Was kann eigentlich eine Stadt wie Leipzig tun, wenn das für die Schulinhalte zuständige Bundesland knausert, sich verweigert und so tut, als könne man die zusätzlichen Aufgaben im frühen schulischen Bereich einfach ignorieren? Die enormen Quoten von Schulabgängern ohne Abschluss kommen ja nicht von ungefähr. Sie haben mit der ganz besonderen Struktur einer Stadt wie Leipzig zu tun.
Und diese Struktur ist nicht neu, sondern auch im Dresdner Kultusministerium bestens bekannt. Sie hat vor allem mit dem alten, mittlerweile nicht mehr ganz so erschreckenden Titel “Armutshauptstadt” zu tun. Denn jahrlang hinkte Leipzig in der sächsischen Wirtschaftsentwicklung hinterher, was jahrelang auch hohe Quoten an Arbeitslosen und ALG-II-Empfängern mit sich brachte. Die Wirtschaftsentwicklung hat sich zwar berappelt. Doch davon profitieren vor allem all die jungen Menschen, die in die große Stadt ziehen.
Am Sockel der Bedürftigkeit, der sich da über zwei Jahrzehnte lang aufgebaut hat, hat sich aber nichts geändert. Noch immer sind über 70.000 Leipziger in Bedarfsgemeinschaften registriert, noch immer liegt die Zahl der Bedarfsgemeinschaften über 41.000 und noch immer sind über 18.000 Kinder unter 15 Jahren in Familien zu Hause, die von den kargen Unterstützungen des Jobcenters abhängig sind.
Und davon berichten auch die Leipziger “Bildungsreporte”. Der jüngste, im März vorgelegte, war ein regelrechter Appell an die Landesregierung, nun endlich mal ihre Hausaufgaben zu machen. Denn dass so viele Kinder vor allem aus sozial schwachen Familien am sächsischen Bildungssystem scheitern, hat auch damit zu tun, dass Förderangebote und Lehrer, die hier zusätzlich nötig wären, fehlen.
Die Analysen sind da, sind auch im “Bildungsreport” deutlich nachzulesen. Denn die eigentlichen Brüche im Bildungsleben dieser Kinder passieren schon früh. Insbesondere Jungen aus sozial schwachen Familien werden öfter noch vor Schuleintritt ausgesiebt und haben dann eine zumeist eher betrübliche Karriere an Förderschulen vor sich. Dazu kommen Kinder aus Migrantenfamilien. Aber auch nicht alle. Auch hier tritt dasselbe Phänomen zutage wie bei den in Leipzig Geborenen: Kinder aus bildungsferneren und finanzschwächeren Migrantenfamilien erleben im Grunde dasselbe Scheitern wie die Kinder aus Hartz-IV-Familien. Nirgendwo zeigt sich so deutlich, dass der Einstieg in eine erfolgreiche Schulzeit direkt vom Geld oder eben dem nicht vorhandenen Geld der Eltern abhängt.
Kommunale Handlungsräume gibt’s in der Kita
Und weil sich beide Effekte in Leipzig konzentrieren, hat Leipzig auch die extrem hohen “Schulabbrecher”-Zahlen von 12 bis 14 Prozent.
Aber was kann eine Stadt wie Leipzig tun, wenn das zuständige Kultusministerium gar nicht sehen will, dass hier zusätzlicher Handlungs- und vor allem Personalbedarf ist?
Gute Frage. Machen wir mal einen Stadtratsantrag, fand die Leipziger Grünen-Fraktion, und formulierte: “Die Ratsversammlung erkennt den Handlungsbedarf im Bereich Chancengerechtigkeit und Schulerfolg. – Der Oberbürgermeister legt bis Ende 2015 einen Maßnahmenkatalog sowie einen Zeitrahmen zu dessen Umsetzung vor und leitet die Schritte zur Umsetzung ein. Der FA Jugend/Soziales/Gesundheit und Schule wird in den Prozess der Maßnahmenerstellung sowie die Berichterstattung intensiv einzubeziehen.”
