Von einem flächenmäßig gut ausgebauten Schulsystem kann in Sachsen schon lange keine Rede mehr sein. Und es ist nicht nur die demografische Entwicklung daran schuld, dass der Wohn- und Schulort am Ende darüber entscheidet, welchen Schulabschluss Jugendliche bekommen können. Oder ob sie überhaupt einen bekommen. Auch die "Schulabbrecher"-Quote erzählt von einem mangelnden Korrekturwillen des Kultusministeriums.
Wobei das Wörtchen “mangelnd” wohl untertrieben ist. Es gibt einfach keine Strategie, im sächsischen Schulsystem auch nur eine grundsätzliche Chancengerechtigkeit zu sichern. Und das betrifft alle Aspekte der allgemeinbildenden Schulen.
Die bildungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Landtag, Petra Zais, hat sich von der Kultusministerin einmal alle Zahlen zu den Schulabschlüssen in Sachsens Landkreisen und kreisfreien Städten zuarbeiten lassen. Und war einfach nur verblüfft, wie weit die jeweiligen Anteile der Schulabschlüsse auseinandergehen, bloß weil das örtliche Schulsystem jeweils anders gestrickt ist als das im Nachbarkreis. Auch Leipzig fällt dabei auf.
“Die Vergabe von Abschlüssen hängt unmittelbar mit dem Schulangebot vor Ort zusammen”, stellt Petra Zais fest, nachdem sie den Zahlensalat aus dem Statistischen Landesamt gesichtet hat und die Grünen das ganze Zahlenmaterial auch noch in einer Tabelle übersichtlich sortiert haben. “Es ist wichtig, dass Bildungswege durchlässig und anschlussfähig sind. Das ist aus meiner Sicht nicht überall in Sachsen gegeben.”
In Sachsen wird zwei Mal ausgesiebt – beim Schuleintritt und bei der Bildungsempfehlung
Insgesamt verließen im Jahr 2014 zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen mit einem Hauptschulabschluss. 51,9 Prozent erwarben einen Realschulabschluss und 29,4 Prozent das Abitur. Doch während in Görlitz 12,1 Prozent der Absolventinnen und Absolventen einen Hauptschulabschluss erreichten, waren es im Landkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge nur 7,7. Ähnlich verhält es sich beim Realschulabschluss und dem Abitur. Erwarben im Erzgebirgskreis 62 Prozent der Schülerinnen und Schüler einen Realschulabschluss, waren es in Leipzig nur 42,9 Prozent. Im Erzgebirgskreis erwarben 22,4 Prozent der Schulabgängerinnen und -abgänger die allgemeine Hochschulreife, in Dresden hingegen 38,2 Prozent.
Dass das Aussortieren im sächsischen Schulsystem schon früh anfängt, hatte die Grünen-Politikerin ja erst kürzlich belegt, als sie sich die Zahlen zu den Bildungsempfehlungen hatte geben lassen. Die werden in der 4. Klasse erteilt und entscheiden im Grunde zu diesem Zeitpunkt schon, welche Bildungskarriere ein Kind tatsächlich einschlägt – oder eben nicht.
Und wie bei den Bildungsempfehlungen sind auch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern bei den Schulabschlüssen enorm. Während jeder vierte Schüler das Abitur ablegte (25,8 Prozent), war es bei den Schülerinnen jede Dritte (33,3 Prozent). Den Hauptschulabschluss machten 11,6 Prozent der männlichen Absolventen, aber nur 8,3 Prozent der weiblichen. Geringer fielen die Unterschiede nur beim Realschulabschluss aus: 52,4 Prozent der jungen Männer und 51,4 Prozent der jungen Frauen erreichten die mittlere Reife.
Mädchen haben bessere Chancen als Jungen auf einen ordentlichen Abschluss
Heißt im Klartext: Mädchen haben bessere Chancen, im sächsischen Bildungssystem einen höheren Abschluss zu erlangen. Dafür ist das Risiko für Jungen deutlich höher, die Schule ganz ohne Abschluss zu verlassen.
Regional reicht die Spanne noch weiter. So liegt die Zahl der Realschulabschlüsse im Erzgebirgskreis sowohl bei den männlichen wie auch den weiblichen Abgängern um 20 Prozentpunkte höher als in Leipzig (Realschulabschluss im Erzgebirge: 61,4 Prozent (männlich), 62,6 Prozent (weiblich), Realschulabschluss in Leipzig: 43,7 Prozent (männlich), 42 Prozent (weiblich).
Dies setzt sich beim Abitur fort. Während im Erzgebirgskreis 23,9 Prozent der Absolventinnen die allgemeine Hochschulreife erlangten, waren es in Dresden 43,4 Prozent. Bei den jungen Männern schwankt die Zahl zwischen 19,9 Prozent im Landkreis Görlitz und 33,5 Prozent in Dresden.
“Gern verweist Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) beim Blick auf bundesweit vergleichsweise niedrige Abiturquoten auf das berufliche Gymnasium. Dieses bietet mit einer dreijährigen Oberstufe einen weiteren Weg zum Abitur. Das ist gut so und eröffnet weitere Bildungswege. Doch auch hier gibt es sachsenweit große Unterschiede, wie häufig dieser Weg beschritten wird. Außerdem ist der Anteil der Abiturienten an beruflichen Gymnasien bezogen auf die Gesamtzahl der Abiturienten in den vergangenen Jahren gesunken”, so die Abgeordnete.
