Die Theaterwissenschaft wehrt sich gegen die Schließung. Und findet dabei Unterstützer in der ganzen Welt. Mit einer Show im Schauspiel Leipzig bekundeten gestern Künstler, Alumni, Politiker und Theaterforscher ihre Solidarität mit dem zur Abwicklung vorgeschlagenen Institut an der Universität Leipzig.
“Die Theaterwelt läuft Sturm”, sagte Günther Heeg, Professor am Institut. Zusammen mit seinen Kollegen Gerda Baumbach und Patrick Primavesi führte er durch den Nachmittag. “Die Online-Petition zu unserer Unterstützung zählt bis heute über 12.000 Unterschriften”, so Heeg. “Der Freistaat muss die Pleite der Sächsischen Landesbank tragen und bittet seinerseits die Hochschulen zur Kasse. Wir weigern uns die Zeche zu zahlen.”
Gerda Baumbach verglich die Geisteswissenschaft mit Küchenkräutern: “Man wird auch ohne satt, doch ob man dann noch an Herz und Seele gesund bleibt?” Der Vorwurf an die Theaterkunst, Unnützes zu machen und dafür sogar Geld zu verlangen, reiche zurück bis ins Mittelalter. Doch die Ökonomisierung der Wissenschaften und Kultur erlebe aktuell eine neue Welle. Dazu braucht es eine gesellschaftliche Debatte. “Bis heute gibt es keine inhaltliche Begründung für den Schließungsvorschlag”, erinnerte Patrick Primavesi. “Und diese Veranstaltung ist nicht nur für uns gedacht, sondern für alle Betroffenen wie zum Beispiel auch die klassische Archäologie.” Die Studenten des Fachschaftsrates kündigten viele weitere Veranstaltungen an. Der Protest werde weitergehen, bis die Landesregierung die Kürzungspläne zurücknehme. Der Große Saal des Schauspielhauses war voll besetzt mit Studenten und Sympathisanten der Fachrichtung.
Prorektor Lenk: “Ich will hier raus”
Leipzigs Kulturbürgermeister Michael Faber erntete Applaus für seine Äußerung, dass Banken für systemrelevant erklärt werden, während die Kultur als Konsolidierungsmasse gelte. “Die Stadt wird viel dafür tun, dass die Theaterwissenschaft bleibt”, so Faber. Auf Nachfrage von L-IZ.de räumte der jedoch ein: “Wirklich tun können wir nicht viel.” Es gehe für ihn darum, mittels Gesprächen auf die Landespolitik, besonders in Richtung von Wissenschafts-Staatsministerin Sabine von Schorlemer, auf die Rücknahme der Kürzungen hinzuwirken. “Steter Tropfen höhlt den Stein”, sagte Faber.
Auf die Bühne stieg auch Hans-Thies Lehmann. Er ist eine weltbekannte Koryphäe in der Theaterforschung. Sein Standardwerk über das postmoderne Theater wurde in 17 Sprachen übersetzt. “Allein der Nutzen wird heutzutage als Zweck der Bildung angesehen. Alleiniger Bildungsauftrag scheint der Gelderwerb zu sein.” Dem Menschen werde nur so viel Kultur gestattet wie im Interesse des Erwerbs liegt. “Das stammt nicht von mir, sondern von Friedrich Nietzsche. Ich wünsche die Rücknahme der Streichungen.”
Mut bewies Thomas Lenk, Prorektor der Universität Leipzig, der vor dem aufgeheizten Publikum die Sparzwänge erklärte, in denen sich das Rektorat befindet. “Die Landesregierung hat uns dies mit einem Beschluss aus dem Jahr 2010 auferlegt”, so Lenk. Bis zum Jahr 2020 fielen 1.042 Stellen an allen sächsischen Hochschulen weg. “Für uns heißt dies: 24 Stellen weniger pro Jahr. Und das bis 2016.” Lenk sagte auch, dass die Uni-Leitung zwar die Theaterwissenschaft zur Streichung vorgeschlagen habe, die Entscheidung jedoch dem Ministerium obliege. “Wenn das so weitergeht, dann haben wir bis zum Jahr 2020 rund 30 Prozent weniger Stellen als noch im Jahr 1993, aber rund 10.000 Studenten mehr”, so Lenk.
