Da gibt die Stadt Leipzig zum 1.000-Jahre-Jubiläum ihrer Ersterwähnung extra viel Geld aus für eine vierbändige Stadtgeschichte, in der kompetente Leute aufschreiben, was historisch wirklich belegbar ist. Und dann scheint im Rathaus niemand diese dicken Bücher zu lesen. Ergebnis: eine Tafel am Neuen Rathaus mit dicken Schnitzern aus dem Reich der Leipziger Mythen.
Im Zuge des 500-jährigen Reformationsjubiläums will Leipzigs Verwaltung auch unbedingt an die Leipziger Disputation zwischen Martin Luther und Johannes Eck erinnern. Die fand zwar erst 1519 statt – man hat also noch zwei Jahre Zeit bis zur Würdigung. Aber man möchte irgendwie auch gleich das Jubiläum des Thesenanschlags 1517 nutzen.
“Am historischen Ort, der ehemaligen Pleißenburg und heutigem Neuen Rathaus, enthüllen Oberbürgermeister Burkhard Jung, Martin Henker, Superintendent des Kirchenbezirks Leipzig, und Prof. Armin Kohnle von der Theologischen Fakultät der Universität Leipzig am 11. Mai, 17 Uhr, einen Erinnerungsort”, lud das Rathaus ein. Da schwante einem schon beim Lesen nichts Gutes. “Die Enthüllung ist öffentlich und alle interessierten Leipzigerinnen und Leipziger sind herzlich dazu eingeladen. Der Erinnerungsort zeigt die Porträts von Martin Luther und Johannes Eck und enthält folgenden Text …”
Und das hat dann der Leipziger Künstler Harald Alff im Auftrag des Kulturamtes tatsächlich auf die Tafel geschrieben:
“LEIPZIGER DISPUTATION Vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 fand im Markgräflichen Schloss, später Pleißenburg genannt, das Streitgespräch zwischen Martin Luther und Johannes Eck über die Glaubenspraxis und die Autorität der Kirche statt. Diese Disputation, ausgetragen vor dem Landesherrn Herzog Georg von Sachsen, wurde nicht nur zu einem Hauptereignis der Leipziger Kirchengeschichte, sondern war von epochaler Bedeutung für die Entwicklung von Martin Luthers Denken und den weiteren Verlauf der Reformation. Während dieser Debatten wurden die Weichen für den endgültigen Bruch mit dem Papsttum gestellt. Das im Jahr 1905 eingeweihte Neue Rathaus befindet sich auf einem Teil der ehemaligen Pleißenburg.”
Immerhin steht da, dass die Disputation im Markgräflichen Schloss stattfand. Was schon ein Fortschritt ist. Viel zu viele Publikationen zur Leipziger Stadtgeschichte behaupten noch immer, sie habe in der Pleißenburg stattgefunden.
Hat sie aber nicht. Was die Tafel zwar nicht behauptet, aber sie behauptet, das Markgräfliche Schloss sei “später Pleißenburg genannt” worden.
Was so nur bedingt stimmt und eigentlich die Sache nur verwirrt.
Oder mal Enno Bünz zitiert, der dazu im ersten Band der Leipziger Stadtgeschichte ein ganzes Kapitel schrieb: “Allerdings ist es nicht zutreffend, wenn die mittelalterliche Burg, die in diesem Bereich stand, als Pleißenburg bezeichnet wird, wie es durchgängig in der Literatur geschieht, denn diese Bezeichnung ist erst für die landesherrliche Festung aufgekommen, die ab 1547 errichtet wurde.”
Enno Bünz, Inhaber des Lehrstuhls für Sächsische Landesgeschichte an der Uni Leipzig, ist einer, der es wissen muss. Und der vor allem weiß, dass man möglichst die Primärquellen nutzt, nicht immer nur von anderen Leuten abschreibt.
Ergebnis: Vor dem Bau der kurfürstlichen Festung Pleißenburg unter Regie von Bürgermeister Hieronymus Lotter ab 1549 nannte niemand die Burg Pleißenburg.
Enno Bünz: “Noch Konrad Wimpina spricht in seiner humanistischen Beschreibung der Stadt Leipzig von 1488 / 1489 lediglich von der Burg (arx), welche die Flüsse überrage, legt ihr aber keinen Namen bei. Auch die recht präzise Stadtansicht von 1547 bezeichnet den zusammengeschossenen Gebäudekomplex im Südwesten der Stadt einfach als das schloss. Erst im Laufe des 16. Jahrhunderts ist der Name Pleißenburg aufgekommen.”
Auf der Tafel hätte also richtiger gestanden: “Vom 27. Juni bis zum 15. Juli 1519 fand im Markgräflichen Schloss, das an dieser Stelle stand, das Streitgespräch zwischen Martin Luther und Johannes Eck über die Glaubenspraxis und die Autorität der Kirche statt.”
Um die Pleißenburg unterzubringen, hätte der nächste Satz lauten können: “1549 wurde an Stelle des Schlosses die Festung Pleißenburg gebaut.”
Oder mal in der historischen Übersicht:
1217 begann Markgraf Dietrich an dieser Stelle mit dem Bau einer Zwingburg, die später mehrfach umgebaut wurde und im 15. Jahrhundert das Aussehen eines Renaissanceschlosses bekam. Baumeister unbekannt.
1519 fand in der Hofstube dieses landesherrlichen Schlosses die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck statt.
1547 wurde das Schloss während der Belagerung Leipzigs im Schmalkaldischen Krieg zerschossen.
1549 begann an seiner Stelle der Bau der Festung Pleißenburg unter Leitung von Hieronymus Lotter.
1897 beginnt der Abbruch der Pleißenburg, übrig bleiben die Kasematten und der Rumpf des Turmes
1899 beginnt der Bau des Neuen Rathauses an dieser Stelle
1905 wird das Neue Rathaus eingeweiht
An der Stelle irgendwie, wo jetzt der Gedenkort zu sehen ist, befand sich also das Markgräfliche Schloss mit der Hofstube, wo disputiert wurde. Aber da nun wieder die Pleißenburg dick und fett im Text steht, kann man davon ausgehen, dass auch künftig allerlei Bücher zur Leipziger Stadtgeschichte den alten Unfug weiterverbreiten.
Ein Anderer war tatsächlich mal auf der Pleißenburg, aber das war nicht Luther, sondern Goethe. Aber das ist eine andere Geschichte.
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Es gibt 2 Kommentare
Wir haben es mal umjubiliert. Danke 😉
Ihr M.F.
Es ist übrigens das 1000. Jubiliäum. Ein tausendjähriges Jubiläum wäre ein Jubiliäum, dass seit 1000 Jahren ununterbrochen anhält 😉