Es ist tatsächlich so, wie es viele Eltern schon vermuteten: Sachsens Kultusministerium hat es fertig gebracht, dass auch zum Schuljahresende 2013/2014 die Klassenbildungen zum Schuljahresbeginn im September nicht beendet sind. Das war am 20. Juni, als die Landtagsabgeordnete Eva Jähnigen (Bündnis 90/Die Grünen) ihre Anfrage stellte, durchaus noch offen. Aber vier Wochen später hat sich daran nichts geändert.

Auch wenn Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) sehr lange Antworten gab. Ausführlich waren sie nicht wirklich, eher ein Versuch, das Chaos ein wenig mit der schweren Arbeit der Steuerung und Planung zu kaschieren. Aber zum Schuljahresbeginn soll alles gut sein.

Doch schon bei der Frage der benötigten Lehrer wird die Ministerin schwammig. Das beginnt damit, dass sie die Verantwortung für die Bedarfserfassung auf die Regionalstellen abschiebt. Die werden sich ganz sicher freuen über diese Zuweisung – und den Mund halten. Denn sie müssen am Ende mit dem immer knapperen Lehrpersonal, das ihnen zugestanden wird, irgendwie auskommen und die Löcher stopfen.

Dass selbst Brunhild Kurth weiß, was für eine Flickarbeit sie den Regionalstellen zumutet, ist in ihrer Antwort nachlesbar: “Die Regionalstelle sorgt durch eine Reihe von Personalmaßnahmen, zu denen insbesondere Abordnungen, Versetzungen und Neueinstellungen im Rahmen der haushalterischen Möglichkeiten gehören, für eine möglichst umfassende Unterrichtsversorgung an den Schulen in ihrem Verantwortungsbereich.”

Eine “möglichst umfassende Unterrichtsversorgung” ist eben keine vollständige Unterrichtsabsicherung.

Jähnigen hatte auch gefragt, ob durch die von Kurth angekündigten Neueinstellungen der Lehrerbedarf abgesichert werden könnte.

Auch hier lässt die Antwort zwei große offene Scheunentore. Eins davon lautet: “Lediglich im Bereich der Förderschulen gestaltet sich das schwierig.”
Was übersetzt ja wohl heißt: An den Förderschulen gibt es nicht einmal genug Lehrer, um eine “möglichst umfassende Unterrichtsversorgung” zu sichern.

Das andere Scheunentor heißt “Grundbereich”: Die beabsichtigten Einstellungen seien ausreichend, “den Grundbereich an den Grund- und Oberschulen, den Gymnasien und berufsbildenden Schulen zu sichern”, erklärte die Ministerin. Im sächsischen Schulgebrauch heißt der Terminus “theoretischer Grundbereich”: Es wird knallhart auf Kante gerechnet, wie viele Lehrer es braucht, um die geforderte Stundenzahl abzudecken. Die Regel Nr. 1 zur Bildung eines Grundbereichs heißt zum Beispiel: “Der theoretische Grundbereich berücksichtigt keine Ausnahmegenehmigungen/ Fallgruppen. Werden die Mindestschülerzahlen in Klassen oder Gruppen nicht erreicht, so wird für diese Klasse kein theoretischer Grundbereich gebildet.”

Was dann logischerweise heißt: Die Direktoren sind gezwungen, Klassen zusammenzulegen.

Auch danach hatte Jähnigen gefragt. Und bekam von Brunhild Kurth die Antwort, dass es dazu noch keine entsprechenden Daten gäbe. Aber: “Um die Unterrichtsabsicherung auch während der Abwesenheit einer oder mehrerer Lehrkräfte (z. B. wegen Krankheit) zu gewährleisten, ist eine in der Regel vorübergehende Zusammenlegung von Klassen oder Gruppen – ggf. nur in den betroffenen Fächern – möglich.”

Das “ggf.” deutet darauf hin, das es auch sonst möglich ist. Denn wenn die Direktoren nicht genug Lehrkräfte zugewiesen bekommen, sind sie gezwungen, die Maximal-Schülerzahl von 28 auszunutzen.

Denn: Im sächsischen Schulwesen gilt knallhart die Produktionseffizienz. Oder – wie es Brunhild Kurth formuliert: “Zur Sicherung einer möglichst umfassenden Unterrichtsversorgung sowie eines effektiven Einsatzes der zugewiesenen Ressourcen ist die Sächsische Bildungsagentur (SBA) verpflichtet, die Bildung zusätzlicher Klassen im Rahmen der bestehenden Ermessensspielräume kritisch zu prüfen.”

Was ja im Klartext heißt: Keine weiteren Ressourcen, keine neuen Klassen.

Dahinter steckt die ganze Zeit der feste Glaube daran, dass man mit der onlinebasierten Erfassung des “theoretischen Grundbereiches” eine derart straffe Personalplanung hinbekommt, dass kein Lehrer zu viel und kein Lehrer zu wenig eingestellt werden muss. Das ist die Übertragung der reinen Betriebswirtschaftslehre auf das sächsische Bildungswesen.

Im Ergebnis aber stellt sich nun seit mehreren Jahren heraus, dass das zu einem Unterrichtsausfall von 3 bis 5 Prozent als Regelfall führt.

Und da man selbst in Zeiten verstärkter Altersabgänge an diesem Modell festhält, ergibt sich jetzt die Premiere, dass die Klassenbildung zum Schuljahresbeginn 2014/2015 immer noch nicht fertig ist.

Die Grünen sehen sich in ihrer Kritik an dieser Knauserpolitik bestätigt.

Claudia Maicher, Landesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, ist über die Planlosigkeit regelrecht erschüttert. “Das Schulchaos bleibt den Sachsen erhalten. Eltern, Schülerinnen und Schüler sowie die Lehrkräfte werden bis nach den Landtagswahlen vertröstet. Sie wissen nicht, welche Lehrerinnen und Lehrer neu an die Schulen kommen. Es herrscht keine Klarheit, ob Klassen in bestimmten Fächern zusammengelegt oder wie voll die Klassen sein werden”, sagt sie. “Laut Antwort von Ministerin Kurth bleiben Förderschülerinnen und -schüler die Stiefkinder des sächsischen Bildungssystems. In Klassen mit Integrationsschülern könnten demnächst mehr als 25 Kinder sitzen. Integration in übervollen Klassen ist unvorstellbar. Dass nicht einmal der Grundbereich an Förderschulen gesichert ist, zeigt, wie weit wir in Sachsen von echter Bildungsgerechtigkeit entfernt sind. Das ist ein Armutszeugnis für die sächsische Bildungspolitik.”

Da erstaunt dann nicht, dass die Landtagswahl just auf den letzten Ferientag, Sonntag, den 31. August gelegt wurde. Am Tag nach der Landtagswahl – dem ersten Schultag in Sachsen – drohe ein böses Erwachen, ist sich Maicher sicher: “Es gehört zur Stellenbeschreibung einer Bildungsministerin, den Unterricht verlässlich abzusichern und für ausreichende Anzahl an Lehrkräften an allen Schulen zu sorgen. Sachsen braucht dringend ein ordentliches Personalkonzept für seine Schulen und eine ungeschönte Analyse, wo die Probleme in den nächsten Jahren liegen. Das haben Sachsens verschiedene Staatsregierungen seit Jahren versäumt. Die Zahlentricks zur Unterrichtsplanung am Ende des Schuljahres haben keine Sicherheit gebracht.”
Die Antwort auf die Kleine Anfrage als PDF zum download.

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