Leserclub"Wir sind doch nun fertig, oder?", fragt Uwe Gaul locker ins Auditorium. Und auch Finanzminister Georg Unland hatte scheinbar schon einen dicken Strich unter die Rechnung gemacht: 120 Millionen Euro wurden seit 1994 in die Gebäude der HTWK Leipzig investiert. Der Campus ist ja nun fertig in der Südvorstadt. Ja schon, meint Gesine Grande. Aber eigentlich doch nicht.

Am Freitag, 8. Mai, feierte die Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur (HTWK) Leipzig in der Karl-Liebknecht-Straße 134 die Eröffnung des jüngsten Gebäudes im Campus: des Nieper-Baus, seit Beginn des Sommersemesters Heimstatt der Fakultät Maschinenbau und Energietechnik. Die war bis zum Winter in Markkleeberg angesiedelt – weit ab vom Schuss – in zwei alten Immobilien des Freistaats (schönster DDR-Plattenbau) und zwei angemieteten Gebäuden. Ein unhaltbarer Zustand. Das wusste man schon 1992, als die Technische Hochschule Leipzig um mehrere zuvor eigenständige Hochschulangebote in Leipzig erweitert und zur HTWK wurde. Damals war der größte Teil der Fakultäten übers Stadtgebiet verstreut. Die simpelsten Regeln der Kooperation und der Vernetzung von Forschung und Studiengängen machten eine Konzentration im Süden notwendig.

Die dortigen Gebäude wurden saniert oder – wie der Bau für die Fakultät Medien und die Bibliothek – komplett neu gebaut. Die Pläne stammen allesamt aus dem Jahr 1994. Es hat tatsächlich 20 Jahre und 120 Millionen Euro gebraucht, um das damalige Entwicklungskonzept Wirklichkeit werden zu lassen.

Der Freistaat gab Geld, viel Geld kam auch von der EU (für den Nieper-Bau zum Beispiel EFRE-Mittel). Entstanden ist eine Hochschule, die mittlerweile einen Großteil des sächsischen Ingenieurnachwuchses sichert. Maschinenbau, Energietechnik, Energieeffizienz sind die Topthemen der Gegenwart. Wer an der Fakultät Maschinenbau und Energietechnik abschließt, hat fast 100-prozentige Übernahmechancen. Und das auch noch in Sachsen. Der Finanzminister ist glücklich. Fast. Ein bisschen.

Feierliche Übergabe des Gebäudes im Hörsaal des Nieper-Baus mit dem Manhattan Radiotrio. Foto: Ralf Julke
Feierliche Übergabe des Gebäudes im Hörsaal des Nieper-Baus mit dem Manhattan Radiotrio. Foto: Ralf Julke

Die Zeit der üppigen Finanzen geht vorbei

Denn er brachte zur Eröffnung am 8. Mai seine Bauchschmerzen mit aus Dresden (samt 15 Minuten Verspätung – es hatte mal wieder einen Unfall gegeben kurz vorm Nossener Dreieck). Für Prof. Georg Unland ist der Rekordhaushalt 2015/2016 durch, beschlossen und besiegelt. Jetzt denkt er an 2019, wenn der Länderfinanzausgleich in Deutschland neu austariert wird. Eines ist für ihn sicher: Ganz so viel Geld von den reicheren Bundesländern wird’s künftig nicht mehr geben. Und gleichzeitig sieht er mit Sorgen auf die demografische Entwicklung – 800.000 Sachsen sind seit 1989 verschwunden, weitere 200.000 bis 300.000 könnten in den nächsten Jahren noch verschwinden. Es gibt immer mehr alte Sachsen, aber zu wenige junge. “Und deshalb bitte ich die jungen Damen im Saal, vielleicht doch darüber nachzudenken, vielleicht ein oder zwei Kinder mehr zu bekommen”, scherzt der Minister.

Denn ohne Nachwuchs kann Sachsens Wirtschaft nicht konkurrenzfähig bleiben. Zum Glück, sagt Unland in seiner Rede, haben wir ja die Hochschulen. Sie sind in ganz Sachsen “das entscheidende Schlüsselelement, junge Menschen nach Sachsen zu holen”. Als hätte er doch heimlich in der L-IZ gelesen.

Warum dann eigentlich das rabiate Stellenkürzungsprogramm der damaligen Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer? Jeder Blick in die Statistik zeigt: Die Studierendenzahlen sind seit Jahren auf Maximalstand. Und die meisten bleiben da. Sachsen bildet nur zum Teil, wie Unland scherzt, “tolle Ingenieure für Bayern aus. Und das auch noch völlig ohne Studiengebühren.”

Viele dieser toll ausgebildeten Ingenieure bleiben in Sachsen, werden von den Unternehmen mit Kusshand genommen. Die jungen Köpfe sind ihr Wettbewerbsvorteil.

Ein Haus für 900 angehende Ingenieure

Die 26 Millionen Euro, die jetzt in den neuen Fakultätsbau der HTWK investiert wurden, sind gut angelegtes Geld. Übrigens ein echter Experimentalbau, denn er ist vollgestopft mit der Energietechnik, mit der sich die Forscher hier beschäftigen: mit Systemen zur Wärmerückgewinnung, Sanitärtechnik, die Regenwasser nutzt, automatischer Kälte- und Lüftungssteuerung, Pufferspeichern für die Wärmeerzeuger. Das könnte am Ende die Betriebskosten senken. Die großen Maschinensäle und Versuchslabore befinden  sich alle im Unter- und im Erdgeschoss, ebenso wie der große Hörsaal, der am Freitag für die Eröffnungsreden genutzt wurde. Im 1. Geschoss sind der Dekan und die Seminarräume untergekommen. In den Geschossen 2 bis 4 haben die unterschiedlichen Fachgebiete ihre Büros. Immerhin sind hier 20 Professuren angesiedelt mit ihren 30 wissenschaftlichen Mitarbeitern und rund 30 Forschern, die über Drittmittel finanziert werden.