Natürlich haben auch die Grünen den “Bildungsreport 2014” gelesen. Und waren erschrocken, wie sich das für vernünftige Menschen gehört. Denn wenn man solche Befunde liest – und das im Grunde seit vier Jahren immer wieder – dann fragt man sich, warum die verantwortlichen Personen nicht handeln und die meiste Zeit damit verplempert haben, eine Kürzung von Lehrerstellen zu verteidigen, die mit keinem vernünftigen Argument verteidigt werden kann.
Schulen bauen allein genügt nicht
“Seit 2010 veröffentlicht die Stadt Leipzig Bildungsberichte. Damit kann die Bildungsdiskussion sehr sachorientiert und fundiert geführt werden. Allein mit der Beschreibung ist es aber nicht getan”, stellen die Grünen deshalb fest. “Konkrete Handlungen müssen aus dem Bildungsmonitoring abgeleitet werden. Von den drei im Bericht genannten Schwerpunktfeldern erfolgen diese Handlungen bislang vorrangig zum Ausbau der Bildungsinfrastruktur im Kontext des Bevölkerungszuwachses.”
Zwischenbemerkung: Auch auf diesem Feld hinkt Leipzig hinterher. Der Schulneubau geht viel langsamer voran als das Wachstum der Schülerzahlen. Aber dass auch hier die zuständige Landesregierung die nötigen Fördermittel gekappt hat, darüber haben wir an dieser Stelle immer wieder berichtet. Ein wirklich lernfähiger Partner ist die Landesregierung in Sachen Bildungsinvestitionen nicht wirklich.
Aber mit dem Ergebnis dieser Kneif- und Sparpolitik muss Leipzig irgendwie umgehen. Denn die Jugendlichen, die ihren Schulabschluss nicht schaffen, verpassen nicht nur ein eigenes, selbstständiges Leben, sie werden auch zu Dauerkunden im Jobcenter und den diversen Hilfsämtern der Stadt.
Und so betonen die Grünen: “Daneben mahnen die inakzeptabel hohe Quote derjenigen Absolvierenden ohne Schulabschluss und die sozial begründete Bildungsungerechtigkeit immanent zum Handeln. Die Stadt Leipzig hat dazu mit Beschluss der Ratsversammlung die Schulsozialarbeit abgesichert, sie hat Kinder- und Familienzentren eingerichtet, nonformale, gerade kulturelle Bildung fortgeschrieben, und engagiert sich in der Qualifizierung der Ganztagesangebote.”
Mehr Kinder aus Migrantenfamilien in die Kitas
Das alles kostet die Stadt richtig viel Geld – einige soziale Konflikte kann sie damit abfedern. Aber sie kann nicht die unterlassenen pädagogischen Angebote des Landes ausgleichen. Die Problemzonen sind noch immer die selben.
Die Grünen-Fraktion dazu: “Aus dem Bildungsbericht 2014 leiten wir ab: Die Bereiche Chancengerechtigkeit und Schulerfolg müssen vertieft und mit Maßnahmen untersetzt werden. – Praktikabel wäre eine Schwerpunktbildung durch den FA JSGS und daran anschließend das jährliche Ergreifen von zielgerichteten Maßnahmen.”
Zwischenerklärung: Der erwähnte FA JSGS ist der Fachausschuss Jugend/Soziales/Gesundheit und Schule des Leipziger Stadtrates. Der AKÜFI ist leider sehr ansteckend und sorgt dafür, dass manche Stadtratsvorlagen wie bürokratisches Kauderwelsch klingen. Weiter im Text. Was kann die Stadt tun?
Sie kann eben doch versuchen, noch mehr Kinder aus sozial fernen und Migrantenfamilien in die Kindertagesstätten zu bringen und ihnen dort zu helfen, die wichtigsten Sprach-, Lern-, motorischen und sozialen Fähigkeiten beizubringen. Kinder, die darin fit sind, schaffen in der Regel auch den Sprung in die richtige Grundschule.