Dann müssten noch mehr Fächer verschwinden. “Wir brauchen einen Wechsel in der Hochschulpolitik, sonst geschieht ein Raubbau.” Die Landesregierung ist in ihrer Prognose, auf welche der Sparplan aufbaut, von 45 Prozent weniger Studenten ausgegangen als es jetzt tatsächlich in Sachsen gibt. “Es darf nicht der Eindruck entstehen, das Rektorat sei jetzt erst aufgewacht. Ich habe mich um den Job des Prorektors nicht gerissen.” Von seinem Büro aus sehe er das Transparent mit der Aufschrift: Wir wollen hier bleiben. “Ich würde gerne auch eines raus hängen. Mit `Ich will hier raus'”, so Lenk. Die Situation der Hochschulen in Sachsen verglich er mit einem Verurteilten, der auf den Richtplatz geführt wird. “Und wir können nur noch wählen, ob der linke oder der rechte Arm abgeschnitten wird.”
Dass die Theaterwissenschaft in Leipzig gute Arbeit leistet, bescheinigten zum einen die zahlreichen Videobotschaften: aus Italien, aus Japan, aus der Schweiz erreichten die Leipziger Empörungsbekundungen. In all jene Länder unterhält das Institut Forschungs- und Austauschbeziehungen. In Deutschland ist die Solidarität nicht weniger groß. Am Stuttgarter Theater ist man über die Schließung des einzigen theaterwissenschaftlichen Instituts im Osten der Republik bestürzt. Schauspieler Andreas Schmidt-Schaller, bekannt aus der ZDF-Serie Soko Leipzig, spricht sich ebenfalls für die Erhaltung des Instituts aus.
“Wenn der König aufwacht: Peng!”
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Die Theaterwissenschaft ist tief in der Leipziger Kulturszene verwurzelt. Mit ihren Auftritten bewiesen dies Thomas Hertel und das Ensemble “Mund & Knie”, die einen Trauermarsch abhielten. Gardi Hutter brachte als “tapfere Hanna” das Publikum zum Lachen, ebenso wie Larsen Sechert mit seinem Knalltheater. Das Leipziger Ballett zeigte eine Szene aus “Blühende Landschaft”, das Theater der Jungen Welt aus “Crystal”, die Gruppe Friendly Fire aus “You Give Me Fever”, und das Schauspiel Leipzig aus “Reigen oder Vivre sa vie.” Dessen Intendant Enrico Lübbe gehört zu den Absolventen des Leipziger Instituts. “Mit 18 Jahren kam ich zum Studium und es hat mich nicht gelehrt, Theater zu machen, sondern über Theater nachzudenken”, so Lübbe. Auf der Liste der Unterstützer stehen auch die Hochschule für Musik und Theater, die Schaubühne Lindenfels, die Cammerspiele aus dem Werk Zwei, das Festival euro-scene und der Bundesverband freier Theater.
Das Unverständnis auf den Punkt brachte Christopher Balme, Präsident der Internationalen Vereinigung für Theaterforschung: “Es ging um die Welt wie ein Lauffeuer.” Von überall her erreichten ihn Mails mit der Frage, ob er das erklären könne. “Das Institut ist gut vernetzt, es hat viele Studenten, betreibt gute Forschung. Kurzum: Nein ich kann es nicht erklären, offensichtlich geschieht es rein nach dem Zufallsprinzip”, so Balmer. “Du existierst nur, weil der König von dir träumt”, heißt es in der Nummer, die Michael Vogel vom Theater Westflügel aufführte. “Und wenn der König aufwacht: Peng! Dann ist es Aus mit Dir.”
Die Leipziger Theaterwissenschaft weiß um ihre Wichtigkeit für die deutsche Theaterszene. Und mobilisiert alle Kräfte, um weiter zu bestehen. Professor Günther Heeg kündigte an, in Bälde eine politische Diskussionsrunde im Theater der Jungen Welt abzuhalten, die Studenten wollen in der Innenstadt eine Reihe von Performances aufführen und viele Unterstützer wünschen sich, dass dieses Feuer weiter lodert. Mindestens bis zur Landtagswahl im Mai dieses Jahres.
Hier jedenfalls gehts lang zur Petition
www.change.org/de
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