Wer nun glaubt, nur der kleine Koalitionspartner SPD habe nun auf einmal genug von der Unfähigkeit der dauerregierenden CDU, die Personalprobleme des Freistaats Sachsen zu lösen, der irrt. Grüne und Linke haben von der Aussitz-Politik genauso die Nase voll. Denn die zerstört mittlerweile die Funktionsfähigkeit des Landes. Deswegen haben sie jetzt einen Offenen Brief verfasst. Gemeinsam. Ans Sächsische Regierungskabinett.
Das sind die versammelten Minister von CDU und SPD und der Ministerpräsident. Da wird normalerweise abgestimmt, was die Regierung tut und verkündet. Aber seit Duligs Interview im „Stern“ ist klar: Auch die SPD hat dort zunehmend das Gefühl, gegen eine Wattewand anzurennen, immer nur schale Kompromisse aushandeln zu können, bei der wirklichen Lösung von Problemen aber immer wieder draußengehalten zu werden.
Explizit betrifft das den hausgemachten Lehrermangel in Sachsen. Über Jahre hat die sächsische Regierung zu wenige Lehrer eingestellt, hat das Schulwesen so behandelt, als wären Schüler nur Fließbandprodukte, die man am effizientesten durchschleift durchs System, wenn man so wenig Lehrerinnen und Lehrer wie möglich beschäftigt, möglichst viele Schulen schließt und die Klassenräume so voll stopft, wie es geht.
Seit 2012 hätte die CDU, die das Ressort für Kultus dauerhaft besetzt, Lösungen finden können. Damals schmiss der damals verantwortliche Kultusminister Roland Wöller hin, weil die seit 2009 fortgeführte Sparpolitik bei Lehrern die ersten großflächigen Schäden im Schulsystem zeigte und er am zuständigen Finanzminister mit Bitten um eine bessere Personalausstattung regelmäßig abprallte. Seine Nachfolgerin Brunhild Kurth, die zeitweise als Garantin für eine Lösung verkauft wurde, hat das Dilemma nur weiter verwaltet und die Löcher immer weiter aufreißen lassen. Mit der eigentlich alarmierenden Folge, dass sie zum Beginn des Schuljahres 2016/2017 nicht einmal mehr die Hälfte der zu besetzenden Stellen mit ausgebildeten Lehrern bestücken konnte.
Da hilft auch nicht, wenn Sachsen eigentlich genügend qualifizierte Lehrerinnen und Lehrer ausbildet – mittlerweile wandern sie auch deshalb lieber in andere Bundesländer ab, weil die Bezahlung in Sachsen schlechter ist und die Arbeitsbedingungen nach all den Sparrunden kaum noch zumutbar.
Es ist ein Alarmbrief, den die bildungspolitischen Sprecherinnen der Linksfraktion und der Grünen-Fraktion, Cornelia Falken und Petra Zais, zur immer noch fehlenden Einigung zum Lehrermangel an das Regierungskabinett geschrieben haben. Ob er bei den entscheidenden drei Personen ein Umdenken auslöst? Der Zweifel ist groß.
Motto ihres Vorstoßes: „Nicht länger jammern und trödeln – Sofortmaßnahmen gegen Lehrkräftemangel einleiten!“
Der Offene Brief:
„Sehr geehrter Ministerpräsident Tillich,
Sehr geehrte Ministerinnen und Minister!
Vor vier Jahren war die Unterrichtsversorgung nach Aussage der Kultusministerin noch ‚auf Kante genäht‘. Heute, nach dem Start ins Schuljahr 2016/2017, hat sich die Situation noch dramatisch verschlechtert: Die Unterrichtsversorgung ist nach Aussage der Kultusministerin ‚angespannter denn je‘. Wir sagen: Sie ist längst nicht mehr flächendeckend gewährleistet. Es gelingt Ihnen einfach nicht, den Lehrermangel in Sachsen zu bekämpfen. Ihre Personalpolitik beschränkt sich auf das Stopfen von Löchern.
Spätestens seit dem Auslaufen des Bezirkstarifvertrages für Gymnasial- und Mittelschullehrer 2006/2007 wussten Sie, was kommt. Schon damals hätten mehr Lehrkräfte eingestellt werden müssen, um vorzusorgen. Es blieb genug Zeit, um die Lehramtsausbildung aufzustocken. Es bestand die Chance, für konkurrenzfähige Gehälter zu sorgen. Das alles haben Sie unterlassen. Nun bekommt die CDU-Kultusministerin die Krise nicht in den Griff, während der CDU-Ministerpräsident schweigt und der CDU-Finanzminister Geld blockiert, um ‚für kommende Generationen‘ zu sparen. Was aber wird aus der heutigen Generation?
Ihre Politik hat Sachsens Schulen in eine Notlage manövriert. Die Schülerzahlen steigen – erfreulicherweise. Gleichzeitig verlassen immer mehr Lehrer altersbedingt die Schulen, bis 2030 werden das etwa 80 Prozent des heutigen Personalbestandes sein. Die Einstellung junger Lehrkräfte gelingt Ihnen jedoch nur in einem unzulänglichen Maße. Das Lehrpersonal wird verschlissen, wie die hohen Krankenstände und die zahlreichen vorzeitigen Ruhestandseintritte zeigen. Dennoch sieht die Kultusministerin die sächsischen Schulen ‚auf einem guten Weg‘. Kritik an ihrer Bildungspolitik weist sie als ‚Abwerbemaßnahme‘ sächsischer Lehrkräfte zurück. Diese scharfe Rhetorik offenbart Ihre große Verunsicherung.