Die HTWK gehört zu jenen sächsischen Hochschulen, die besonders erfolgreich Drittmittel eingeworben haben. Was eben auch an ihrer Praxisnähe liegt – und der Tatsache, dass sie etwa mit Forschungen zur Energieeffizienz oder zur computergestützten Medizintechnik hochaktuelle Praxisarbeit leistet. Das ist auch für Unternehmen, die nicht ganz so groß sind wie BMW, interessant. 50 Praxis-Kooperationen pflegt die Fakultät Maschinenbau und Energietechnik.

Man sieht es dem Neubau mit seiner strengen Kantenführung nicht an, dass hier 900 Studierende lernen, forschen, die Köpfe rauchen lassen. Nun auch in enger Nachbarschaft zu den anderen Fakultäten. Allein die Innenausstattung des Hauses hat 1,7 Millionen Euro gekostet. “Also sind wir doch fertig?”, fragte Uwe Gaul, Staatssekretär im Sächsischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, der zur Eröffnung seine Staatsministerin Eva-Maria Stange vertrat.

Für die Entwicklungskonzeption von 1994 stimmt das.

“Aber unsere Hochschule hat sich seitdem sehr verändert”, sagte anschließend Gesine Grande, Rektorin der Hochschule. Kein neues Thema. Das begleitet die wechselnden Hochschulleitungen seit 2006, seit die Bauten an der Gustav-Freytag-Straße so langsam fertig wurden. Nicht nur der Bologna-Prozess hat das Studium verändert. Aus der beinah schüchternen Technischen Hochschule ist in den letzten Jahren eine der wichtigsten Forschungsstätten für die mitteldeutsche Wirtschaft geworden. Und schon seit Jahren reicht der Platz in den bestehenden Gebäuden einfach nicht aus. “Wir müssen teuer anmieten”, sagt die Rektorin. Denn der starke Aufwuchs von Drittmitteln und den damit zusammenhängenden Forschungsabteilungen wurden 1994 schlicht nicht kalkuliert. Daran hat einfach niemand gedacht.

Die HTWK braucht mehr Raum für Forschung

“Wir werden noch in diesem Monat eine Studie in Auftrag geben für eine neue Entwicklungskonzeption”, kündigt Grande an. Der Finanzminister hat’s also schon mal gehört. Bei den 120 Millionen bleibt es nicht. Wenn die auch von der Staatsregierung gewollten Forschungskooperationen mit der Wirtschaft ausgebaut werden sollen, braucht es mehr Räume am Campus. “Und das in einem Umfeld, in dem Platz langsam rar ist”, sagte Grande. “Eigentlich müssten wir schon Flächen reservieren.”

Sie sprach von Visionen. Aber das sind keine neuen Visionen. Sie treiben die Hochschule seit Jahren um. Genauso wie ein Thema, das 1994 ebenfalls nicht spruchreif war: ein großer, multifunktionaler Raum, den die Hochschule auch für Kongresse nutzen kann. Finanzminister Georg Unland war selbst lange genug Hochschulrektor. Er weiß, dass das kein frommer Wunsch ist, sondern schlichte Folge einer Hochschulentwicklung, die immer öfter auch mit Mega-Themen zu tun hat. Energiewende und Energieeffizienz sind solche Megathemen. Und es sind die Hochschulen, die auf einem Gebiet führend sind, die solche Kongresse veranstalten.

Was fehlt noch? – Es sind tatsächlich noch nicht alle Fakultäten im Campus versammelt. Die Architekten und die Sozialkundler fehlen noch. Das allein würde einen weiteren großen Neubau am Campus bedeuten. Und dann benannte die Rektorin auch noch ein ganz heißes Eisen, eher beiläufig. Aber Unland hat es garantiert nicht überhört: “Auch Investitionen in Köpfe sind nötig”, sagte Grande. Denn auch die HTWK musste in der letzten Dozenten-Kürzungsrunde Federn lassen. Wer aber mehr forschen will, braucht mehr Forscher.

So gesehen, hat sie die feierliche Schlüsselübergabe am 8. Mai gut genutzt. Und Prof. Georg Unland hat wieder ein paar Bauchschmerzen mehr. Die eigentlich keine sind. Denn nichts braucht die sächsische Wirtschaft so dringend wie funktionierende Technische Hochschulen, die für junge Leute aus allen Himmelsrichtungen attraktiv sind.

Das braucht manchmal einen Kraftakt. Das Sächsische Immobilien- und Baumanagement, Niederlassung Leipzig II, ist die eigentlich gewohnt, auch wenn deren Leiterin Petra Förster am Freitag ein wenig stöhnte. Immerhin liegen auch drei Monate Umzug während des laufenden Betriebes hinter SIB und der Maschinenbau-Fakultät – raus aus den alten Gebäuden in Markkleeberg (die inzwischen längst verkauft sind), rein in den Neubau und dabei Lehre und Forschung möglichst nicht unterbrechen. Das ist nun geschafft.

Ist nur noch die Frage: Wer ist eigentlich Herr Nieper, nach dem der Bau benannt ist?

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