Da hilft auch kein Schรถnreden mehr, kein Zeigen mit dem Finger auf andere. Seit vier Jahren ist Brunhild Kurth (CDU) Kultusministerin in Sachsen. Vier Jahre lang hat sie es irgendwie geschafft, die Lรถcher zu stopfen in Sachsens Schulen. Mehr schlecht als recht. Doch am Donnerstag, 16. Juni, musste sie vor dem Hauptpersonalrat der sรคchsischen Lehrer Farbe bekennen. Die Lรถcher lassen sich nicht mehr stopfen.
Von den neu einzustellenden 1.200 Lehrerinnen und Lehrern im neuen Schuljahr fehlen ihr 240. Mindestens, meldete die โFreie Presseโ am 17. Juni. 960 neue Lehrer hat sie unter Vertrag nehmen kรถnnen. Aber viele davon sind Seiteneinsteiger. Und โ was noch schwerer wiegt โ vieles davon sind Vertragsverlรคngerungen fรผr junge Pรคdagogen, die in den vorhergehenden Einstellungsrunden nur befristete Vertrรคge bekommen hatten. Aber auch da hatten sie schon als voller Ersatz fรผr ausscheidende Lehrkrรคfte gezรคhlt.
Deswegen geht der Landesschรผlerrat noch weiter und geht von mindestens 1.000 Lehrkrรคften aus, die zum Schuljahresbeginn noch fehlen. Denn eigentlich mรผssten sogar รผber 2.000 Lehrer zusรคtzlich eingestellt werden โ um die seit sieben Jahren aufgerissenen Lรถcher zu stopfen und um den Zuwachs an Schรผlern aufzufangen. Denn die Schรผlerzahlen in Sachsen wachsen.
Aber seit รผber sieben Jahren gehen sรคchsische Kultusminister von den vรถllig รผberholten Prognosen des Statistischen Landesamtes aus, haben damit immer wieder begrรผndet, dass sie viel weniger Lehrer eingestellt haben, als sie tatsรคchlich brauchten.
Dass sich das die Kultusminister nicht selbst ausgedacht haben, wurde 2012 deutlich, als der damalige Kultusminister Roland Wรถller (CDU) das Handtuch schmiss nach einem kurzen, geradezu zaghaften Versuch, die Personalmisere zu beenden. Er konnte gegen das Spardiktat der eigentlichen Entscheider in der CDU-gefรผhrten Regierung nicht ankommen. Und er konnte den Raubau am sรคchsischen Bildungssystem nicht lรคnger mit ansehen. Da verlieร er lieber das Amt.
Brunhild Kurth, die selbst aus dem sรคchsischen Bildungsapparat kam, folgte nach und versprach, die Sache besser zu meistern. Sie entwickelte die Kunst der Provisorien, des Lรถcherstopfens, der Notfallplรคne. So konnte sie โ zumindest fรผr alle, die es gar nicht so genau wissen wollten โ vier Jahre lang kaschieren, wie die Lehrer in Sachsen nun erst recht wie Baustellenpersonal eingesetzt wurden โ ohne jeglichen Personalpuffer, ohne Zeitpuffer.
Es gibt Parteien, die so etwas Effizienz nennen.
Tatsรคchlich ist das ein System auf Verschleiร. Bei dem selbst fragende Abgeordnete im Landtag kein vollstรคndiges Bild mehr bekommen รผber wirklich verfรผgbare Lehrkrรคfte, ihre wirkliche fachliche Eignung und die tatsรคchliche Absicherung des Unterrichts. Alle Zahlen sind nur ein Ausschnitt aus einem zunehmend diffundierenden Bild.
Und obwohl in Sachsen die ganze Zeit genรผgend Lehrer ausgebildet wurden, gibt jetzt Brunhild Kurth selbst zu, dass sie nicht mehr genรผgend binden kann fรผr das sรคchsische Bildungssystem. Die Hรคlfte aller Pรคdagogen, die bis 2014 in Sachsen ausgebildet wurden, haben das Land verlassen mรผssen, weil sie partout keine Stelle im sรคchsischen Bildungssystem finden konnten. Obwohl nicht nur Gewerkschaften und Schรผlervertreter anmahnten, die Lรถcher endlich zu stopfen. Doch wenn Brunhild Kurth beim Finanzminister vorsprach, gab es stets nur magere Zusagen fรผr provisorische Lรถsungen.
Katharina Schenk, Landesvorsitzende der Jusos Sachsen, zieht fรผr die vier Jahre Lรถcherflicken unter Brunhild Kurt eine vernichtende Bilanz: โJetzt ist es so weit: Die ewige Erzรคhlung ehemaliger und aktueller CDU-Kultusminister und -ministerinnen, dass nur der Schulstart abgesichert werden mรผsse und dann wรผrde schon alles gut, kommt spรคtestens jetzt zu einem traurigen Ende. Es mangelt nun auch ganz offiziell an Lehrkrรคften. Mindestens 240 LehrerInnen fehlen, um den Unterricht an sรคchsischen Schulen zumindest ansatzweise abzusichern. Viele Stellen kรถnnen lediglich mit SeiteneinsteigerInnen besetzt werden.โ
โNach einer vierjรคhrigen Amtsperiode zeigt sich: Die Kultusministerin bekommt den Lehrermangel nicht in den Griffโ, sagt auch die bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion, Cornelia Falken. โIhre Personalpolitik beschrรคnkt sich darauf, Lรถcher, die sich immer wieder auftun, zu stopfen. Trotz der Beteuerungen der Kultusministerin, dass alles โreibungslosโ verlaufen werde, bangen Eltern, Lehrkrรคfte und Schรผlerinnen und Schรผler zu Beginn eines jeden Schuljahres um die nรถtigen Ressourcen.โ
Lรคngst hรคtte die Kultusministerin ein Personalentwicklungskonzept vorlegen mรผssen, damit endlich einmal sichtbar wird, wie viele Lehrer tatsรคchlich gebraucht werden.
