Ein großer Wurf wird das neue, seit zwei Wochen diskutierte Schulgesetz für Sachsen nicht. Ein paar kosmetische Änderungen, ein paar Zugeständnisse bei der Mitbestimmung, das war's eigentlich. Die Anhörung hat gerade begonnen. Einen Bürgerdialog gibt es am 29. Februar auch in der Anton-Philipp-Reclam-Schule in Leipzig. Aber was sagen eigentlich die Bildungspolitiker dazu?
CDU-Bildungspolitiker zum Schulgesetz-Entwurf: “Gute Arbeitsgrundlage“
Nach zwölf Jahren kommt jetzt die erste Novelle des sächsischen Schulgesetzes. Und aus CDU-Perspektive ist alles bestens. In der Zwischenzeit sei der Freistaat zehn Mal hintereinander auf dem ersten Platz des „Bildungsmonitors“ gelandet, lobt Lothar Bienst, der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion im sächsischen Landtag. Welcher “Bildungsmonitor”? Natürlich der der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), ein Länderranking, das nicht wirklich Bildungserfolg benotet, sondern die Produktionskennziffern eines Bildungs(produktions)systems.
“Wir haben mit der CDU ein erfolgreiches Schulsystem in Sachsen aufgebaut. Es ist richtig und an der Zeit, jetzt das zugrunde liegende Gesetz auch zu modernisieren“, meint Lothar Bienst deshalb. Der vorgelegte Entwurf sei eine „gute Arbeitsgrundlage für den Landtag“.
Und er muss es wohl auch nicht extra betonen, wessen Handschrift der Entwurf trägt: Viele Positionen der CDU finden sich darin wieder, wie zum Beispiel den Erhalt der Zweigliedrigkeit des Schulsystems. Bienst: „Es wird zum Wohl der Schüler auf bildungspolitische Experimente verzichtet!“ Aber auch der ländliche Raum soll in dem Entwurf gestärkt werden. „Es wird verbindliche Regeln geben, wie Schulen vor Ort erhalten werden können“, erklärt Bienst.
Die SPD zum Thema: “Das kann noch nicht das letzte Wort sein“
Schon beim kleinen Koalitionspartner SPD hat man mit dem vorgelegten Entwurf seine Bauchschmerzen.
“Gemessen an den Aufgaben und Herausforderungen, die nicht erst seit heute vor dem sächsischen Schulwesen stehen, fallen die vorgenommenen Änderungen des Schulgesetzes ungenügend aus“, fasst der Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Bildung in der SPD Sachsen (AfB Sachsen) seine Prüfung des vorgelegten Entwurfs zusammen.
Die AfB Sachsen hatte im Vorfeld dargestellt und begründet, dass die sächsischen Schulen und Schulträger zur Sicherung eines hohen Bildungsniveaus vor allem eins benötigen: Eigenverantwortung und damit einen verantwortlichen Gestaltungsraum. Zwar fänden sich im Entwurf dazu vorsichtige Ansätze, insgesamt aber atme das Gesetz den alten Geist der verwalteten Schule.
“Wir müssen jede Schule endlich systematisch in die Lage versetzen, mit der gesellschaftlichen Dynamik produktiv umgehen zu können, statt sie und damit vor allem die Lehrer und Schulträger mit den Problemen im Regen stehen zu lassen“, resümiert der Vorstand. “Der Entwurf bleibt die Antwort auf die drängende Frage schuldig, wie die Ressourcen den Schulen bildungs- und bedarfsgerecht so zugewiesen werden, dass diese und die kommunalen Schulträger vor Ort angemessen reagieren und gestalten können. Wichtige Instrumente hierfür, wie die Zusammenfassung von Bildungsgängen und die Bildung multiprofessioneller Teams, bleiben Schulen und Schulträgern weiterhin verwehrt, die Gängelung bei der Klassen- und Gruppenbildung wird verstärkt.“
Enttäuschend falle auch die längst überfällige Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention aus: Das Recht auf inklusive Beschulung mit der Konsequenz der Schaffung der dafür nötigen Bedingungen werde gerade nicht ausgebracht, stattdessen die Inklusion wieder von Bedingungen abhängig gemacht.
