Alles kehrt wieder. Das ist wie bei den Schulden in finanziell völlig überforderten Familien: Man kann die Mahnung zwar irgendwo im Stapel der ganzen grässlichen Behördenpost verstecken. Aber irgendwann steht der Postbote mit dem gerichtlichen Bescheid vor der Tür. Genau so ist das beim Personalschlüssel in sächsischen Kindertagesstätten. So ungefähr seit 2006 liegt die Mahnung auf dem Tisch. Jetzt hat die Bertelsmann-Stiftung das Thema wieder auf den Tisch gepackt.<
Am Freitag, 25. Juli, hat es sein neuestes Ländermonitoring veröffentlicht: “Zu wenig Erzieherinnen in Kitas: Qualität bleibt in der frühkindlichen Bildung in Sachsen oft auf der Strecke”, lautet die Überschrift der Pressemitteilung zum Spezialfall Sachsen dazu.
Und die Bertelsmann Stiftung darf man dabei durchaus schon fast als einen amtlichen Zusteller bezeichnen, denn sie ist eine große Denkfabrik der deutschen Wirtschaft. Selbst die “Süddeutsche” betont das “wirtschaftsliberale” an dieser Stiftung. Während Sachsens Verantwortliche mit grauen Häuptern über ihren gehorteten Fonds grübeln und Angst davor haben, das Geld auszugeben – es könnte ja künftig fehlen, etwa um den Wettinern doch mal wieder was Gutes zu tun – ist man bei der Bertelsmann Stiftung ein bisschen klüger geworden in den letzten Jahren und hat begriffen, dass der “Fachkräftemangel” in Deutschland hausgemacht ist und etwas mit dem Bildungssystem und den Bildungschancen der Kinder und Jugendlichen zu tun hat.
Was übrigens auch ein Hauptgrund dafür war, dass die Bundesregierung sich ab 2013 so in die Finanzierung der frühkindlichen Bildung hineinkniete und das Recht auf einen Kita-Platz auch für unter Dreijährige beschloss. Alles beginnt ganz früh. Und die wichtigsten Grundlagen für eine erfolgreiche Bildungskarriere werden in Kinderkrippe und Kindergarten gelegt.
Je älter ein Kind wird, umso mehr “Zeitfenster” zum Erwerb wichtiger Fähigkeiten haben sich geschlossen. Beim Schuleintritt ist es für viele Kinder schon zu spät. Und es waren nicht nur die Grünen in Sachsen, die immer wieder drängelten, der Freistaat müsse endlich mehr Geld in die Kindertagesstätten stecken. Sieben Jahre lang ging nichts, saßen die sächsischen Finanzminister auf ihren Fonds und sagten “Nä!” Horst Metz genauso wie Stanislaw Tillich und Georg Unland: “Nä! Nä! Nä!”
Bis zum Mai. Da rang sich die sächsische Staatsregierung endlich dazu durch, ihren Beitrag zur Kita-Pauschale ein klein wenig anzuheben: von 1.875 auf 2.060 Euro. “Endlich”, sagte Annekathrin Giegengack. Und: Zu wenig. Denn eigentlich müssten es 2.300 Euro sein, um die Kommunen wirklich mal zu entlasten.
Kurz zuvor erst hatten die Grünen das Thema Personalschlüssel noch einmal in den Landtag gebracht. Und fanden volle Unterstützung bei SPD und Linken. Von der Regierungsfraktion gab’s das Übliche: Alles ist bestens. Da lag der Bertelsmann-Beitrag halt noch nicht vor.
“Die sächsische CDU klopft sich seit Jahren auf die Schulter und lobt die sächsische Bildungspolitik. Die Kindertagesbetreuung, die seit 2008 zum Kultusressort gehört, führt dabei ein Schattendasein. Sachsen hat einen der schlechtesten Betreuungsschlüssel mit 1:6 in der Krippe und 1:13 im Kindergarten, was dazu führt, dass bis zu 9 Krippenkinder und bis zu 19 Kindergartenkinder von einer pädagogischen Fachkraft betreut werden. Für Elterngespräche bleibt wenig Zeit, und die Vor- und Nachbereitungszeiten werden im Unterschied zu Lehrern nicht als Arbeitszeit angerechnet”, kommentierte Annekatrin Klepsch, kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Landtag, im Mai. “Bereits 2005 (!) versprach die damalige CDU-Sozialministerin Helma Orosz einen besseren Betreuungsschlüssel, um den neu eingeführten und seit 2006 für alle Kitas verbindlichen Bildungsplan personell zu flankieren. Der aktuelle Vorschlag des Ministerpräsidenten, Langzeitarbeitslose und Omas könnten die Personalsituation in den Kitas verbessern, ist eine Ohrfeige für die pädagogischen Fachkräfte mit einer mehrjährigen Ausbildung oder Studium. Die sächsische Fachkräfteverordnung, die einen Abschluss als staatlich anerkannter Erzieher oder Sozialpädagoge für eine Tätigkeit in der Kita voraussetzt, darf nicht zugunsten kleinerer Gruppen aufgeweicht werden.”
Und sie betonte den Linke-Vorschlag: Verbesserung des Personalschlüssels im Gesetz auf 1:4 in der Krippe und 1:10 im Kindergarten und einer Erhöhung der Kita-Landespauschale für die Kommunen auf 2.300 Euro pro Kind. Das will die Linke im Herbst so auch in den Haushaltsverhandlungen einbringen. Die Grünen ganz ähnlich.
