In Sachen Schulinklusion in Sachsens Schulen konnte man in der vergangenen Woche fast exemplarisch verfolgen, wie ein wichtiges Thema von einer Landesregierung erst murrend akzeptiert, dann hemdsärmelig in Angriff genommen, frenetisch gefeiert und letztlich klammheimlich doch nicht umgesetzt wurde.

Anlässlich des fünfjährigen Jubiläums zum Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland übte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schon am 25. März Kritik an der Inklusion in Sachsens Schulen.

Völlig zu Unrecht, fand der bildungspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion Lothar Bienst: “Sachsen ist trotz aller Unkenrufe der Opposition auf einem guten Weg. Mit einem fraktionsübergreifenden Antrag hat der Landtag die Staatsregierung beauftragt, einen Aktions- und Maßnahmeplan zu erarbeiten. Die Staatsregierung hat daraufhin ein Expertengremium ins Leben gerufen, das neben dem Aktions- und Maßnahmeplan Handlungsempfehlungen vorgelegt hat. Das ist eine wichtige Arbeitsgrundlage für die Staatsregierung, die Schulleiter sowie Pädagogen – und nicht zuletzt auch für die kommunale Ebene als Schulträger.”

Wahrscheinlich ist der Tag nicht mehr weit, an dem die Gesellschaft für Deutsche Sprache das Wort “Maßnahmeplan” zum Unwort des Jahres erklärt. Es klingt immer, als seien die Behörden, die so etwas machen, ganz gewaltig am Arbeiten, müssten nur noch sortieren, was zuerst dran kommt und dann mit Geld untersetzen. Aber oft genug steckt hinter dem Gerede von Maßnahmeplänen nicht mehr als ein Verschiebemodell, mit dem wichtigen Anliegen in irgendeine nebelige Zukunft verschoben werden. Und trotzdem klingt es so, als seien die Ämter ungeheuer am Arbeiten und Umsetzen.

“Besonders im Bereich der Lehreraus- und -weiterbildung findet die Inklusion in allen Schularten ihren Niederschlag”, erklärte Bienst vollmundig. “Des Weiteren laufen die Schulversuche in den Modellregionen sehr positiv und werden dafür genutzt, verallgemeinerungsfähige Ansätze für die Ausgestaltung eines inklusiven sächsischen Schulsystems unter Einbeziehung der Förderschulen und Förderschulzentren zu definieren.”

Aber er wusste ja selbst, dass überhaupt noch nichts geschehen ist. Und so legte er auch noch ein tröstliches Wort dazu: “Politische Aufgabe ist es, realistische und langfristige Ziele zu vermitteln. Inklusion ist ein Prozess, der auf Jahre ausgelegt ist und mit dem verantwortungsvoll im Sinne der Betroffenen und Beteiligten umgegangen werden muss.”

Im Klartext: Eine zeitnahe Umsetzung von Inklusion sei aus Sicht der Regierungspartei nicht realistisch.Oder soll man besser sagen: CDU und FDP haben drei Jahre lang gar keinen Grund gesehen, den Beschluss von 2011 umzusetzen? Oder nur so weit, dass es nicht weiter stört im üblichen Gang?

Dem fraktionsübergreifenden Beschluss aus dem Jahr 2011 zum inklusiven Bildungssystem folgte zwar der geforderte Aktions- und Maßnahmeplan. In vier Regionen startete zum Schuljahr 2012/13 sogar ein Modellprojekt und Ex-Bildungsminister Roland Wöller (CDU) initiierte ein Expertengremium zur Weiterentwicklung und Ausgestaltung des sächsischen Bildungssystems im Hinblick auf Inklusion.

Doch seitdem herrscht Ruhe, stellen insbesondere Grüne und SPD fest. Die gewonnenen Erkenntnisse schlummern friedlich in irgendeiner Schublade. Außerhalb der Modellregionen passiert an den Schulen praktisch nichts.

Das wollen die Fraktionen von Grünen und SPD nicht länger hinnehmen. In einem Antrag fordern sie nun, die Empfehlungen des Expertengremiums landesweit umzusetzen und dies im kommenden Doppelhaushalt auch finanziell zu untersetzen, damit Schulinklusion in Sachsen für Eltern und Kinder spürbar vorankommt.

“Die Aufbruchstimmung beim Thema inklusive Bildung ist in Sachsen verflogen”, beschreibt Elke Herrmann, sozialpolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, das lähmende Ergebnis der sächsischen Aussitzerei. “Staatsregierung und Kultusministerin Brunhild Kurth (CDU) ignorieren den mit den Stimmen aller demokratischen Fraktionen gefassten Landtagsbeschluss, das sächsische Schulsystem in ein inklusives Schulsystem umzuwandeln. Deshalb haben wir uns entschlossen, den Handlungsauftrag zu erneuern. Wir fordern die Vorlage des fortgeschriebenen ‘Aktions- und Maßnahmeplanes zur zielgerichteten Umsetzung von Art. 24 UN-Behindertenrechtskonvention sowie, in der Folge, die notwendigen Rahmenbedingungen für eine inklusive Bildung in Sachsen zu schaffen.”

Sie benennt auch das Problem, mit dem Inklusion in Sachsens Schulen zu kämpfen hat: Wie bei anderen Themen der Bildungspolitik auch ist die sächsische Staatsregierung keineswegs bereit, ihre Sparpolitik zu beenden und gerade die mit hohen Handicaps belasteten Schüler mit den nötigen Begleitprogrammen zu unterstützen.

“Dass Inklusion an der Schule weiterhin davon abhängig ist, ob einzelne SchulleiterInnen, LehrerInnen oder Eltern besonders engagiert sind, ist im Jahr sechs nach Inkrafttreten der UN-Behindertenrechtskonvention ein miserables Zeugnis für Sachsens Bildungspolitik”, sagt Herrmann. Denn tatsächlich funktioniert Inklusion nur, wenn die Schulen personell auch deutlich besser ausgestattet werden.

Und genau da liegt der Hase im Pfeffer, stellt auch Dr. Eva-Maria Stange, bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, fest: “Fünf Jahre sind nun schon ins Land gegangen, seit die UN-Behindertenrechtskonvention in Kraft getreten ist. Fünf verschenkte Jahre für Sachsen: zu große Klassen, zu wenige sonderpädagogisches Personal, zu wenig Zeit, zu kleine Klassenräume. Die meisten Kinder und Jugendlichen mit Behinderung werden in Förderschulen abgeschoben, obwohl sie inklusiv an Regelschulen unterrichtet werden könnten. Noch immer gibt es keinen verbindlichen Aktions- und Maßnahmeplan der Staatsregierung. Das muss sich dringend ändern. Die SPD-Fraktion will die inklusive Schule in einer inklusiven Gesellschaft. Wir sind bereit, diesen Weg gemeinsam zu gehen. Nun ist die Staatsregierung am Zug.”

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