Eigentlich kann man die VG Wort nur auflösen. In der jetzigen Form ist diese Verwertungsgesellschaft nicht nur ein Verteilmechanismus für eine kleine Zahl Urheber-Eliten, sie erweist sich auch immer mehr als eine Einrichtung, die ihre Verteilungsmacht dazu nutzt, freie Informationsflüsse zu zerstören. Die Studierenden der Uni Leipzig haben jetzt schon das Gefühl, in einen völlig ungewollten Streik hineingedrängt zu sein.
Dass die Verwertungsgesellschaft, die Tantiemen auf Zweitverwertungsrechte einsammelt und an die Urheber verteilt, jetzt auch die Studierenden auf die Palme bringt, hat mit einer neuen Rahmenvereinbarung der deutschen Kultusministerkonferenz mit der VG Wort zu tun, die deutsche Hochschulen nicht mehr mit einer Pauschale für die dort verwendeten urheberrechtlichen Werke belegt, sondern jetzt jede Einzelnutzung seitengenau honoriert haben will – ein gigantischer bürokratischer Aufwand. Und vor allem: Das Kostenrisiko tragen dann die Studierenden, die sich die Literaturquellen per Scan oder Kopie besorgen wollen.
„Es gibt keine plausiblen Gründe für eine Änderung des bisherigen Systems, nach dem die Universitäten eine Pauschalvergütung an die VG Wort bezahlen. Stattdessen müssen wir Studierenden mit einem erheblichen zeitlichen und finanziellen Mehraufwand rechnen, obwohl der Status Quo eine praktikable Lösung darstellt. Dieses Abkommen ist in dieser Form schlicht nicht annehmbar“, erklärt Lasse Emcken, Referent für Hochschulpolitik des StuRa.
„Der daraus resultierende und vermeidbare zeitliche Mehraufwand für Dozierende wie Studierende, aber ebenso die steigenden Kopierkosten können wir so nicht akzeptieren“, erklärt auch Jérôme Buske, Sprecher der Juso-Hochschulgruppe Leipzig.
Die Kultusminister – die aus Sicht des StuRa überhaupt nicht für dieses Thema an den Hochschulen zuständig sind – haben einen Rahmenvertrag unterschrieben, der Dozenten und Studierende geradezu in eine Risiko-Zone des Urheberrechts drängt. Das Ergebnis ist absehbar: Auf die Verwendung einschlägiger Bücher wird künftig verzichtet werden, was der Lehre ganz bestimmt nicht zuträglich ist.
Es ist nicht der einzige dubiose Vorgang um die VG Wort in letzter Zeit. Die 100-Millionen-Euro-Rückforderungen an deutsche Verlage haben ja schon für Furore gesorgt. Dahinter stand ein Gerichtsurteil, das nur noch Autoren die Ausschüttung der Tantiemen zugesteht. Bislang haben Verlage und Autoren anteilig an den Ausschüttungen partizipiert. Der Deutsche Börsenverein befürchtet für hunderte kleiner Verlage das Aus – nicht nur, weil sie nun Gelder an die VG Wort zurückzahlen müssen, die sie seit 2012 erhalten haben, sondern auch, weil ein Teil ihrer Produktion – vom Lektorat bis zur Buchgestaltung – jetzt nicht mehr refinanzierbar ist. In diesem Fall haben Richter eine sehr enge Sicht auf das Urheberrecht gezeigt. Mal wieder, muss man sagen.
Den sächsischen Hochschulen jedenfalls droht jetzt, dass ab 1. Januar 2017 keine urheberrechtlich geschützten Materialien mehr in der Lehre und Forschung eingesetzt werden dürfen. Denn dann tritt der Rahmenvertrag von Bund und Ländern mit der Verwertungsgesellschaft Wort in Kraft. Damit einher gehen Änderungen in der Vergütung von Ansprüchen bei der auszugsweisen Nutzung von urheberrechtlich geschützten Werken in Unterricht und Forschung.
„Die sächsischen Hochschulen haben wieder einmal die Wahl zwischen Pest und Cholera“, erklärt dazu Dr. Claudia Maicher, hochschulpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag. „Entweder sie stimmen einem Rahmenvertrag von Bund und Ländern mit der Verwertungsgesellschaft Wort zu. Dann müssen sie ab 1. Januar 2017 jede einzelne Seite, die aus einem urheberrechtlich geschützten Werk stammt, erfassen und abrechnen. Das ist ein nicht zu bewältigender Aufwand. Oder sie dürfen diese Werke in der Lehre und Forschung ihren Studierenden oder Forschungsgruppen nicht mehr zur Verfügung stellen, ohne Schadenersatzansprüche fürchten zu müssen. Die ersten Hochschulen haben sich gezwungenermaßen bereits für den zweiten Weg entschieden.“
Unter dem Deckmantel, die Rechte der Urheber zu stärken, wird das Urheberrecht in Deutschland gerade systematisch angegriffen. Davon profitieren aber am Ende nicht die Urheber, sondern lediglich die Abmahnkanzleien.
Wie es nun ab 1. Januar weitergeht, ist völlig unklar.
„Das ist ein unhaltbarer Zustand. Der ungehinderte Zugang zu Wissen ist entscheidend für die Qualität von Forschung und Lehre“, sagt Maicher. „Es muss eine Lösung gefunden werden, die es den Hochschulen weiter ermöglicht, auch geschütztes Material einzusetzen, ohne einen bürokratischen Aufwand zu schultern, der seinesgleichen sucht.“
Die Landtagsfraktion der Grünen hat deshalb einen entsprechenden Antrag formuliert.
„Die nahende Prüfungszeit und anstehenden Forschungsprojekte brauchen eine schnelle Lösung, die von Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange (SPD) und den Hochschulen gemeinsam gesucht werden muss. Wir als Landesgesetzgeber sind in der Pflicht, unsere Hochschulen in dieser Situation nicht allein zu lassen. Wenn es der CDU/SPD-Koalition ernst mit ihrer vielbeschworenen Planungssicherheit für die Hochschulen ist, dann müssen sie unserem Antrag zustimmen.“
Die Stellungnahme der Juso-Hochschulgruppe.
Das Rundschreiben des Rektorats der Uni Leipzig zum Thema.
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