Und nun der Befund aus dem Hause Bertelsmann: “Schlecht sind die Betreuungsverhältnisse in Sachsen für Kinder ab drei Jahren: In dieser Altersgruppe ist eine Erzieherin durchschnittlich für 13,5 Kinder zuständig, das sind vier Kinder mehr als im Bundesdurchschnitt. Vorzeigeländer sind erneut Bremen (1 zu 7,7) und Baden-Württemberg (1 zu 8). Schlusslicht ist Mecklenburg-Vorpommern, wo eine Erzieherin für 14,9 verantwortlich ist.”
Sachsen landet beim Personalschlüssel zwei Mal auf dem vorletzten Platz – bei den Kindern unter 3 Jahren noch knapp vor Sachsen-Anhalt, bei den Kindern ab 3 Jahren vor Mecklenburg-Vorpommern.
Um die Zahlen kümmern wir uns noch.
“Sachsens Kinder brauchen mehr qualifiziertes Personal in den Kitas”, kommentiert Claudia Maicher, Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen diese Bestätigung der eigenen Kritik. “Auch wenn der Ministerpräsident versucht, mit Mittelerhöhungen hier und mehr Freiwilligenarbeit dort, davon abzulenken. An diesem Fakt kommt er nicht vorbei. Der beispielhafte sächsische Bildungsplan bleibt Makulatur, wenn nicht endlich mehr Personal eingestellt wird. Die Eltern und Erzieherinnen sind sich in dieser Forderung einig, wie zahlreiche Massenpetitionen und Initiativen zeigen. “Man kann sich nicht mit Pisa-Erfolgen rühmen und gleichzeitig die Grundlagen für zukünftige Bildungserfolge vernachlässigen. “Die Verbesserung des Betreuungsschlüssels wird für Bündnis 90/Die Grünen einer der Schwerpunkte bei den nächsten Haushaltsberatungen im Herbst sein”, verspricht die Landesvorsitzende. “Das ist nicht billig, aber finanzierbar.”
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Da kann man gespannt sein, wer da im Herbst mit in der Regierung sitzt und “Ja!” sagt oder “Nä!”.
Und auch Annekatrin Klepsch sieht die Kritik der Linken am sächsischen Regierungshandeln bestätigt: “Die Bertelsmann-Stiftung legt mit ihrem Ländermonitor wieder einmal den Finger in die Wunde der sächsischen Kindertagesbetreuung. Einem sehr gut ausgebauten Platzangebot steht einer der schlechtesten Betreuungsschlüssel im bundesdeutschen Vergleich gegenüber. Die Qualität in der Kindertagesbetreuung leidet, wenn aufgrund der Regelungen im Sächsischen Kita-Gesetz bis zu 8 Krippenkinder (Schlüssel 1:6) und bis zu 20 Kindergartenkinder (Schlüssel 1:13) von einer Erzieherin oder einem Erzieher betreut werden.”
Natürlich ist da noch das große Thema des Rechtsanspruchs auf einen Kita-Platz. Doch auch da hat sich Sachsens Regierung nicht wirklich bemüht, den Kommunen unter die Arme zu greifen, damit sie diesen Haftungsanspruch auch erfüllen können.
Trotzdem redet sich die Regierung damit heraus.
Klepsch: “Der Verweis des Kultusministeriums auf die Absicherung des Rechtsanspruchs führt ins Leere. Der bundesweite Kita-Rechtsanspruch gilt bereits seit 1996, der Ausbau der Krippenplätze ist vor allem durch den Bund und die Kommunen finanziert worden. Nur die sächsische Staatsregierung stellt sich seit Jahren taub und blind und hat seit 2005 weder die Kita-Landespauschale erhöht noch den Betreuungsschlüssel im Gesetz verbessert, entgegen den Versprechungen von Ministerpräsident Tillich im Jahr 2008. Die jetzt angekündigte Erhöhung der Kita-Landespauschale von 1.875 Euro auf 2.060 Euro wird an der Betreuungssituation nichts verbessern, sondern dient allein dazu, die CDU-Landräte ruhig zu stellen und die stetig steigenden Betriebskosten aufzufangen. Die durch das Kultusministerium in Aussicht gestellte Ausweitung des Programms ‘Kita-Qualität’ ist ein Tropfen auf den heißen Stein, in dem gegenwärtig und nur befristet den mehr als 2.800 Kitas in Sachsen 98 Vollzeitstellen gegenüberstehen.”
Wieder so ein Pflaster und Notbehelf, genauso ein Flickwerk wie bei Schulen und Lehrern.
Die Linke will deshalb im Herbst erneut auf eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels im sächsischen Kita-Gesetz hinwirken und im Haushalt 2015/16 die nötigen Gelder von 113 Millionen Euro bereitstellen. “In einem ersten Schritt wollen wir die 2 Stunden Vor- und Nachbereitungszeit sowie fünf Fortbildungstage pro Jahr und Fachkraft im Betreuungsschlüssel berücksichtigen und ihn in der Kita auf 1:12 senken”, sagt Klepsch.
113 Millionen Euro? Die Bertelsmann-Stiftung sprach von 730 Millionen. Also müssen wir wieder mal ein bisschen rechnen.
Gleich. An dieser Stelle.
Das Ländermonitoring der Bertelsmann Stiftung als PDF zum download.
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