Aber es fehlt โ fast zwei Jahre nach dem Koalitionsvertrag โ immer noch, kritisiert Schenk: โEs zeugt schon von einem sehr fragwรผrdigen Amtsverstรคndnis, wenn die zustรคndige Ministerin erst die Frist fรผr das im Koalitionsvertrag vereinbarte Personalentwicklungskonzept verstreichen lรคsst und jetzt vor Zweckoptimismus sprรผht. Wer jetzt erst anfรคngt um Fachkrรคfte zu werben, hat die Lage ganz offenbar systematisch falsch eingeschรคtzt. Frau Kurth stellt sich damit selbst ein ungenรผgendes Zeugnis als Ministerin aus.โ
Seit Jahren sei der Mangel absehbar. Gewerkschaften, Schรผler/innen- und Elternrรคte und zahlreiche politische Akteure, auรer die ununterbrochen regierende CDU, hรคtten schon lange sinnvolle Lรถsungsvorschlรคge vorgelegt. โDer Mangel muss beseitigt werden, Verwalten und Minischritte reichen schon lange nicht mehr aus. Vorschlรคge, die fรผr eine Verbesserung sorgen, liegen auf dem Tisch: bessere Bedingungen fรผr รคltere Lehrkrรคfte, konkurrenzfรคhige und gleichwertige Bezahlung, eine Verstรคrkung und Verbesserung der Lehramtsausbildung und vieles mehr. Fรผr all dies muss zumindest das Problem als solches anerkannt werdenโ, so Schenk. โEntweder sie handelt nun endlich โ und zwar so, dass das Problem wirklich gelรถst wird โ oder Frau Kurth sollte ihren Hut nehmen, um die Zukunft der Kinder und Jugendlichen in Sachsen nicht lรคnger zu gefรคhrden.โ
Auch der Landesschรผlerrat hat fรผr diese Art โHausaufgabenerfรผllungโ kein Verstรคndnis mehr.
Der Vorsitzende des LSR, Friedrich Roderfeld: โDie derzeitige Personalsituation geht zu Lasten der sรคchsischen Schรผlerinnen und Schรผler und deren Lehrern bzw. Lehrerinnen. Viele Lehrer arbeiten bereits jetzt an der Belastungsgrenze und mรผssen immer hรคufiger den Ausfall von Stunden kranker Kollegen kompensieren. Dies wirkt sich mittelfristig auf die Qualitรคt des Unterrichts aus und die Schรผler leiden darunter, insbesondere in den hรถheren Klassen, wenn die Abschlussprรผfungen bevorstehen. In dem Wissen, dass der Lehrermarkt derzeit quasi leer ist, mรผssen weitere Anreize gesetzt werden, um Lehrer nach Sachsen zu locken. Insbesondere die Angleichung von Gehรคltern auf westdeutsches Niveau spielt dabei aus unserer Sicht eine entscheidende Rolle. Wir fordern daher die Staatsregierung auf, jetzt unverzรผglich zu handeln, sonst droht unser Schulsystem aus Mangel an Lehrern zu kollabieren.โ
Er sieht auch das Eingestรคndnis der CDU-Fraktion, dass es im kommenden Schuljahr 1.000 Lehrer zu wenig geben werde. Der Landesschรผlerrat fordert die Ministerin deshalb auf, ein Sofortprogramm gegen den Lehrermangel in Sachsen zu erstellen. Dieses mรผsse einen kurzfristigen Plan enthalten, wie die benรถtigte Anzahl an Lehrern mรถglichst zรผgig zu erreichen ist.
Dabei mรผssten auch Lรถsungen erarbeitet werden, wie der Lehrerberuf in Sachsen fรผr junge Menschen attraktiver werden kann. Der LandesSchรผlerRat lehnt eine Verbeamtung dabei weiterhin ab, da sie ein nicht mehr zeitgemรครes Modell ist und auch finanziell schwer realisierbar wรคre. Hรถhergruppierungen oder Abminderungsstunden sind nach Auffassung des LandesSchรผlerRats Sachsen die beste Option, um neue Lehrer zu gewinnen.
โKultusministerin und Finanzminister scheinen sich dem Ernst der Lage jedoch noch nicht bewusst zu sein, da erkennbar nachhaltige Schritte gegen den Lehrermangel bislang ausbliebenโ, zieht die Landeschรผlervertretung ihr Fazit. Die vier Kurth-Jahre wurden schlichtweg vertan, um endlich zu korrigieren, was schon unter ihrem Vorgรคnger zur Dauerkrise geworden war.
Noch gibt es Lehrer, die man in Sachsen einstellen kรถnnte. Das betont Cornelia Falken: โDie Chancen auf dem Lehrerarbeitsmarkt stehen, anders als die Kultusministerin behauptet, gar nicht schlecht. Laut einer Berechnung der Kultusministerkonferenz fรผr die Jahre 2014 bis 2025 besteht in den westlichen Bundeslรคndern โim Durchschnitt fรผr alle Lehrรคmter zusammen ein jรคhrliches rechnerisches รberangebot von 5.800 Lehrkrรคftenโ. (Dokumentation Nr. 208 โ Juni 2015) Wenn Sachsen von dem รberangebot im Westen profitieren mรถchte, dann sollte das Kultusministerium endlich handeln.โ
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Und wieso kรผndigt die SPD unter Dulig die Koalition nicht auf????
Und wieso wundert sich die SPD, dass ihre Wahlergebnisse in den Keller rutschen?!