Was passiert eigentlich in einer Demokratie, wenn Beteiligung zur Farce wird und eine Regierung mit aller Beharrlichkeit an alten Zielentwürfen festhält, die nicht mehr zeitgemäß sind, und Kontrolle einfach nicht aus der Hand geben will? Zum zweiten Mal hat die Sächsische Regierung am 4. Mai ihren Entwurf für ein neues Schulgesetz vorgelegt. Der ähnlich altbacken aussieht wie der erste.
Eigentlich wollte man die Fehler des letzten Entwurfes minimieren, indem man endlich all diejenigen mitsprechen lässt, die sich für das Thema seit Jahren engagieren und auch wissen, was sich ändern muss, damit Sachsens Schulen wieder Sprungbrett für alle Schüler sind, nicht nur die aus reichen Elternhäusern. Ein bisschen Alibi-Beteiligung reicht nicht, auch wenn es der Landesschülerrat zu würdigen weiß, dass überhaupt Anregungen übernommen wurden: „Anders als von verschiedenen Organisationen befürchtet waren die Beteiligungsverfahren aber keine Makulatur, sondern fanden beim Ministerium scheinbar teilweise Gehör. In den vorausgegangenen Bürgerdialogen und Online-Beteiligungen wurden 660 konkrete Änderungswünsche formuliert, knapp 40 teilweise umfangreiche Kritikpunkte und Anregungen wurden im Kabinettsentwurf übernommen. Dennoch hätten mehr Vorschläge umgesetzt werden müssen, hunderte Formulierungen fanden keinen Weg in den Entwurf.“
Und es sind in der Regel gerade die Änderungen, die seit Jahren drängen, die für Sachsen die Chance ergeben würden, tatsächlich endlich ein moderneres Bildungssystem zu bekommen.
„Auch nach der Überarbeitung des Referentenentwurfs des Schulgesetzes können wir nicht behaupten, dass wir zufrieden mit dem nun vorliegenden Gesetzesentwurf sind. Dennoch sind einige wichtige Punkte, die wir vorab auch durch unsere Stellungnahme kritisiert haben, enthalten bzw. hinzugefügt worden. Dies betrifft insbesondere den Bereich Medienbildung oder auch die Kooperation von Schulen mit außerschulischen Kooperationspartnern im Sinne der Berufs- und Studienorientierung“, sagte Friedrich Roderfeld, der Vorsitzende des Landesschülerrates. „Auch die Veränderungen im Bereich der Schülermitwirkung begrüßen wir ausdrücklich. Insbesondere in den Bereichen Inklusion, Schulsozialarbeit, Mindestschülerzahlen im ländlichen Raum und dem Thema Eigenverantwortung gibt es aber noch entscheidenden Nachholbedarf. Ob das Schulgesetz mit diesem Rahmen für eine innovative Weiterentwicklung der Schullandschaft in Sachsen steht, ist allerdings fraglich.“
Und so sieht es auch Petra Zais, die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag: „Wenig überraschend: es gibt keine Überraschungen. Zwar hat Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) mit dem groß angelegten Beteiligungsverfahren zum Schulgesetz neue Wege beschritten, das Ziel schien jedoch vom ersten Schritt an klar zu sein. Über 1.000 Stellungnahmen, davon 660 konkrete Hinweise – und nur 40 Änderungen, vorrangig redaktioneller Art? Ich bin überzeugt, dass es mehr ‚berechtigten Änderungsbedarf‘ gibt, der auch angezeigt wurde. Nur war dessen Umsetzung offenkundig politisch nicht gewollt.“
Denn unklar ist, wer welche Vorschläge mit welchen Argumenten von der Änderungsliste gestrichen hat. An kleine redaktionelle Änderungen ist man in Sachsen ja gewöhnt. Aber immer dann, wenn es wirklich um grundlegende Änderungen geht, sträubt sich die zentrale Bürokratie. Und so wird es auf Sankt Nimmerlein vertagt.
Petra Zais: „Insgesamt wurden viele Erwartungen geweckt und nun enttäuscht. Die Skeptiker haben Recht behalten. Von ‚Makulatur‘ sprach der Landeselternrat mit Blick auf das Beteiligungsverfahren, von ‚Scheindemokratie‘ einige Lehrkräfte. Beteiligung hat erst Wert, wenn die, die sich einbringen, auch nachvollziehen können, was mit ihrer Kritik und ihren Vorschlägen passiert. Dafür jedoch sind die Änderungen im zweiten Entwurf einfach zu dürftig.“
Scheindemokratie?
