Fünf Jahre lang galt für Sachsens Regierung immer nur ein Mantra "Sparen, Kürzen, Zusammenlegen". Als stünde das Land kurz vorm Ruin und die simple Grundausstattung mit Polizisten, Lehrern, Richtern sei einfach unbezahlbar. Erst kurz vor den Landtagswahlen im August hört man aus der sonst sehr verschlossenen CDU Töne, man könne ja vielleicht doch mehr Lehrer benötigen. Tatsachen aber werden längst geschaffen. Stichwort: Klassenzusammenlegungen.
Schon 2012 warnte Andreas Geisler, Vorsitzender des Stadtelternrates Leipzig (SER), vor diesem Mittel, mit dem das sächsische Kultusministerium den zunehmenden Mangel an Lehrern zu kompensieren versucht. Was jetzt zum Schuljahresstart an der 3. Grundschule im Leipziger Süden passieren soll, ist nur ein Teil dieser Entwicklung.
“Klassenzusammenlegungen im großen Stil aus rein fiskalischen Gründen sind keine Antwort auf die Probleme im sächsischen Bildungssystem”, sagt Geisler. “Der Stadtelternrat Leipzig ist solidarisch mit den Eltern der 3. Grundschule, deren Kinder in mehreren Klassenstufen zusammengelegt werden sollen, in ihrer Ablehnung dieses Vorhabens.”
Und er stellt die Rechenkünste der zuständigen Minister in Frage. Denn normalerweise sind Regierungen in der Pflicht, alle gesellschaftlichen Kosten mitzubedenken, wenn sie sparen oder “reformieren”. Wenn weniger Lehrer zur Verfügung stehen, sinkt logischerweise die Betreuungsintensität für alle Schüler.
“Statt in kleineren Klassen die Kinder vernünftig auf ihr späteres Leben vorzubereiten und das als Chance zu begreifen, wird uns Eltern verkauft, es wäre volkswirtschaftlich billiger zusammenzulegen und einen Lehrer einzusparen”, kritisiert Geisler das derzeit in Sachsen gepflegte Schmalspur-Rechnen. “Aber ist es wirklich für die steuernzahlende Gemeinschaft günstiger? Wir bezweifeln das. Gute Bildung braucht Bindung, sowohl Bindung an ein starkes Elternhaus, aber auch Bindung in der Klasse, in der Gesellschaft und zu Bezugspersonen in der Schule. Wenn es rein rechnerisch möglich wäre, aus 110 Kindern 4 Klassen zu machen, sparen wir einen Lehrer, verlieren aber stets einige Kinder, deren Bindungen durcheinander kommen und die dadurch in ihrem Bildungserfolg benachteiligt werden. Dann stehen dem eingesparten Geld von Heute Ausgaben von Morgen gegenüber, weil Kinder eventuell länger lernen, den falschen Bildungsweg einschlagen, auf die schiefe Bahn geraten oder ähnliches.”
Eine Rechnung, die sich die aktuelle sächsische Regierung augenscheinlich erspart. Man trickst sich bei PISA-Tests zu Spitzenergebnissen, lässt aber die Qualität in den Schulen immer mehr dem Sparzwang erliegen. Mit den Folgeproblemen – Schulabgängern ohne Abschluss und Ausbildungsbefähigung, mit starken sozialen Problemen, lässt man die Kommunen allein.
Andreas Geisler: “Eine Zahl von über 10 Prozent der Kinder im Freistaat und zirka 15 Prozent in Leipzig ohne Schulabschluss sind auch eine Folge dieser verfehlten Politik, das ist neben einem Abschieben von zu vielen Kindern mit Besonderheiten in Förderschulen ein wichtiger Grund für Bildungsverweigerung. Jede Maßnahme, die diesen Wert senken hilft, ist ökonomisch sinnvoll. Und aus diesem Grund wäre es sinnvoller, Kinder in ihren Klassen zu belassen und den einen Lehrer mehr zu bezahlen, um spätere höhere Kosten zu verhindern.”
In Sachen Bildungspolitik wird in Deutschland seit einigen Jahren von “Investition in Bildung” schwadroniert. Doch tatsächlich wird gekürzt. Was zwangsläufig ist, nachdem man die Steuerlast in den letzten zehn Jahren fast komplett auf die unteren und mittleren Einkommen gelegt hat.
