Der LandesSchülerRat Sachsen schaut ebenso wie zahlreiche andere zivilgesellschaftliche Organisationen, Kirchen und Parteien besorgt auf die zunehmende Mobilisation der PEGIDA in Dresden und anderswo in Deutschland. Als besonders beunruhigend empfindet der LSR Sachsen die nicht unerhebliche Anzahl an Schülern unter den Demonstranten.
Oft wurde in der letzten Zeit von verschiedenen Seiten zu einem gesamtgesellschaftlichen Dialog und Diskussionen über die Themen Asyl und Einwanderung aufgerufen. Nur so können politische Debatten und Entscheidungen auch Befindlichkeiten und Ängste aller Bürgerinnen und Bürger berücksichtigen. Voraussetzung dafür ist aber, dass alle Beteiligten das notwendige Wissen zur Sache und zur allgemeinen politischen Situation besitzen, stellt der Landesschülerrat fest.
Aber schon der Blick in die Talkshows des deutschen Fernsehens zeigt: Daran hapert es. Zumindest da, wo sich heute das verortet, was sich so landläufig “gesellschaftliche Mitte” nennt und was so gern Union wählt, wenn mal wieder “harte Linie gegen Ausländer” angesagt ist – und seit jüngstem noch viel lieber AfD. Gern auch mit der vollmundigen Behauptung, man würde ja über das Thema Asylpolitik und Einwanderung falsch, gar nicht oder nur unzureichend informiert.
Was wohl auch stimmt für die Auswahl der Medien, die in diesem seltsamen Mitte-Gemisch überhaupt noch wahrgenommen werden. Was auch mit dem Bildungs- und Informationsanspruch dieser Medien zu tun hat – wenn sie überhaupt noch einen haben.Gerade Schule bilde dabei einen Mittelpunkt dieser Auseinandersetzung und der Vermittlung dieser Kompetenzen zur politischen Teilhabe, stellt der Landesschülerrat fest. Besonders junge Menschen und Schüler sollten für dieses Thema sensibilisiert sein. Deswegen müsse sich die Bildungspolitik in Sachsen den Vorwurf gefallen lassen, nicht genügend Anstrengungen für die breite Etablierung politischer Bildung an allen Schulen aufgebracht zu haben. Und nicht nur in der politischen Bildung. Im Grunde geht es um Allgemeinbildung, die auch im sächsischen Bildungssystem auf der Strecke bleibt.
Ein Fach wurde dabei besonders kurz geschoren, stellt der Landesschülerrat fest: In vielen Bildungsgängen wird Gemeinschaftskunde nur für ein Jahr und nur mit zwei Stunden pro Woche unterrichtet, bzw. gar nicht oder nur kombiniert. An Gymnasien und Oberschulen findet sich das Fach nur in Klasse 9 und 10 verpflichtend mit zwei Wochenstunden auf der Stundentafel, in der Oberstufe kann es sogar abgewählt werden. Im Unterricht bleibe kaum Raum für die Thematisierung von und Aufklärung über Flucht, Asyl und Einwanderung. Auch der Ethikunterricht leiste zwar pflichtgemäß seinen Teil, doch besonders bei aktuellen Problemen und Diskussionen können die Lehrkräfte nicht flexibel aus dem Lehrplan ausbrechen und mit den Schülerinnen und Schülern abstrakte Konflikte und Sorgen besprechen. Sie sind in ein starres (auf Effizienz getrimmtes) Stundenkorsett geschnürt, das die wirklich wichtigen Grundlagen unserer modernen Gesellschaft zumeist ausblendet.
Und dabei rückt genau der Schultyp in den Fokus, der zwar mittlerweile den Aufkleber “Oberschule” trägt, aber schon lange keine allseitige Persönlichkeitsbildung mehr leistet und Jahr um Jahr auch noch 10 Prozent der Schüler ohne Abschluss ins Leben schickt. Es ist fast folgerichtig, dass genau diese – am Ende bildungsfernen – Jugendlichen dann nicht nur das Gefühl haben, die Welt nicht mehr zu verstehen und sich bei den argumentlos demonstrierenden PEGIDA-Bürgern wiederfinden, Seit an Seit mit AfD- und NPD-Funktionären.Im Grunde ist es die Kehrseite eines Schulsystems, das Auslese von Anfang an zum Prinzip macht.
Die Atmosphäre in den Schulen lädt dann auch Lehrkräfte nicht dazu ein, den nach Jahren der Auslese lustlos gewordenen Schüler zur Auseinandersetzung aufzufordern.
“Wenn ich von Mitschülern aus Dresden höre, dass die Hälfte ihrer Klassen zu den Demonstrationen von PEGIDA gehen, ist das für mich besorgniserregend”, sagt dazu der Vorsitzende des Landesschülerrats Patrick Tanzer. “Ich habe zum Beispiel keinen richtigen Raum mehr, im Unterricht an der Berufsschule, in dem wir das schwierige Thema debattieren können. Gerade für meine Region in Sachsen ist Einwanderung auch nicht leicht zu diskutieren. Dabei muss Unterricht dazu beitragen, die Polemik der Demonstranten aufzudecken und die Fakten darzustellen. Und Schule muss darüber hinaus eine Debatte über dieses Thema anregen. Zeit und Angst dürfen Lehrer nicht mehr hindern ihre Schüler anzuhalten, sich mit der Bewegung auseinanderzusetzen.”
Aber was erwartet man von Lehrern, die in Sachsen auch gern einmal versetzt werden, wenn sie zu aufmüpfig werden? Oder die mit überfüllten Klassen und vollgestopften Stundenplänen konfrontiert sind. Bildung – das wusste schon Humboldt – braucht Freiheit, keine ministerielle Gängelei.
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Doch in der Handhabung eines an der Leine geführten Bildungssystems zeigt sich auch die ganz spezielle Angst der seit 25 Jahren Regierenden vor einem gebildeten Volk. Auf den Straßen spaziert jetzt das Ergebnis, das Abbild eines Bildungsverständnisses, das den mündigen, gebildeten Bürger gern ganz weit links im politischen Spektrum verortet – und entsprechend ausgrenzt. Nun bekommt das Land den unmündigen rechten Bürger dafür, der sich auch noch mutig fühlt in seiner Uninformiertheit und als eigentliche, empörte Mitte der Gesellschaft.
Aber ob die zuständigen Minister in Sachsen auch begreifen, dass es dabei auch um sie geht – das steht wohl zu bezweifeln. Wer trennt sich schon gern von einem Bildungssystem, das so lustvoll immer neue Verlierer produziert, das Gymnasium zur letzten rettenden Regelschule gemacht hat und glaubt, man müsse sich um all die, die den rettenden Einser-Schnitt nicht schaffen, nicht bemühen?
Allein die Marktkonformität bringt keine aufrechten Bürger hervor. Das braucht mehr. Und dazu gehört das so gern Wegrationalisierte: der allgemeingebildete Mensch.
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