Der „tägliche Wahnsinn im Lehrerzimmer“, nervige Eltern, der richtige Umgang mit komplizierten Schülern, planloser Unterricht oder sinnlose Unterrichtsfächer. Die Serie „Lehrergeständnisse“ auf "Spiegel Online" (SPON) will zeigen „wie Schule wirklich ist“ und scheitert an ihrem Anspruch.
„Die Detektive der Geschichte decken auf, wie es wirklich war“, Guido Knopp und sein Trupp versuchten jahrelang ihrem Fernsehpublikum weiszumachen, dass sie wüssten, wie die Vergangenheit wirklich war und ignorierten dabei ein Grundprinzip der Geschichtswissenschaft, wonach Geschichte die Deutung der Vergangenheit aus der Perspektive der Gegenwart ist – und zudem ein individuelles und komplexes Konstrukt. Niemandem wird es möglich sein, Geschichte zu zeigen, wie sie wirklich war. Auch nicht Guido Knopp. Man denke nur an den Streit über die unterschiedlichen Deutungen der DDR aus Sicht des sogenannten einfachen Bürgers. Alle waren dabei, bräuchten gar keine Detektive der Geschichte, aber wenn man 10 Menschen bitten würde, ihre Geschichte in der DDR zu erzählen, sie würden jeweils unterschiedliche Aspekte hervorheben und andere dafür ignorieren oder herunterspielen. Wie will man dann zeigen können, „wie es wirklich war“?
Dieses Problem stellt sich allerdings nicht nur mit der Geschichte, sondern auch mit Schule. Schule, das sind Lehrer, das sind Eltern, das sind Schüler, das sind die Küchenmitarbeiter, das sind Schulsachbearbeiter und der Hausmeister, und, und, und. Das sind pro Schule meist mindestens 400 Personen bei 33.810 allgemeinbildenden Schulen in Deutschland (Stand Schuljahr 2013/2014). Schon hier wird deutlich, dass man nicht einfach so zeigen kann, „wie Schule wirklich ist“, wie es die Serie „Lehrergeständnisse“ auf “Spiegel Online” suggeriert.
Natürlich ähneln sich Schulen, Lehrer, Kollegen und Eltern, aber wer sagt uns denn, was davon nun das ist, was wir uns unter Schule im Jahre 2015 vorstellen sollen? Dominieren in dieser „wirklichen Schule“ die nervigen Eltern, von denen ein Lehrer berichtet? Es gibt doch auch engagierte Eltern und vor allem gibt es ganz viele Eltern, die äußerst selten in Erscheinung treten. Vielleicht weil sie keine Zeit haben oder kein Interesse oder weil sie Lehrern und Schule heute noch vertrauen. Das soll es ja auch geben.
Hier zählt eher: Wer am lautesten schreit, dem wird Gehör geschenkt. Und schon in derselben Schule können die Erfahrungen unterschiedlich sein. Ich meine sogar, sie hängen von Lehrertyp und Motivation ab. Welchen Grund hat ein Lehrer, der hoch motiviert die Kreide schwingt, der die Früchte seiner Arbeit an dem Spaß seiner Eleven sieht, Geständnisse abzulegen? Was soll er gestehen? Wenn die Schule wirklich so ist, wie sie in den Lehrergeständnissen dargestellt wird, muss er ja zugeben, dass er in einer anderen Schule arbeitet als in der wirklichen. Ja, muss er sich dann dafür schämen, wenn er nichts zu meckern hat? Arne Ulbricht, Lehrer an einem Berufskolleg und episodisch an den Lehrergeständnissen beteiligt, versucht zumindest, die Schule besser zu machen, als sie seine schreibenden Kollegen darstellen. Immerhin.
Nicht, dass mich hier jemand falsch versteht. Ich fordere keine Verklärung von Schule, von diesem System was genügend Schwächen hat, die alle zur Sprache kommen sollen. Beispielsweise, dass Schülern Noten wichtiger sind als Inhalte, dass pädagogische Ratschläge nicht immer befolgt werden können, weil Schüler eben nicht so handeln, wie es Lehrbücher vorhersehen.
Schule ist ein hoch interessanter Mikrokosmos, in dem die Geschichten auf den Fluren liegen, jeder Lehrer kann seine eigene erzählen, allerdings sollte man davon nicht die „wirkliche“ Schule ableiten, denn diese „wirkliche Schule“ gibt es nicht und man wird sie auch nie glaubhaft aus Geschichten zusammenschmieden können.
Es sind allenfalls Episoden aus der Schule, die zeigen, was in Schule passieren kann. Ob das jeweilige Geständnis dann ein Einzelfall ist oder ein Massenphänomen muss der Leser beurteilen. Er bastelt sich eben doch die heutige Schule in seinem Kopf zusammen. Komischerweise recht häufig eine Schule, in der er nicht sein wolle. „Lehrer will ich heute bei diesen Schülern nicht mehr sein“, heißt es da nicht selten. Liegt wahrscheinlich an den Geständnissen aus der „wirklichen Schule“.
Oder ist es doch ganz anders? Selber angeregt zum Nachdenken über Schule und was sie sein könnte? Einfach mitmachen. Vielleicht haben nicht nur wir das Gefühl, dass über Schule im 21. Jahrhundert einmal gründlich nachgedacht werden sollte.
Wenn Sie Ideen haben, wie eine moderne Schule wirklich aufgebaut sein sollte, welche Systeme sich eignen oder wie man Unterricht anders gestalten könnte – warum nicht einfach an uns schreiben? Unter redaktion(at)l-iz.de freuen wir uns auf Zuschriften.
Keine Kommentare bisher