Eine harte Wortwahl, die aber wohl ziemlich genau zum Ausdruck bringt, wie die Betroffenen diese neue, völlig ungenügende Novellierung finden. „Kurths Alibi-Dialog konnte den Entwurf nicht wirklich verbessern. Bürgerinnen und Bürger wurden nicht wirklich demokratisch einbezogen“, zieht die Sprecherin für Bildungspolitik der Linken, Cornelia Falken, ihrerseits Bilanz: „Der Optimismus des CDU-Politikers Lothar Bienst, der davon ausgeht, ‚dass die Anregungen der Bürger im Entwurf sich wiederfinden‘, wurde vom Koalitionspartner SPD umgehend dementiert. Diese Ehrlichkeit ist löblich. Die Novellierung verharrt bei dem, was durch Urteile erzwungen wird. Es gibt Detailveränderungen, die großen Baustellen bleiben aber unangetastet. Wir werden umfangreiche Änderungsanträge vorlegen.
„Da liegt noch ein gutes Stück Arbeit vor uns“, hatte Sabine Friedel, Bildungsexpertin der SPD-Fraktion, den zweiten Entwurf des Schulgesetzes eingeschätzt. In den Stellungnahmen und Dialogforen zum ersten Entwurf seien viele Punkte angesprochen worden, mehr als 1.000 Hinweise gingen, so Friedel. „Kaum etwas davon hat bisher Berücksichtigung gefunden. Das ist nicht gut, aber kein Beinbruch. Dann muss eben das Parlament ran.“
Was ja im Klartext heißt: Die CDU hat hier versucht, ihre altbackenen Vorstellungen von Schule zu bewahren. Das Gesetz ist nicht einmal ein Versuch, das Schulnetz in den ländlichen Räumen zu sichern. Aber wer das Gesamtsystem nicht ändern will, riskiert weiterhin, dass es die Lehrer und Schüler verschleißt.
Logisch, dass selbst die FDP von diesem Entwurf enttäuscht war.
„Ungeachtet der jüngsten Veränderungen ist der überarbeitete Schulgesetzentwurf kein wirklicher Fortschritt, sondern eine Enttäuschung. Die sächsische Staatsregierung bleibt damit in der ‚Kreidezeit‘ stehen; die Kraft für eine im bundesweiten Vergleich innovative und zukunftsweisende Schulgesetzgebung fehlt“, kommentiert Holger Zastrow, der Landesvorsitzende der FDP.
„Vor allem bei der Gewährung von mehr Freiheiten für die einzelnen Schulen hat sich die Staatsregierung nur wenig bewegt. Die bürokratischen Fesseln wurden etwas gelockert, wirklich befreit wurden die Schulen jedoch nicht. Sie haben weiter keinen Einfluss auf die Lehrereinstellung und auch frei verfügbare Honorarmittel sind nur sehr begrenzt zulässig. Ebenso können die Schulen nicht effektiv mit eigenen Bankkonten arbeiten, sondern nur über den Umweg des Schulträgers. – Bei der Sicherung von Schulen im ländlichen Raum bleibt der überarbeitete Gesetzentwurf hinter dem Schulschließungsmoratorium der vorherigen CDU/FDP-Staatsregierung zurück. Der Druck zur Schulschließung steigt im Vergleich zur gegenwärtigen Praxis. Die Mindestschülerzahl in Oberschulen wird von bisher geduldeten 20 auf 25 pro Klassenstufe erhöht. Zudem dürfen Oberschulen zukünftig in „Mittelzentren“ wie Freiberg nicht mehr mit einer Klasse pro Jahrgangsstufe betrieben werden.“
Da helfen dann auch Worte wie Innovation und Inklusion nichts, wenn sich die grundlegenden Bedingungen nicht ändern, die sie erst möglich machen. Und wenn Sabine Friedel schon die Rolle des Landtags anspricht, dann wird es zu den Anträgen von Linksfraktion und Grünen wohl auch noch Änderungsanträge der SPD geben.
Tipp: Die Grünen-Fraktion lädt in ihrer Veranstaltungsreihe „Gute Schule 2020 – Anforderungen und Erwartungen an ein neues sächsischen Schulgesetz“ in Sachsen am Dienstag, 10. Mai, 18 Uhr in Leipzig in die Alte Schlosserei (Kurt-Eisner-Straße 66, Hinterhaus) ein.
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