Meinungsbildungsprozesse in einer Demokratie dauern immer länger, werden immer komplizierter. Manchmal gehen komplette Schul- und Studienzeiten darüber hinweg. Wie beim Thema der Lehrerbildung in Sachsen. Und sechs Jahre im Politikbetrieb sind nichts, wie die hochschulpolitische Sprecherin der Grünen im Sächsischen Landtag, Dr. Claudia Maicher, nun feststellt.
Sie hat mal kurz angefragt, was aus der von CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag 2014 vereinbarten Überprüfung der sächsischen Lehramtsbildungsstrukturen geworden ist. War ja nicht das einzige Thema, mit dem die SPD deutlich gemacht hatte, dass die vier Jahre CDU/FDP-Regierung in Sachsen völlig vertrödelte Jahre waren, in denen sich die schon unter CDU/SPD-Ägide 2004 bis 2009 eingerissenen Probleme immer weiter verschärft haben – ob bei Lehrereinstellungen, Kita-Förderung, Hochschulpersonal, Polizistenstellen, Justizdienst oder praktisch jedem anderen Thema, in dem es um die Funktionsfähigkeit des Dienstleistungapparates Freistaat Sachsen geht. Statt die Prozesse zu analysieren und den Personalbedarf mit Fingerspitzengefühl anzupassen, hat man ein radikales Verschlankungsprogramm gefahren.
An die Stelle einer zeitnahen und mit aktuellen Daten unterlegten Steuerung ist eine Art quantitative Radikalkur für die staatlichen Leistungsangebote getreten, als wenn ein Bundesland nur so eine Art Postvertrieb wäre, dem man nur straffere Strukturen verpassen muss, dann flutscht der Laden, die Zusteller flitzen und das Porto kann guten Gewissens erhöht werden.
Über die – passende – Ausbildung von Lehrern in Sachsen wird ja nun seit 2011 diskutiert. Damals war es Teil einer heftigen Debatte, an deren Ende dann gleich mal der sächsische Kultusminister Roland Wöller vom Amt zurücktrat. Und auch damals war längst klar, dass der Freistaat dringend die Lehrerausbildung im Lande auf ein anderes Niveau heben müsste – allein schon, um sich den dringend benötigten Nachwuchs zu sichern.
Aber nun sind fünf Jahre herum, und die Strukturüberprüfung steht noch immer aus und wird frühestens 2017 erfolgen, wie Dr. Claudia Maicher nun auf ihre Kleine Anfrage erfuhr: “Wissenschaftsministerin Dr. Eva-Maria Stange (SPD) vergibt die Chance, die Qualität des Lehramtsstudiums zu stärken. Angesichts des anhaltenden Bedarfs an Lehrerinnen und Lehrern in den nächsten Jahren halte ich diesen Zeitverlust für geradezu fahrlässig. Es ist schon lange bekannt, dass die Abbrecherquoten in einzelnen Lehramtsfächern unverhältnismäßig hoch sind. Das bleibt natürlich nicht ohne Folgen für die Sicherung des Lehrkräftebedarfs. Wenn es nach der Ministerin geht, werden die Gründe für die Studienabbrüche aber erst einmal weiter im Dunkeln bleiben.”
Und dabei ticken die Uhren. Gerade in den naturwissenschaftlichen Fächern mangelt es an Lehrernachwuchs in Sachsen. Welche Gründe das hat, will Sachsens Regierung aber augenscheinlich nicht wissen, obwohl die “Zweite Sächsische Absolventenstudie” von 2014 auf diesen Aspekt schon besonders deutlich hingewiesen hat.
Da steht zu lesen: “Betrachtet man die Bewertungen der Studienbedingungen nach Abschlussart und Hochschultyp, wird ersichtlich, dass die Absolventinnen und Absolventen eines Lehramtsstudiengangs von allen Befragten besonders selten mit der Organisation von Studium (23 %) und Lehre (26 %) zufrieden sind. Wie problematisch diese Einschätzungen sind und dass an dieser Stelle ein starker Handlungsbedarf besteht, lässt sich feststellen, wenn man diese Werte mit den Angaben der Befragten anderer Abschlussarten vergleicht”, heißt es auf Seite 51 der Studie.
“Die gründliche Überprüfung der Lehramtsausbildungsstrukturen wird mehr und mehr verschleppt”, kritisiert folgerichtig die Abgeordnete. “Nicht zuletzt die sächsische Absolventenstudie vom Dezember 2014 hat gezeigt, dass die Unzufriedenheit mit dem Studium ausgerechnet bei den Lehramtsstudierenden besorgniserregend hoch ist. Die Ursachen dafür müssen endlich auf den Tisch. Die ‘Still-ruht-der-See’-Politik des Wissenschaftsministeriums ist wenig hilfreich und zeigt deutlich, dass die Lehramtsausbildung nicht allein der Ministerin überlassen bleiben darf.”
