"Länderranking der Wirtschaftslobby" hat "Spiegel Online drüber geschrieben. Und drunter "Sachsen ist Bildungssieger". So ist SPON heute: Man weiß die Hälfte, ist aber zu faul, Rankings wirklich zu lesen. Man nimmt als gegeben, was da als Ergebnis des "Bildungsmonitors 2014" geschrieben steht. Und es geht nicht nur den Schnellschreibern des "Spiegel"-Ablegers so. Sachsens Regierungsparteien sind nicht besser. Fürst Potjemkin lässt grüßen.
“Länderranking der Wirtschaftslobby” hat “Spiegel Online drüber geschrieben. Und drunter “Sachsen ist Bildungssieger”. So ist SPON heute: Man weiß die Hälfte, ist aber zu faul, Rankings wirklich zu lesen. Man nimmt als gegeben, was da als Ergebnis des “Bildungsmonitors 2014” geschrieben steht. Und es geht nicht nur den Schnellschreibern des “Spiegel”-Ablegers so. Sachsens Regierungsparteien sind nicht besser. Fürst Potjemkin lässt grüßen.
Kaum hatte die Initiative für Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) am Dienstag, 19. August, ihren “Bildungsmonitor 2014” veröffentlicht, saß man in den Fraktionsbüros von CDU und FDP in Sachsen schon eifrig an der Formulierung der neuen Erfolgsmeldungen.
Die CDU schrieb gleich mal, als sei das von INSM Vorgelegte tatsächlich eine echte Qualitätsanalyse: “Das sächsische Bildungssystem ist nach Auffassung von Experten das Beste in ganz Deutschland. Bereits zum neunten Mal in Folge belegt der Freistaat den 1. Platz beim Vergleich der Bildungssysteme aller deutschen Bundesländer. Das geht aus dem heute von der ‘Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM)’ veröffentlichten ‘Bildungsmonitor 2014’ hervor.”
Für den bildungspolitischen Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Lothar Bienst dann auch gar keine Frage: “Wenn ein Bundesland den Bildungsmonitor neun Mal in Folge gewinnt, muss es ein klares Signal dafür sein, dass Sachsen in den vergangenen Jahrzehnten bei der Bildung vieles richtig gemacht hat. Was sich nach vielen Jahren verantwortungsvoller und nachhaltiger Politik besonders bewährt hat, ist, dass der Freistaat keinerlei Experimente in seinem Bildungssystem vorgenommen hat und an ein gegliedertes Schulsystem festhält. Diese Verlässlichkeit loben nicht nur Experten, sondern auch die sächsischen Lehrer, Schüler und Eltern. Deshalb wird die CDU-Landtagsfraktion auch künftig daran festhalten.”
Nein, das muss es nicht wirklich. Denn was passiert eigentlich, wenn die vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln ausgewählten Kriterien und ihre Einordnung falsch sind? Eine ganz tückische Frage. Denn wenn die Kriterien einer wirklich wissenschaftlichen Analyse nicht standhalten würden (was die L-IZ ganz stark vermutet), dann ist der 1. Platz eine Schimäre. Dann lullen sich die für Sachsens Bildungssystem Verantwortlichen in Selbstgefallen ein und merken gar nicht, dass sie das System völlig falsch justiert haben.
Aus Sicht der L-IZ sprechen für den Erfolg eines Bildungssystems nur die harten Fakten: niedrige Schulabbrecherquote, niedrige Abbrecherquote bei Studium und Ausbildung, hoher Integrations- und Fördererfolg im System Schule, hohe Sicherungsqualität beim Lehrernachwuchs, gute Kita-Betreuung usw. … Wenn man diese Parameter nimmt, landet Sachsen nicht auf Rang 1, sondern auf Rang 14.
Aber irgendwie ist Graf Potjemkin das große Vorbild für die aktuelle sächsische Politik.