“Natürlich besteht auch für Schüler mit besonderem Förderbedarf kein Anspruch, eine bestimmte Schule zu besuchen. Aber es muss der Anspruch bestehen, eine zumutbar erreichbare Schule zu besuchen – auch wenn dafür an dieser Schule noch Bedingungen geschaffen werden müssen“, so der AfB-Vorstand weiter, „das ist ja gerade das Prinzip der Inklusion.“
Abschließend stellt die AfB Sachsen fest: „Der vorliegende Entwurf ist ein Entwurf der Verwaltung. – Er bedarf dringend der politischen Gestaltung. – Noch besteht Hoffnung, die Weichen deutlicher in Richtung verantwortliche Schulen zu stellen, auch wenn der Durchbruch wohl der nächsten Legislatur überlassen bleiben wird.“
Die Grünen: “Das ‘neue’ Schulgesetz atmet den Geist des alten”
“Der von Kultusministerin Kurth ausgegebene Slogan ‘So viel Kontinuität wie möglich, so viel Innovation wie nötig’ ist abgegriffen. Erneut wird Kontinuität mit Qualität verwechselt. Auch das ‘neue’ Schulgesetz atmet den Geist des alten – Visionen für die Weiterentwicklung des sächsischen Schulsystems: Fehlanzeige”, stellt Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Sächsischen Landtag, fest. “Mit den vorgestellten Eckpunkten für ein neues Schulgesetz sind jedoch längst nicht alle offenen Fragen geklärt. Ich erwarte, dass die bestehenden Gemeinschaftsschulen endlich aus dem Status der Versuchsschulen befreit und in eine Regelform überführt werden. Es muss weiteren Schulen möglich sein, sich zu Gemeinschaftsschulen zu entwickeln, wenn dies vor Ort gewünscht ist.”
Auch die Option auf lernzieldifferenten Unterricht an Oberschulen sei begrüßenswert, ersetze aber nicht den Rechtsanspruch auf inklusive Beschulung.
“Aber entscheidend ist zudem, inwieweit der Freistaat bereit ist, in die sächliche Ausstattung zur Umsetzung der Inklusion zu investieren. Wir werden genau darauf achten, ob sich die jetzigen Pläne in den Haushaltsentwurf der Staatsregierung für die Jahre 2017/18 niederschlägt”, sagt Zais. “Ich sehe den Freistaat mit dem neuen Gesetz noch nicht gegen weitere berechtigte Klagen gewappnet, etwa wenn es um Schulplätze oder die zweite Fremdsprache geht. Mehr Eigenverantwortung von Schulen darf nicht in einer Verwaltung des Mangels enden. Vielmehr erfordert mehr Schulautonomie auch mehr Begleitung, Beratung, Ressourcen sowie einen Wandel im Verständnis von Schulleitung.”
Sie hofft, dass das groß angelegte Beteiligungsverfahren nicht zu einer Alibiveranstaltung verkommt, sondern notwendige Änderungen tatsächlich Eingang ins Gesetz finden.
“Dabei geht es um die Zukunftsfähigkeit des sächsischen Bildungssystems, nicht um die Bewahrung des Koalitionsfriedens”, sagt die Grünen-Politikern. “Wir werden den Gesetzentwurf nun im Detail prüfen und unsererseits die Gespräche mit Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern, Eltern und Schulträgern fortsetzen. Unser Ziel ist eine Bildungslandschaft mit einem stabilen Schulnetz, passgenauer und verantwortungsvoller Schulorganisation vor Ort mit entsprechender Unterstützung durch die Schulaufsicht sowie eine gute finanzielle und personelle Ausstattung der Schulen.”
Die Linken: “Das ist ein parteipolitischer Kompromiss statt großer Lösung”
Die Linke im Sächsischen Landtag sieht sich in ihrer Skepsis bestätigt. Von einer modernen Schule, von der der SPD-Vorsitzende Martin Dulig spreche, könne keine Rede sein.
“Der Gesetzentwurf ist strukturkonservativ und nicht zukunftsweisend. Er zementiert das gegliederte Schulwesen und die frühzeitige Auslese der Schülerinnen und Schüler”, benennt die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, Cornelia Falken, den grundsätzlichen Konstruktionsfehler des Systems, das systematisch dafür sorgt, dass Kinder aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien frühzeitig ausgesiebt werden.
“Der Gesetzentwurf ändert nur das, was aufgrund der Rechtsprechung ohnehin geregelt werden musste. Das betrifft die Lernmittelfreiheit, deren genaue Bestimmung einer Verordnung des Kultusministeriums vorbehalten bleibt, und die Schulnetzplanung”, zieht Falken ihre Bilanz. “Überall dort, wo zaghafte Neuerungen erlaubt sind, müssen die Betreffenden selbst, also die Eltern und die einzelne Schule, für deren Realisierung sorgen. Das betrifft die Inklusion und die Durchlässigkeit an den Oberschulen. Statt klare Strukturvorgaben bzw. Regelungen zu treffen, erhalten im Falle der Inklusion die Eltern das Recht, ihr Kind auf eine Förder- oder eine Regelschule zu schicken. Und in der Oberschule kann von der Binnendifferenzierung zwischen Haupt- und Realschulgang ab Klasse 7 abgewichen, können ergänzende Bildungsinhalte angeboten werden, um die Chance auf einen Wechsel ans Gymnasium zu erhöhen.”