10 Prozent der Schüler bleiben ohne Abschluss
Sachsenweit wurde das Abitur 2014 zu 81 Prozent an einer allgemeinbildenden Schule erworben und zu 16,1 Prozent an einem beruflichen Gymnasium. Doch während im Landkreis Meißen fast ein Viertel der Abitur-Abschlüsse an einem beruflichen Gymnasium erlangt wurde (23,4 Prozent), war es in Mittelsachsen nicht einmal jeder Zehnte (9 Prozent). Die Nachfrage junger Männer nach dem “zweiten Weg zum Abitur” schwankte dabei zwischen 8,6 Prozent (Stadt Leipzig) und 25,5 Prozent (Landkreis Meißen), bei den jungen Frauen zwischen 5,7 Prozent (Landkreis Mittelsachsen) und 22,2 Prozent (Erzgebirgskreis).
Während im Jahr 2010 noch 24,4 Prozent der Absolventinnen und Absolventen die allgemeine Hochschulreife an einem beruflichen Gymnasium ablegten, waren es 2014 nur noch 16,1 Prozent. Die Verteilung der Abschlüsse an allgemeinbildenden Schulen zeigte sich im Zeitverlauf relativ stabil. Etwa zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler erreichte den Hauptschul-, etwa 50 Prozent den Realschulabschluss. Knapp 30 Prozent erwarben die allgemeine Hochschulreife.
“Damit wird eine weitere, traurige Konstante offenkundig: Etwa zehn Prozent der Schülerinnen und Schüler verlassen die allgemeinbildenden Schulen ohne anerkannten Schulabschluss. Das ist für den Freistaat, der gerne als Bildungsland glänzen will, ein beschämendes Ergebnis”, stellt Petra Zais fest. “Für mich steht die Frage im Mittelpunkt: Gelingt es uns, alle Schülerinnen und Schüler, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder Region, entsprechend ihrer Potenziale zu fördern und zum bestmöglichen Abschluss zu führen? Nach Auswertung meiner Anfrage habe ich hinsichtlich der Bildungsgerechtigkeit im Freistaat einige Zweifel.”
In Leipzig fallen besonders viele Kinder durchs Raster
Der Blick nach Leipzig zeigt aber auch, dass eine niedrige Quote an Realschulabschlüssen nichts mit fehlenden Oberschulen zu tun hat. Mit 34,64 Prozent Abiturienten liegt Leipzig hinter Dresden (38,19 Prozent) in der sächsischen Reihenfolge und damit fünf Prozent überm sächsischen Durchschnitt (29,42 Prozent). Das Bestreben der Eltern in der Großstadt, ihre Kinder zum höchstmöglichen Bildungsabschluss zu führen, ist also unübersehbar.
Unübersehbar ist aber auch, dass gerade Kinder aus bildungsfernen Familien in so einem auf Leistung getrimmten System frühzeitig auf der Strecke bleiben, 4 bis 5 Prozent schon vor Beginn der Schule, weil sie aufgrund diverser fehlender Lernfähigkeiten sofort auf einer Förderschule eingeschult werden, weitere fünf bis sechs Prozent erleben die Oberschule als Desaster und schaffen nicht einmal den Hauptschulabschluss. Was sich in Leipzig 2014 so auswirkte, dass nur 87,7 Prozent der Schulabgänger überhaupt einen Abschluss schafften, 12,3 Prozent blieben völlig ohne Abschluss (bei den Mädchen waren es 10,62 Prozent, bei den Jungen sogar 13,88 Prozent).
Und mit diesem Wert liegt Leipzig selbst deutlich über dem eh schon blamablen sächsischen Wert von 8,73. An dieser Stelle wird sichtbar, wie wenig Sachsen dafür tut, die Schulchancen für Kinder aus bildungsfernen Schichten zu verbessern. Dass die Tricksereien mit der viel zu geringen Lehrerausstattung das Problem nur verschärfen, hat sich ja herumgesprochen. Und wenn Kultusministerin Brunhild Kurth davon redet, nun wieder Extraprogramme für leistungsstarke Schüler auflegen zu wollen,. macht sie eindeutig die falsche Baustelle auf. Erst einmal ist es ihr Job, den Schülern, die sowieso schon mit Handicap in das Schulsystem starten, bessere Chancen zu einem belastbaren Abschluss zu eröffnen.
Die Kinder, die in diesem System keinen Abschluss schaffen, sind eindeutig diejenigen, die Leipzig bei den Realschulabschlüssen fehlen.
Und es verblüfft schon, dass die Wirtschaftskammern zwar nach mehr Berufspraxis in der Schule verlangen, der Kultusministerin aber nicht die Tür einrennen, damit sie das eigentliche Manko im sächsischen Bildungssystem endlich beseitigt.
Zusammenstellung der Grünen von einigen Ergebnissen nach Landkreisen, Abschlussarten und Geschlecht.
Keine Kommentare bisher