Lothar Bienst: “So wichtig die Beständigkeit des Bildungssystems ist, umso wichtiger ist die Flexibilität beim Personal. Auch dabei hat Sachsen, gerade in den vergangenen Monaten, bewiesen, was verantwortungsvolles Handeln ist, indem auf die wachsende Schülerzahl mit der Neueinstellung von über 1.000 neuen Lehrern und mehr als 2.000 Referendaren reagiert wurde. Auch in Zukunft werden bei uns immer genau so viele Pädagogen eingestellt werden, wie gebraucht werden. – Dass Sachsen insbesondere bei den Handlungsfeldern Förderinfrastruktur, Schulqualität und der Bildungsgerechtigkeit sehr gut abschneidet, sollte endlich auch den letzten Kritikern in der Opposition klar machen, dass wir in Sachsen nicht nur ein gutes, sondern auch ein gerechtes Bildungssystem haben. Auch die konsequente Förderung im frühkindlichen Bereich, also die gute Arbeit in den sächsischen Kitas und die gute naturwissenschaftliche Ausbildung an unseren Schulen wurde von den Experten gelobt. – Natürlich stehen wir vor Herausforderungen in unserem sächsischen Schulsystem. Dazu zählen das neue Schulgesetz und die Berücksichtigung des Schüleraufwuchses in den Haushaltsverhandlungen für den nächsten Doppelhaushalt. Das wird eine der wichtigsten Aufgaben in der nächsten Legislatur sein, die wir von der CDU-Fraktion verantwortungsvoll lösen werden.”
Und ein Hosianna aufs eigene Werk gibt es auch aus der FDP-Fraktion.
“Sachsens Schüler und Lehrer sind spitze, und die sächsische Bildungspolitik ist es ebenso. Der erneute erste Platz beim Bildungsmonitor 2014 zeigt, dass wir in Sachsen auf dem richtigen Weg sind: Wir haben mit der Konzentration auf Bildung die richtige landespolitische Priorität gesetzt”, findet Holger Zastrow, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Sächsischen Landtag. “Ebenso richtig ist das unbeirrte Festhalten an der Leistungsorientierung in unserem Schulsystem. Wir werden weiterhin allen linksgrünen Phantastereien in der Bildungspolitik eine Absage erteilen, wie etwa Zensuren und die Wiederholung einer Klassenstufe abzuschaffen. Der oft von links gehörte Vorwurf, diese Leistungsorientierung benachteilige Kinder aus sozial schwachen Familien, wird vom Bildungsmonitor widerlegt: Auf dem Gebiet Förderinfrastruktur liegt Sachsen auf Platz 1. Sachsen benachteiligt Kinder aus sozial schwachen Familien nicht – im Gegenteil, wir fördern sie vorbildlich!”
Nur als Einwurf: Die im INSM-Ranking positiv bewertete Förderstruktur sind die Kindertagesstätten und Horte in kommunaler Trägerschaft. Und die Nichtbenachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien wird nur durch das ausgeglichene Leistungsniveau in den IQM-Tests 2009 und 2012 belegt, nicht durch ihren tatsächlichen Bildungserfolg.
Aber zumindest hat Holger Zastrow mitgekriegt, dass auch die INSM einiges am sächsischen Bildungssystem kritisiert hat: “Allerdings zeigen die Ergebnisse des Bildungsmonitors auch, welche Aufgaben noch vor uns liegen. Vor allem bei den Themen Lehrermangel und Schüler ohne Abschluss müssen wir für Verbesserungen sorgen. – Den eingeschlagenen Weg bei der Lehrerausbildung müssen wir konsequent weitergehen, um den künftigen Lehrerbedarf decken zu können: Über den notwendigen Ersatz der Altersabgänge hinaus benötigen wir zusätzlich einen flexiblen Einstellungskorridor mit jährlich zwischen 200 und 400 neuen Lehrern. Nur so kann der immer noch zu hohe Unterrichtsausfall spürbar gesenkt werden. – Darüber hinaus wollen wir den Anteil von Schülern ohne Abschluss in den kommenden Jahren auf unter fünf Prozent senken und damit im Vergleich zu heute nahezu halbieren. Das muss Aufgabe für die kommenden Jahre sein, um den Spitzenplatz bei Bildungsvergleichen mit anderen Bundesländern auch in Zukunft verteidigen zu können.”
Ja, aber wie das geschafft werden soll, verrät er auch wieder nicht.
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Dass man es bei den Leuten von INSM und IW Köln nicht unbedingt mit (Bildungs-)Experten zu tun hat, das weiß man zumindest in der sächsischen Opposition.
“Es scheint zunächst erfreulich, dass Sachsen zum wiederholten Mal seine Spitzenposition beim Bildungsmonitor behaupten konnte. Bei näherer Betrachtung wird deutlich, dass dies in vielerlei Hinsicht kein Anlass sein kann, sich zufrieden zurückzulehnen”, meint Antje Hermenau, Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Landtag. “Der Bildungsmonitor wird im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Köln publiziert. Er zeigt lediglich, welchen Beitrag das Bildungssystem eines Bundeslandes zum Wachstum der Wirtschaft leistet. Es ist tollkühn, wenn Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) aufgrund dieser Studie voller Fehlstellen verkündet, Sachsen hätte das beste Bildungssystem in Deutschland.”
