Alle Zeichen deuten zwar darauf hin, dass die sächsische Kürzungspolitik im Finanzministerium ausgekocht wurde. Letztlich verantwortlich für die Umsetzung aber sind nicht die Minister, sondern der Ministerpräsident. Doch alle Demonstrationen gegen die Streichungen im Hochschulbereich haben bislang nicht bewirkt. Deswegen haben sich die beiden Romanistikprofessoren Prof. Dr. Alfonso de Toro und Prof. Dr. Elizabeth Burr jetzt hingesetzt und einen Brief an Stanislaw Tillich geschrieben, in dem sie ihm die Folgen der Streichorgie ausmalen. Hier ist er in voller Länge.
An Herrn
Stanislaw Tillich
Ministerpräsident des Freistaat Sachsen
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Stanislaw Tillich,
die fortschrittliche, weise und zukunftsweisende Bildungs- und Hochschulpolitik, die Altministerpräsident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf und der ehemalige Staatsminister Prof. Dr. Hans Joachim Meyer sowie Altministerpräsident Georg Milbradt seit der Wende verfolgt haben, wird unter Ihrer Ägide zunichte gemacht.
Der bekanntgewordene Streichungsfeldzug und die Streichwut, bei denen die Universität Leipzig die Hauptlast trägt, führen zu einer regelrechten Zerschlagung der Alma Mater Lipsiensis. Denn nach der Umsetzung dieser Sparbeschlüsse, die dem Rektorat der Universität Leipzig offenbar keinen Verhandlungsspielraum lassen, wird der Universität Leipzig definitiv die Grundlage für ihre Konkurrenzfähigkeit genommen. Seit Jahren haben wir mit drakonischen und willkürlichen Kürzungen zu kämpfen und es ist nur dem großartigen Einsatz zahlreicher Professoren/innen und Mitarbeiter/innen zu verdanken, dass wir derzeit immer noch konkurrenzfähig sind.
Wir gehen davon aus, dass Ihre Regierung als vornehmste Aufgabe die Sicherung, den Schutz und die Mehrung der Möglichkeiten des Standortes Sachsen hat. Eine darauf ausgerichtete Politik im Bereich Wissenschaft und Hochschulen ist aber nicht zu erkennen. Ihre Hochschulpolitik stellt vielmehr eine Bankrotterklärung und den kompletten Ausverkauf der Universität Leipzig und von all dem dar, was wir seit 1990 alle gemeinsam mit Idealismus, Pragmatismus und einem unaufhörlichen Engagement, das von Leidenschaft und einem Zugehörigkeitsgefühl zu den Zielen dieser Region zeugt, aufgebaut haben. Mit den Sparbeschlüssen Ihrer Regierung haben Sie diese Gemeinsamkeit, die Gemeinsamkeit der Willigen, aufgekündigt.
Ist Ihnen und Ihrer Regierung bewusst, dass Sie mit diesem Streichungswahn die Leipziger Universität in ihrer Konkurrenzfähigkeit in der Region, z.B. im Rahmen des Universitätsverbunds Jena-Halle-Leipzig, aber auch bundesweit und international, nachhaltig und unwiderruflich beschädigen?
Die Landesregierung schwächt nicht nur die Universität Leipzig als wissenschaftliche Stätte. Diese Streichungsorgie wirkt sich auch auf die lokale Wirtschaft aus: Schließlich ist die Universität Leipzig nicht nur einer der größten Arbeitgeber der Stadt und damit ein Wirtschaftsfaktor, sondern sie nimmt auch zahlreiche Serviceleistungen verschiedenster Art in der Stadt in Anspruch.
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Diese Streichungsrunde unterscheidet sich in ihrer Konzeptionslosigkeit nicht von früheren. Jedoch ist der qualitative Unterschied ihrer Wucht gewaltig: Nun sollen ganze Institute schließen und vielleicht auch noch Fakultäten; wir stehen ja erst am Anfang der Streichungswelle, wie wir immer wieder aus der Presse erfahren.