Nach Auffassung der Landtagsfraktion von LINKEN und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN erweist sich die sächsische Regierung als unfähig, eine konstruktive Personal- und Bildungspolitik zu betreiben. Das zeigen die gescheiterten Verhandlungen über Maßnahmen zur Behebung des Lehrermangels zwischen Finanz- und Kultusministerium sowie der GEW und der dbb-Tarifunion sowie der Streit über das neue Schulgesetz.
Wir betrachten es als skandalös, mit welcher Ignoranz die Staatsregierung die selbst verursachten Probleme auf dem Rücken der SchülerInnen, Eltern und LehrerInnen austragen will. Der CDU, die sämtliche Kultusminister hierzulande stellte, mangelt es an Respekt und vor allem an Wertschätzung gegenüber den LehrerInnen, die jahrelang die Lasten der Umbrüche getragen haben und immer mit der Aussicht auf bessere Zeiten vertröstet wurden. Statt besserer Zeiten folgt nach CDU-Lesart ein ‚Tal der Tränen‘. Das ist an Zynismus nicht zu überbieten.
Wir fordern die Sozialdemokraten auf, ihre Mindestforderungen in der Bildungspolitik aus der Zeit, in der sie die Oppositionsbänke drückten, nicht aufzugeben und in der Koalition auf attraktive Bedingungen für den Lehrerberuf in Sachsen zu dringen.
Wir fordern Sie als sächsische Staatsregierung auf, unverzüglich und mindestens die folgenden Maßnahmen zu treffen:
– Den Lehrerberuf an Grundschulen und Mittelschulen aufwerten – Pflichtstundenzahl reduzieren (von 28 auf 26 in Grundschulen, von 26 auf 25 an Mittelschulen) und Entlohnung verbessern (Höhergruppierung von Entgeltgruppe 11 zunächst mindestens in Entgeltgruppe 12 an Grundschulen, generelle Höhergruppierung aller Lehrkräfte in die Entgeltgruppe 13 an Mittelschulen).
– Sichere Rahmenbedingungen für Seiteneinsteiger schaffen – vor dem Lehreinsatz ein halbes Jahr Weiterbildung bei vollem Gehaltsbezug garantieren, Betreuung durch Mentoren gewährleisten.
– Zulagen für ältere LehrerInnen gewähren.
– Altersermäßigungen ausbauen statt abbauen – Lehrkräften ab dem 63. Lebensjahr drei Ermäßigungsstunden einräumen.
– In allen Klassen eine Klassenleiterstunde pro Woche einführen.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Zais & Cornelia Falken“
In eigener Sache – Wir knacken gemeinsam die 250 & kaufen den „Melder“ frei
https://www.l-iz.de/bildung/medien/2016/10/in-eigener-sache-wir-knacken-gemeinsam-die-250-kaufen-den-melder-frei-154108
Es gibt 3 Kommentare
Die Kurzsichtigkeit der sächsischen Staatsregierung hinsichtlich einer nachhaltigen Personalpolitik betrifft nicht nur Lehrer und Polizei sondern den gesamten öffentlichen Dienst im Freistaat. Seit über 25 Jahren in der Finanzverwaltung tätig habe ich bisher noch keinen Finanzminister erlebt, welcher weitsichtig dachte und handelte. Die meisten waren ja noch nicht mal vom Fach, sondern hatten halt das richtige Parteibuch. Getrieben von der Ansicht, dass das Personal der größte Kostenfaktor ist und am besten ehrenamtlich arbeiten sollte oder höchstens für ein Almosen, wurde von Haushaltsplan zu Haushaltsplan überlegt wie dort gespart werden kann. Die altersbedingten Abgänge lagen doch weit weg und Warnungen der Gewerkschaften bzw. Interessenvertretungen wurden überheblich sowie besserwisserisch zur Seite gewischt. Statt dessen gab es u.a. das Abenteuer Landesbank, deren Niedergang mitsamt den noch immer zu zahlenden Bürgschaften für die Hauptverantwortlichen ohne Folgen blieb. Da jedoch seit der Wende mehrheitlich die CDU gewählt wird, muss sich niemand über deren Gebaren wundern. Bedenklich finde ich generell, dass sich sowohl bundesweit als auch sachsenweit ein ganzes Volk von im Verhältnis zur Einwohnerzahl wenigen Parteien und deren Mitgliedern gängeln lassen müssen.
Die Forderungen der GRÜNEN und LINKEN sind allerdings völlig unzureichend, um den Lehrermangel zu beheben. Damit wird nicht ein Lehrer nach Sachsen gelockt.
Am Freitag 21.10. führte die Sparpolitik der selbsternannten Staatspartei CDU dazu, dass ganze Klassen an der 172. Schule in Lindenau/Leutzsch einen “Hausarbeitstag” durch die Schulleitung angeordnet bekamen. Nach sächsischem Schulgesetz ist dies jedoch nicht vorgesehen.
Ist hier endlich mal eine Fehlentwicklung zu sehen, die auch von der CDU anerkannt wird?