Am 24. März war es soweit und der Ärger machte sich auf dem Augustusplatz Luft. 27.000 Lehrer aus allen Teilen Sachsens, Sachsen-Anhalts und Thüringen protestierten in Leipzig gegen die offenkundige Haltung der Arbeitgeberseite, der Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL), bei den Verhandlungen im öffentlichen Dienst eine ablehnende Gangart eingelegt zu haben. Mit dabei der Leipziger Gymnasiallehrer Jens-Uwe Jopp, welcher L-IZ.de im Anschluss ein Interview zu seinen Gründen gab, gemeinsam mit den Kollegen auf die Barrikade zu klettern.
Die Situation am heutigen 24. März
Nach drei Tarifrunden war die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) offenbar nicht in der Lage, ein echtes Angebot auf die Lohnforderungen der Gewerkschaften zu unterbreiten. Nach einjährigen Verhandlungen zu einer Entgeltordnung für Lehrkräfte hat die Arbeitgeberseite hingegen erstmals ein Angebot vorgelegt. Diese neue Entgeltordnung hingegen enthält nach Gewerkschaftsangaben keinerlei Verbesserungen für Lehrpersonen mit vollständiger Lehrerausbildung. Außerdem beabsichtigen die Arbeitgeber, die Höhe der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung (VBL) zu kürzen. Kurz gesagt – weniger Rente bei steigenden Anforderungen im Klassenzimmer.
Der „dbb beamtenbund“, ver.di und tarifunion, Spitzengewerkschaft des tlv thüringer lehrerverband und die GEW hatten ihre Mitglieder im Landesdienst in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen daraufhin zum ganztägigen Warnstreik aufgerufen. Neben den Lehrern versammelten sich auch weitere Berufsgruppen des öffentlichen Dienstes der Länder auf dem Augustusplatz.
In seiner Rede erklärte dort Willi Russ, Zweiter Vorsitzende und Verhandlungsführer des dbb: „Statt endlich ein lineares Angebot vorzulegen, wollen die Arbeitgeber an die Zusatzversorgung ran. Diese Forderung nach pauschalen Einschnitten ohne vernünftige Begründung erschüttert das Vertrauen der Beschäftigten in das System der Zusatzversorgung. Es gilt: Kürzungen im Leistungsrecht sind mit uns nicht zu machen!“
„Seit der Einkommensrunde 2011 fordern auch die tarifbeschäftigten Lehrerinnen und Lehrer aus Thüringen eine tarifliche Eingruppierung in Gehaltsgruppen, seit einem Jahr sitzen wir mit der TdL für eine Entgeltordnung am Verhandlungstisch. Trotzdem schafft es der Verhandlungsführer Herr Bullerjahn nicht, uns ein einigungsfähiges Angebot zu unterbreiten. Das ist eine Missachtung der Leistung der sächsischen Lehrkräfte!“, äußert Bernd Fröhlich, stellvertretender Landesvorsitzender des tlv – thüringer lehrerverband und Mitglied der dbb Verhandlungskommission seinen Unmut über das Verhalten der Arbeitgeberseite.
Geht es also nur um mehr Geld, mehr Rente und mehr von allem? Oder brennt es nicht längst im Klassenzimmer, wenn es um den täglichen Bildungsauftrag der Pauker geht? Und wie spiegelt sich Sparpolitik im konkreten Schulalltag, selbst an Gymnasien – dem angeblichen Hort der hohen Bildung für die Besten?
Fragen, die in einer solchen Situation ein Leipziger Lehrer beantworten kann. Jens-Uwe Jopp, Lehrer für Deutsch und Geschichte an zwei Gymnasien in Leipzig.
Lehrern geht es doch eigentlich ganz gut oder? Wieso streiken Sie?
Die wollten sich einfach mal einen Tag Ferien zusätzlich nehmen, um den kalendarischen Frühlingsanfang nachzufeiern.
War ja auch ein schöner Tag heute auf dem Augustusplatz …
Im Ernst: Hier geht es um einen grundsätzlichen Abwärtstrend in der materiellen und ideellen Wertschätzung der pädagogischen Arbeit aller Lehrerinnen und Lehrer. Als ich heute auf dem Augustusplatz stand, hörte ich zwischen Trillerpfeifen und Rasseln Stimmen wie „Das geht doch nun schon seit Jahren so … warum setzt sich niemand gegen den Finanzminister durch … langsam ist es wirklich genug…“ Selten habe ich bei einem Streik so viel Einverständnis gespürt, zwischen Lehrern und Schülern, auch innerhalb der Kollegien.
Da ich an zwei Schulen gleichzeitig unterrichte, kann ich an dieser Stelle auch getrost den Plural verwenden.
Es geht also nicht “nur” um mehr Geld?