“Unsere Kinder sollen im Mittelpunkt unserer Bemühungen stehen, das hat die Kultusministerin bei ihrer Rede am Donnerstag in Leipzig fünf Mal gesagt. Und auch wir sind für den sinnvollen Umgang mit Steuergeld, denn es ist nicht das Geld der Politik, sondern der fleißigen Menschen im Freistaat, die ihre Steuern bezahlen”, sagt Geisler. “Wir wissen, dass gute Bildung Geld kostet, wir wissen aber auch, noch viel teurer kommt die Gesellschaft, und damit uns allen, keine oder schlechte Bildung. Der Freistaat muss sein fast 25 Jahre altes Schulgesetz schleunigst überarbeiten und verbessern und dazu die Nutzer von Schule in einem breiten Prozess einbinden und endlich ernst nehmen.”
In Ausnahmefällen könnten Zusammenlegungen durchaus einen Engpass lösen. Aber die Regel dürften sie nicht sein, so Geisler. “Und wenn man überhaupt in der Bildungskarriere über Zusammenlegungen nachdenkt, müssen die Jahre vor Prüfungen/Bildungsempfehlungen und die ersten 2 Jahre nach einem Schuleintritt absolut tabu sein. Da sind sich die Kreis- und Stadtelternräte der Region Leipzig einig. Klassenzusammenlegungen gingen somit aus unserer Sicht wenn überhaupt dann in der Grundschule nur nach der 2. Klasse. Und auch das sehen wir nur in Notfällen als Möglichkeit …”
Er erinnert aber auch daran, dass die nun auch nach Leipzig hereinschwappende Praxis so schon 2012 im Landkreis Nordsachsen praktiziert wurde. Damals warnte der dortige Kreiselternrat: “Es gibt mehrere Beispiele in verschiedenen Schulen des Kreises, in denen Klassen immer dann zusammengelegt werden müssen, wenn rein rechnerisch die zusammengelegten Klassen die Maximalstärke von 28 erreichen. Ein Beispiel ist ein Gymnasium des Landkreises: Hier sollen aus 4 Klassen der Stufe 9, die zusammen genau 84 Schüler haben, 3 Klassen gemacht werden, die dann jeweils 28 (die Maximalschülerzahl) haben werden. Oder in einer Grundschule des Kreises: Es soll aus 2 Klassen der Stufe 2 eine Klasse mit 28 Schülern in der Klassenstufe 3 gemacht werden.”
Die Praxis wurde nicht geändert. Im Gegenteil: Auch der Landkreis Nordsachsen – und ebenso der Landkreis Leipzig – stopfen die Klassen voll bis zur Schmerzgrenze. Was nicht nur an Oberschulen, sondern auch an Gymnasien immer wieder eine spürbare Qualitätsverschlechterung des Unterrichts bedeutet.
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“Uns wird immer entgegengehalten, dass größere Klassen nicht automatisch schlechtere Lernleistungen bedeuten, zumindest gäbe es keine Studie, die solches belegt”, warnte Andreas Geisler damals. “Aber wenn wir auf diesem Weg des häufigen Trennens und neu Zusammenfügens auch nur einen Schüler verlieren, der seinen Halt oder seine Ansprechpartner verliert und dem es schwer fällt, sich in ein neues Umfeld zu integrieren, geht die ganze Rechnung nicht mehr auf.”
“Die Kosten, die jeder verlorene Schüler dem Freistaat und damit uns allen als Steuerzahler verursacht, wenn er nicht den für ihn bestmöglichen Abschluss erreichen kann, übersteigen bei Weitem die Kosten für einen Lehrer, die die Zusammenlegung von Klassen auf Krampf einsparen soll”, lautete seine Warnung damals schon. “Genauso unverständlich ist es für uns, dass die Ganztagsangebote aufs Spiel gesetzt werden, weil aufgrund der verfehlten Schulpersonalpolitik des Freistaates jetzt alle Lehrer zur Absicherung des Grundbereiches des Unterrichtes gebraucht werden und damit für die GTA-Angebote maximal noch freiwillig zur Verfügung stehen.”
Thomas Pfeil, der Vorsitzende des Kreiselternrates, wurde noch ein bisschen deutlicher: “Wenn ich auch bekenne, dass mir sparsame Haushaltsführung am Herzen liegt, aber ich wäre nicht dafür, einen schuldenfreien Freistaat dann unwissenden Kindern zu hinterlassen. Bildung ist Investition in die Zukunft und muss als solche gelebt werden, gerade jetzt und heute. Da ist die Politik gefragt, bessere Lösungen anzubieten. Abzug aller Lehrerstellen aus dem GTA heißt auch, es gibt keinerlei Ausgleich für erkrankte Lehrer und jeder kranke Lehrer führt sofort zu Schulausfall, weil es keinerlei Reserven mehr im System gibt.”
Aber seitdem hat das Knirschen im System immer weiter zugenommen. Der Sparkurs wurde stur fortgesetzt.
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