Die hatte eine Überprüfung der Ausbildungsstrukturen für das Jahr 2017 angekündigt. Eva-Maria Stange: “Die genauen Fragestellungen für die geplante Evaluierung werden im nächsten Jahr erarbeitet. Zunächst wurden zur Vorbereitung der neuen Zielvereinbarungen im Rahmen des Bildungspaketes Sachsen 2020 die derzeit geltenden Zielvereinbarungen evaluiert.”
Man ist also noch im alten, marktorientierten Denkmuster und definiert das Studium über die zu liefernden Endprodukte (“Zielvereinbarungen”). In dieser Welt ist natürlich wenig Raum für ein Verständnis für die eigentlich Betroffenen: die jungen Leute, die Lehrer werden wollen und dann mit einem mehr oder weniger starren und rein auf “Ziele” orientierten System aneinander geraten.
Und so weist Claudia Maicher noch auf den 2014 von den Grünen eingereichten Gesetz-Antrag hin, mit dem die ganze Malaise aufgelöst werden soll: “Wir Grünen haben bereits in der letzten Wahlperiode ein eigenes Lehrerausbildungsgesetz für Sachsen vorgelegt. Unter anderem finden sich darin klar definierte Instrumente zur Qualitätsprüfung und -sicherung.”
Aber in Sachsen will man gern ein Spitzenergebnis mit hohen Anforderungen und möglichst wenig Mitteleinsatz erreichen. Das tut der Lehrerausbildung gar nicht gut, erst recht nicht, wenn die jungen Leute reihenweise das Studium schmeißen. Maicher: “Auch die starke Kritik der Lehramtsstudierenden an der neugefassten Lehramtsprüfungsordnung II hat noch einmal klargemacht, dass die Lehramtsausbildung in Sachsen endlich auf eine neue Grundlage gestellt werden muss.”
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Zu bemerken ist, dass es die Universitäten selbst sind, die den Lehrstoff ausgestalten. Es gibt keine Art “Curriculum”, welches in Dresden festgelegt wird. Die Bachelor- und Master-Studiengänge werden extern akkreditiert.
(Fußnote: Das Physikstudium der Uni Leipzig war – ich glaube – zwei Jahre lang nicht akkreditiert worden. Muss man auch schaffen. Im Zweifelsfall haben die Physik-Studenten am Ende also nur ein wertloses Papier in der Hand, auch wenn “B.Sc.” draufgedruckt ist.)
Es liegt also auch an der Universität Leipzig, das Lehramtsstudium bekömmlich zu gestalten. Und da liegt wahrlich einiges im Argen. Ich wundere mich sowieso, dass es Leute gibt, die das Studium mit diesen Widrigkeiten schaffen. Vermutlich läuft vieles über kurze Dienstwege…
Zum Umgang mit Kritik: Die Universität Leipzig wehrt sich seit… ja… seit Jahrzehnten mit allen Mitteln dagegen, dass die Studenten die Lehrveranstaltungen evaluieren, d.h. anonymisiert zu Inhalten und Ausgestaltung von Vorlesungen und Seminaren sowie der Prüfungsmodalitäten äußern können. Ist nix Neues (mehr), und noch ist kein Rektor durch studentische Evaluation vom Thron gestürzt worden. In der Uni wird noch ganz altbacken-autoritär (um nicht “DDR-autoritär” zu sagen) agiert, auch wenn sich das langsam rein aus biologischen Gründen bessert.
Zum Lehrerstudium, was zwischendurch für wenige Jahre kein Examensstudium war, sondern die sächsische Erfindung “Polyvalenter Bachelor” darstellte, ist zu sagen, dass der Lehrstoff selbst für angehende Grundschullehrer locker mit normalen B.Sc.-Studenten, die später in die Forschung(!) gehen wollen, mithalten kann.
Bei der Einführung des B.Sc./M.Sc. war immer die Rede von “Entschlacken” und “Entrümpeln”, hier hat es die Universität Leipzig fertiggebracht, gerade das Lehramtsstudium zu überfrachten.
Das Studentenleben ist sowieso nicht mehr lustig, die Zeiten sind seit Bologna endgültig vorbei. Die BWLer Europas haben es endlich geschafft, auch das Studium und seine Ideale zu ruinieren.