Um Schulen im ländlichen Raum zu erhalten, werden Ausnahmereglungen geschaffen, die Grund- und Oberschulen in Mittel- und Oberzentren mittels jahrgangsübergreifendem Unterricht und Einzügigkeit bei einer Mindestschülerzahl von 25 Schülerinnen und Schülern pro Klasse den Fortbestand ermöglichen. Aber selbst das ist nur ein vager Ansatz, so Falken.
“Hier war der Volksantrag ‘Zukunft braucht Schule’ aus dem Jahr 2002 weitgehender und fortschrittlicher. Selbst das vom Landtag beschlossene und noch geltende Moratorium für Schulschließungen sieht eine einzügige Klassenbildung bei einer Zahl von 20 Schülerinnen und Schüler vor. Der Gesetzentwurf vergrößert die Zahl hingegen auf 25.”
Und dann sind da noch die zunehmend vollgestopften Schulklassen vor allem in den Großstädten. Denn mit Schließen im ländlichen Raum war der Freistaat immer fix – mit Fördergeldern für den dringend nötigen Schulhausbau in den Großstädten aber knausert er.
Und so kritisiert auch Cornelia Falken, dass die Klassenobergrenze von 28 fortbestehen soll.
“In kleineren Klassen könnten Lehrkräfte besser auf die einzelnen Schülerinnen und Schüler eingehen”, betont sie. “Eine genaue Lektüre des Schulgesetzentwurfs wird sicher weitere Kritikpunkte zutage fördern. Zu fast allen Punkten im Gesetzentwurf der Staatsregierung hatte die Linksfraktion eigene Gesetzentwürfe vorgelegt. Damit hätte sich vieles bereits regeln lassen.”
Das Fazit
Der Referentenentwurf für das neue Schulgesetz doktert nur an den Symptomen herum, versucht aber vor allem, das alte zweigliedrige Schulsystem mit seiner frühen Trennung nach leistungsstarken und leistungsschwächeren Schülern zu erhalten. Gemeinschaftsschulen werden weiterhin nicht als normales und ergänzendes Schulmodell akzeptiert. So betont es auch Kultusministerin Brunhild Kurth: “Veränderungen am zweigliedrigen Schulsystem wird es nicht geben – es bleibt bei den bisher bekannten Schularten. Auch die bisher gültigen Vorgaben für allgemeinbildende Schularten zur Mindestschülerzahl und Zügigkeit bleiben erhalten.” Ein mutiger und zukunftsweisender Gesetzentwurf ist es wirklich nicht.
Bürgerdialog zum Schulgesetz in Leipzig
Kultusministerin Brunhild Kurth lädt zum Bürgerdialog nach Leipzig. Unter dem Titel „Bürgerwerkstatt Schulgesetzänderung“ haben Bürgerinnen und Bürger am 29. Februar Gelegenheit, mit Kultusministerin Brunhild Kurth und Bildungsexperten aus dem Kultusministerium zum Entwurf des Schulgesetzes ins Gespräch zu kommen. „Ich wünsche mir zur Schulgesetznovellierung eine offene, breit geführte Diskussion mit allen Beteiligten und Interessierten. Wir werden genau zuhören, die Stellungnahmen aus dem Bürgerforum auswerten und den Gesetzentwurf ändern, insofern die Stellungnahmen überzeugend Änderungsbedarf deutlich machen“, so die Kultusministerin.
Im Mittelpunkt der Veranstaltung stehen die Themen
– Inklusion an sächsischen Schulen,
– Eigenverantwortung von Schulen,
– Schulstandorte im ländlichen Raum,
– Ausstattung von Schulen.
Um eine Anmeldung zur Bürgerwerkstatt wird unter http://www.schule.sachsen.de/20837.htm gebeten. Alle Informationen zum Gesetzentwurf gibt es im Internet unter http://www.schulgesetz.sachsen.de. Termin und Ort der Bürgerwerkstatt Leipzig: Anton- Philipp-Reclam-Schule – Gymnasium, Tarostraße 4, 04103 Leipzig, 29. Februar, 18:00 Uhr.
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