Von einer durchdachten sogenannten “Neuordnung der Wissenschaftslandschaft in Sachsen” – mit diesem Anspruch hat Frau Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, Sabine von Schorlemer, ihr Amt angetreten – kann keine Rede sein. Wäre es so, hätte Ihre Regierung einen intensiven Dialog mit den Verantwortlichen der Universitäten in der Region starten müssen, einen Dialog, der sich nicht auf Rektorate und Dekanate beschränken dürfte, sondern mit den verantwortlichen Professoren/innen, Mitarbeiter/innen hätte geführt werden müssen, denn wir sind die eigentliche Universität. Stattdessen erhalten wir ultimative Kürzungsforderungen.
Kopf- und strukturelle Konzeptionslosigkeit erkennt man z. B. in einem völlig undifferenzierten Schutz der Universität Dresden. Wenn es ernsthaft um eine “Neuordnung der Wissenschaftslandschaft in Sachsen” gehen sollte, ist zu fragen, weshalb es an der Dresdner Universität nach wie vor Lehramtsfächer gibt, wo doch die Universität Leipzig von Ihrer Regierung als der Standort für die Lehramtsstudiengänge festgelegt worden ist. Und wäre es nicht an der Zeit, Fehlentscheidungen der Wendezeit, wie etwa die Universität Dresden mit Geisteswissenschaften voll auszustatten, zu korrigieren und diese lediglich in Leipzig zu konzentrieren, dem Beispiel Chemnitz oder manch einem Altbundesland folgend? Man kann einem solchen Konzept positiv oder ablehnend gegenüberstehen, es wäre jedoch zumindest eine Strukturüberlegung und kein wildes Streichungsgemetzel.
Als Konsequenz aus Ihren Sparbeschlüssen hat das Rektorat der Universität Leipzig eine Reihe von Kürzungen in den Fakultäten angekündigt, für deren Umsetzung in den Fakultäten und Instituten Sie als Regierung nicht direkt verantwortlich gemacht werden können, Sie sind gleichwohl die Ursache dafür.
Zu kritisieren ist, dass Institute und Fakultäten kein Mitspracherecht mehr haben, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt werden. Ein derart autoritäres und autokratisches Verhalten, das sich bei uns in Deutschland fast nur noch im Bildungswesen findet, ist politisch hochgradig anachronistisch in einer Zeit, in der eine starke Bürgerbeteiligung in zentralen Fragen des Zusammenlebens und -wirkens gefragt ist, die sogar über Regierungsbildungen in Deutschland entscheidet.
Wir fordern eine radikale Wende in dieser Sparpolitik und die sofortige Rücknahme aller Stellenstreichungen und wir empfehlen zugleich, sich stattdessen rasch und ernsthaft mit Strukturüberlegungen zu befassen, die diesen Namen verdienen, und so Konzepte zu entwickeln, die neue Synergien auf der Basis von Pragmatismus und wissenschaftlicher Exzellenz ermöglichen. Hier ist unabdingbar, dass eine professionelle universitätsfremde Institution die sächsischen Universitäten, speziell die Geisteswissenschaften, auch an der Universität Dresden, evaluiert und so – über Auslastung und vakante Professuren hinaus – auch Exzellenzkriterien zu Rate gezogen werden. Damit wird sich rasch zeigen, wo die Universität Leipzig steht.
Mit einem Bruchteil dessen, was Ihre Regierung in die Rettung von Banken investiert hat und investieren wird, um die Realwirtschaft vor den Folgen krimineller Banktransaktionen zu schützen, könnten Sie unsere Universitäten, die seit Jahren mit dem Existenzminimum zurechtkommen müssen, so ausstatten, dass sie Weltspitze werden.
Wir gehen davon aus, dass Sie nicht als der Ministerpräsident in die neuere Geschichte Sachsens eingehen wollen, der zwar einen ausgeglichenen Haushalt, aber zugleich eine wissenschaftliche Wüstenlandschaft hinterlassen hat.
Mit freundlichen Grüßen,
gez. Univ.-Prof. Dr. Alfonso de Toro gez. Univ.-Prof. Dr. Elisabeth Burr
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