Sachsen ist ja so richtig stolz auf sein PISA-Sieger-Schulsystem. Dass es tatsächlich ein Schulsystem des letzten Jahrhunderts ist, das reihenweise Bildungsverlierer produziert, wissen alle, die bei diesem Hürdenlauf auf der Strecke bleiben. Die ersten schon bei der Einschulung. Die nächsten dann beim Sprung von der 4. Klasse ans Gymnasium oder in das, was hierzulande "Oberschule" genannt wird. Die Grünen-Abgeordnete Petra Zais hat mal nachgefragt.
Sie hat die Winterferien genutzt, der Regierung mal alle Zahlen abzufragen zu den Bildungsempfehlungen, die im Schuljahr 2014/2015 ausgesprochen wurden in den Klassenstufen 4, 5 und 6 und zu den tatsächlichen Zahlen der Wechsler. Die Zahlen hat sie jetzt bekommen.
Jeder Bildungsforscher fasst sich an den Kopf, dass in deutschen Schulen Kinder schon in der 4. Klasse sortiert werden sollen nach ihrer Befähigung, künftig vielleicht zu studieren oder nicht. Tatsächlich ist das in diesem Alter fast unmöglich. Weswegen ja die letzte sächsische Regierung aus CDU und FDP so stolz darauf war, nun auch noch für die Folgejahre Bildungsempfehlungen für die Kinder auszureichen, so dass der eine oder andere Schüler vielleicht doch noch wechselt.
Aber der Blick allein schon auf die Leipziger Zahlen zeigt: Es hängt nach wie vor davon ab, an welche Grundschule ein Kind geht, in welchem Ortsteil diese steht und wie dessen soziales Umfeld ist, ob es die Empfehlung fürs Gymnasium bekommt – oder nicht. Es gibt keinen medizinischen Befund, der erklären kann, dass Kinder im einen Ortsteil klüger und befähigter sind als im anderen. In einem wirklich gut ausgestatteten Bildungssystem müssten die Prozentwerte der Empfehlungen dicht beieinander liegen. Tun sie aber nicht.
Schulen in der Stadtmitte, die vor allem von Kindern aus bildungsnahen Elternhäusern besucht werden, haben Empfehlungsquoten fürs Gymnasium von über 70 Prozent. Die Lessingschule zum Beispiel mit über 75 Pozent, die Schule am Floßplatz mit über 73 Prozent, aber auch die in Schleußig zu findende Schule am Auwald schaffte über 76 Prozent. Absoluter Überflieger war die 5. Grundschule am Waldstraßenviertel mit einer Gymnasialempfehlung von über 93 Prozent.
Da fällt es schon auf, wenn die Schulen mit deutlich niedrigeren Empfehlungsquoten in den Leipziger Stadtteilen liegen, die als soziale Brennpunkte bekannt sind. Angefangen mit der Wilhelm-Wander-Schule in Neustadt-Neuschönefeld (16,67 Prozent) der 90. und 91. Schule in Grünau mit 23 Prozent, der Schule am Adler (Kleinzschocher) und der August-Bebel-Schule (Neustadt-Neuschönefeld) mit knapp 28 Prozent. Dazu kommt noch die Hans-Kroch-Schule in Gohlis-Nord, wo auch nur 16,67 Prozent der Kinder die Empfehlung fürs Gymnasium bekamen. Der Durchschnitt in Leipzigs Grundschulen lag insgesamt bei 50,42 Prozent. Was zwar deutlich überm sächsischen Durchschnitt von 46,53 Prozent lag und auch deutlich überm Chemnitzer Mittel von 43,01 Prozent.
Aber der Blick nach Dresden zeigt, dass noch ein ganz anderes Niveau möglich ist: Dort wurde 58,79 Prozent der Viertklässler eine Empfehlung fürs Gymnasium ausgesprochen.
Kinder aus sozialen Brennpunkten haben also sichtlich schlechtere Chancen, eine Empfehlung fürs Gymnasium zu bekommen.
Jedes zweite Leipziger Kind wechselt ans Gymnasium
In Zahlen absolut für Leipzig: 1.739 Mädchen und Jungen bekamen in diesem Jahr die Empfehlung fürs Gymnasium.
Tatsächlich angemeldet haben sich 1.688. Die Zahlen sind nicht ganz deckungsgleich, weil Kinder ja auch mit ihren Eltern umziehen oder auch in Schulen jenseits der Stadtgrenzen wechseln. Die 1.688 entsprechen immerhin 51,6 Prozent der Anmeldungen.
In Dresden liegt der Wert übrigens nicht viel höher mit 52,8 Prozent. Der sächsische Durchschnitt liegt bei 41 Prozent. Kinder in den beiden großen Städten gehen also deutlich häufiger ans Gymnasium als jene aus den ländlichen Räumen.
Auch Wechselmöglichkeit in den Klassenstufen 5 und 6 wird genutzt
Und wie war’s dann in den nächsten Klassenstufen? Wie viele Chancen zum Wechsel von der Oberschule aufs Gymnasium gab’s da per Bildungsempfehlung?
In der 5. Klasse waren es genau 13.
In der Klassenstufe 6 waren es dann etwas mehr: 59 bzw. 3,93 Prozent der Oberschüler. Was übrigens sachsenweit der niedrigste Wert war. Der sächsische Durchschnitt lag bei 9,51 Prozent – fast jedes zehnte Kind in der 6. Klasse der Oberschule bekam also die Empfehlung, aufs Gymnasium zu wechseln. In Leipzig war’s nicht mal jedes 25. Da gab es reihenweise Leipziger Oberschulen, wo in der 6. Klasse nicht eine einzige Gymnasialempfehlung ausgesprochen wurde. Und in anderen Oberschulen gab es dann für über 10 Prozent der Kinder eine Empfehlung fürs Gymnasium – hier fallen die 56. Oberschule in Großzschocher auf, die Georg-Schumann-Schule in Mitte und die Apollonia-von-Wiedebach-Schule in Connewitz. Was nicht wirklich außergewöhnlich ist. Es gibt Schulen in Sachsen, da bekommt jedes fünfte Kind in der Oberschule eine Empfehlung, doch noch aufs Gymnasium zu wechseln.
Die erschreckende Ausnahme sind eher Oberschulen, in denen die Quote bei 0 Prozent liegt.
Ob die 72 Leipziger Oberschüler, die jetzt eine Empfehlung fürs Gymnasium bekommen haben, auch tatsächlich wechseln, ist ja noch offen. Immerhin lernen im aktuellen Schuljahr 44 Kinder am Gymnasium, die im letzten Jahr noch an der Oberschule waren. Die zweite Bildungsempfehlung in den Klassen 5 und 6 wird also tatsächlich genutzt.
Es gibt natürlich auch die andere Wechselrichtung, wenn Kinder am Gymnasium nicht mehr mithalten oder sich dort nicht wohl fühlen: 8 Kinder sind im aktuellen Schuljahr so vom Gymnasium an die Oberschule gewechselt.
Aber diese Hin- und Her-Wechselei kann natürlich nicht kaschieren, dass in einigen Ortsteilen die Chancen, eventuell den Sprung aufs Gymnasium zu schaffen, drei Mal geringer sind als in anderen. Und das hat mit einer “natürlichen Streuung” nichts mehr zu tun.
Antwort zur Anfrage von Petra Zais zu den Bildungsempfehlungen
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