Es geht mitnichten darum. Als ich gestern meinen Schülern unsere Streikanliegen erklärte, fragte ich sie: „Erkennt Ihr einen Zusammenhang zwischen zunehmender Aggression im Alltag, den ausländerfeindlichen Montagsdemonstrationen, verbunden mit Auf- und Abstiegsängsten der Bevölkerung und unzureichenden Bildungsbedingungen? “Geld” ist da nur der Ausdruck des Problems. Wir begeben uns auf gefährliches, demokratiezerstörendes Glatteis, wenn wir die Wertebildung, soziale Betreuung und Gewaltprävention unserer Menschen auf Zahlen reduzieren und am falschen Ende sparen“
Sächsische Verhältnisse bei Lehrern konkret: könnten Sie kurz schildern, was den Alltag eines Lehrers stressig macht?
Ich weiß gar nicht, ob ich das wirklich ansatzweise gerecht beurteilen kann. An den beiden Gymnasien, an welchen ich die 15-18jährigen in Geschichte und Deutsch unterrichte, ist die Situation noch nicht als dramatisch zu bezeichnen. Aber sie bewegt sich dorthin: Zunehmende Unterrichtsausfälle, Sekretariate sind nicht besetzt, Kollegen müssen „aus dem eigenen Bestand“ ersetzt werden, Kollegen die dauererkrankt sind. Ich wage mir nicht vorzustellen, wie das in Regionen bzw. Standorten aussieht, welche brisanter sind und das angespannte soziokulturelle Klima schneller zu eskalieren droht.
Generell hat eine gewisse „Alltagshetze“ zugenommen. Es knirscht gewaltig im Gebälk. Aus unserer Sicht mehr als logisch. Ältere Kollegen – noch halten wir tapfer die 5 vorm Komma im Altersdurchschnitt der Kollegien – sind nun mal älter, bei zunehmenden Kontroll- und Erbringungsdruck logischerweise auch weniger stress- und krankheitsresistent. Dadurch verschärfen sich Auseinandersetzungen, die Frustrationstoleranz innerhalb der Schulen sinkt, die Bildungseinrichtungen sind beileibe kaum noch Orte, an denen sich mit Ruhe und Konzentration Lehr- und Wissensinhalte auf hohem geistigem Niveau angeeignet werden können.
Was erwarten Sie und Ihre Kollegen genau von ihrem Arbeitgeber?
Wir erwarten, dass man von uns bei steigender Arbeitsbelastung nicht den Verzicht erwartet. Verzicht auf qualitativ hochwertige pädagogische Arbeit, Verzicht auf Gesundheit und Lebensqualität. Verzicht auf Freude bei der Arbeit. Jetzt mögen viele andere Berufszweige einwenden: „Das habe ich auch nicht.“ Da kann ich nur wiederholen: Sollten wir an unseren Kindern sparen, indem wir die staatliche Bildung derart geringschätzen?
Junge, motivierte Kollegen stehen in den Startlöchern, kämpfen neben ersten Unterrichtserfolgen und mit hohem Einsatz um jedes Zehntel in ihrem Leistungsdurchschnitt, um anschließend von den verantwortlichen Stellen mitgeteilt zu bekommen, dass für sie hier in Sachsen kein Bedarf bestünde. Wer möchte diesen, den schönsten Beruf, den es gibt, dann noch ergreifen?
Wie reagieren Ihre Schüler und Eltern auf die Forderungen – verstehen diese Ihre Anliegen?
Gestern meinte ein Schüler zu mir: „Sagen Sie das alles, was Sie uns gerade erklärt haben, doch mal den Politikern.“ Ich antwortete: „Das werde ich, Sebastian.“ Ich hoffe sehr, dass die Eltern unsere Haltung verstehen, begreifen, dass wir nicht nur für „unser Geld“ auf die Straße gehen, sondern auch für die Schülerinnen und Schüler.
Wir verstehen uns als einen Teil unserer Gesellschaft und sind Teil derjenigen, die dafür sorgt, dass unsere Welt eine friedliche bleibt. Eine demokratische. Eine faire und humanistische. Ich bin mir sicher, dass das auch die Mehrheit der Eltern versteht und uns in unserem Anliegen unterstützt.
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Nur mal zum Bedenken in der politischen Diskussion:
Bis vor wenigen Jahren haben die politischen Entscheidungsträger noch den Mumm gemacht, klar Gegenposition zu beziehen.
Nun gibt es eine neuere Strategie, die z.B. bei Studentenprotesten von Bildungspolitikern sehr gerne eingesetzt wird: “Ja, wir verstehen Ihre Probleme. Sie haben wirklich recht.” Vielleicht kommt noch was mit fehlendem Geld. Aber weiter geschieht nichts.
Die Lehrer werden also im Landtag sicher offene Türen einrennen, allerdings zum Hinterausgang wieder herauskommen.
Bei so einem Verfall der politischen Diskussionskultur helfen nur noch aktive Handlungen. Wie eben ein Streik.
Also streikt weiter, liebe Lehrer. Etwas anderes wird in Dresden nicht verstanden. Lasst Euch von Negativpropaganda nicht einschüchtern.