Schlüssel zum Bildungserfolg: Sprachkompetenz
“Vorstellbar wäre eine gezielte Bewerbung von Kindern mit Migrationshintergrund für die Kitas vor dem Hintergrund der fehlenden Belegung der neuen Einrichtungen. Der Bildungsreport weist eine unterdurchschnittliche frühkindliche Bildungsbeteiligung für Kinder mit Migrationshintergrund aus, gleichzeitig wird die mangelhafte Sprachkompetenz beklagt. Parallel besteht größte Schwierigkeit, die Versorgung mit DaZ-Klassen im Schulbereich sicherzustellen. Weniger DaZ-Zuweisungen bei schon erreichter Sprachkompetenz im Kindergartenalter wäre günstig”, so die Grünen.
Nächste Zwischenbemerkung: DaZ steht für “Deutsch als Zweitsprache”. Denn geprüft wird nun einmal zum Schuleintritt nicht die Fähigkeit, sich in Russisch, Arabisch oder Serbokroatisch ausdrücken zu können, sondern in Deutsch. Ohne gute Beherrschung der deutschen Sprache ist die deutsche Schule nicht zu schaffen. Und das können auch die Extra-Stunden in “Deutsch als Zweitsprache” nicht (immer) ausgleichen. Erst recht nicht, wenn sie nicht abgesichert sind. Richtig heimisch in einer Sprache wird man nun einmal fast ausschließlich, wenn man schon im Kindergartenalter die neue Sprache lernt.
Wird wahrscheinlich wieder Geld kosten und Aufwand machen. Aber langfristig ist es für eine Stadt wie Leipzig der bessere Weg, die Kinder schon im Kindergarten mit dem Rüstzeug für eine gute Schulkarriere auszurüsten.
Sensibilität für Jungen fehlt
Und das andere Problem ist das berühmte Geschlechterproblem, über das die Bildungspolitiker nun auch schon seit Jahren reden, ohne Taten draus werden zu lassen: Jungen aus bildungsfernen Familien haben riesige “Chancen”, am deutschen Bildungssysten gründlich und früh zu scheitern.
Die Grünen dazu: “Die starke Separation gerade von Jungen in den Förderschulbereich macht geschlechtersensible, frühkindliche Maßnahmen erforderlich. Für den Übergangssektor wird diese Geschlechtersensibilität ebenfalls gefordert, einmal in der Berufswahl, zum anderen aber gerade auch zur Erhöhung der Attraktivität und Durchlässigkeit. Die hohe Spreizung des Bildungserfolges in Kongruenz zur sozioökonomischen Herkunft ist ein bildungspolitischer Skandal, der in Leipzig besonders auffällt. Gerade dies sollte Veranlassung sein, auch modellhafte Maßnahmen mit Strahlkraft in den bundesweiten Bildungsdiskurs zu formen.”
Was wohl mehr Hoffnung als berechtigte Erwartung ist, denn deutsche Bildungspolitiker verwirklichen in der Regel lieber ihrer parteipolitischen Vorurteile, als dass sie wirklich praktikable Lösungen für offenkundige Probleme finden und – das gehört wohl dazu – finanzieren. Am Ende zahlen es eben doch wieder die Kommunen, die den Bildungsmurks der Länder korrigieren müssen.
Aber irgendwie rechnen auch die Grünen nicht damit, dass in Dresden mal einer den Anfang macht. Also sieht man die Problemdiskussion doch wieder in Leipzig zwischen all denen, die sich hier nun schon des längeren mit der Problemlage beschäftigen: “Im Rahmen der bildungspolitischen Stunden wäre schließlich auch die Möglichkeit gegeben, sich den Zwischenergebnissen zuzuwenden und zu den Schwerpunkten öffentlich zu diskutieren.”
Keine Kommentare bisher