Und dann geht sie auf das ein, was man bei CDU, FDP und ISNM nicht wirklich sehen will: “Die Schulqualität beim Bildungsmonitor wird anhand von Lernergebnissen, nicht Lernprozessen gemessen. Der Indikator Integration bildet u.a. die Schulabbrecherquote sowie die Abiturientenquote von Ausländern ab. Da Sachsen einen Ausländeranteil von unter drei Prozent hat, ist es mit westdeutschen Flächenländern oder den Stadtstaaten an dieser Stelle kaum vergleichbar. Auffällig ist, dass selbst unter solchen, eher leichten Bedingungen die Schulabbrecherquote in Sachsen immer noch bei rund zehn Prozent liegt.”
Ihre Folgerung: “Will Sachsen Spitzenplätze in Umfragen halten, brauchen die sächsischen Schulen bis 2020 10.000 neue Lehrerinnen und Lehrer mit guter fachlicher Qualifikation, anstatt immer mehr Assistenz- und Aushilfskräfte. Gerade die hohe fachliche Qualifikation der Lehrerinnen und Lehrer galt lange als Schlüssel für die bisherigen Erfolge. Die Staatsregierung – nicht nur die amtierende – hat es über Jahre versäumt, die Lehrerausbildung in Umfang und Qualität zukunftsfest zu gestalten. Solche Systemfehler sind nicht kurzfristig zu beheben. Bündnis 90/Die Grünen in Sachsen haben daher im Frühjahr ein Lehrerbildungsgesetz in den Sächsischen Landtag eingebracht, um langfristig nachzusteuern.”
Und dass Sachsen Kinder aus sozial schwachen Familien nicht benachteiligt, das bezweifelt die bildungspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Sächsischen Landtag, Cornelia Falken, aber ganz stark: “Pünktlich zum Wahlkampfendspurt im Freistaat Sachsen publiziert die von der Wirtschaft finanzierte Initiative ihr Bildungsranking. Weil Sachsen im Ranking erneut vorn liegt, sonnen sich reihenweise Regierungspolitiker im Glanze des Ergebnisses und loben die Bildung im Freistaat über den grünen Klee. Ist ein Schelm, wer Arges dabei denkt. Wem es genügt, Bildung am Bedarf der Wirtschaft auszurichten und nach Kategorien von Rankings zu beurteilen, der mag sich zufrieden zurücklehnen und so weitermachen wie bisher. Wer jedoch nicht in Ranglisten denkt, die doch nur einen Durchschnitt wiedergeben, sondern sich einen Blick für die Realitäten bewahrt hat, der sieht erheblichen Handlungsbedarf.”
Etwa was den Bildungserfolg von Kindern mit sozialen Handicaps betrifft. Cornelia Falken: “Die soziale Benachteiligung, die in Sachsen so gering sein soll, hat hierzulande viele Gesichter. So hängt der Bildungserfolg stark davon ab, in welcher Region Sachsens man aufwächst. In sozialökonomisch benachteiligten Stadt- bzw. Landesteilen (hohe Sozialhilfedichte, hoher Arbeiter- und Ausländeranteil) ist der Anteil von Abiturienten geringer; dafür liegt der von ‘bildungsarmen’ Schulabgängern ohne Schulabschluss (vor allem ausländischer Jugendlicher) dramatisch über dem Durchschnitt. Es sind rund 10 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die die Schule ohne einen Abschluss verlassen. Das sind mehr als 5.000 junge Menschen, deren Zukunft düster aussieht. Vom eklatanten Lehrkräftemangel gar nicht zu reden. – All die Nöte und Sorgen des sächsischen Bildungswesens kann eine Kultusministerin im Wahlkampf freilich ignorieren. Sie könnte aber auch ihrer Verantwortung gerecht werden und endlich dem Wunsch einer Mehrheit der Eltern nachkommen, die in Umfragen für ein bundesweit einheitliches Bildungswesen votieren. Das bedeutet aber längeres gemeinsames Lernen, das Sachsens CDU scheut wie der Teufel das Weihwasser.”
Zum neuen Bildungsmonitor:
www.insm-bildungsmonitor.de
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