Freitag, 16. Juni 2017 im Handel
Keine Kommentare bisher