Sachsen will innovativ sein. In Bildungsfragen ist es das gewiss nicht. Oder eben anders kreativ. So hat das Sächsische Kultusministerium im Mai an die Gymnasialdirektoren durchgestellt, dass Referendare in der zweijährigen Ausbildung im zweiten Jahr künftig zwölf Unterrichtsstunden pro Woche halten sollen - statt der bisherigen acht bis zehn. Ein Kurs in der Sekundarstufe II möge bitte pro Fach auch dabei sein. Die Referendare reagierten misslaunig, die Schulleiter sehen sich vor organisatorische Probleme gestellt und erwarten Reaktionen besorgter Schüler und Eltern.

Das sächsische Kultusministerium hat einen weiteren Schritt zur Vermeidung von Lehrer-Neueinstellungen getan. Die Gymnasial-Schulleiter in Sachsen wurden angewiesen, ihre Referendare im zweiten Jahr nun die vollen zwölf Stunden zu beschäftigen.

Klingt nicht gerade nach einem ausgefüllten Leben, doch ist vor allem dieses zweite Jahr, in dem die Referendare das erste Mal selbstständig unterrichten, Arbeiten und Hausaufgaben korrigieren müssen, als stellvertretender Klassenlehrer Organisationsaufwand betreiben, als Fachlehrer an Klassen- und Versetzungskonferenzen teilnehmen und dazu noch eine zweite Staatsexamensarbeit schreiben, mündliche Prüfungen ablegen und Prüfungsstunden halten müssen, ein soundso bereits nervenaufreibendes. Nun also die Aufstockung der Stundenzahl, mit der sich, wie es aus der Sächsischen Bildungsagentur Leipzig hieß, das Land Sachsen 60 Neueinstellungen sparen will.

Einige Referendare reagierten geschockt. “Wir werden vom Land eiskalt ausgebeutet, dürfen für eine Hinhalte-Politik herhalten und am Ende haben wir keine Stelle”, schimpft eine Referendarin gegenüber L-IZ.de, die ihren Namen lieber nicht sagen will. Auf missgünstige Äußerungen von Bediensteten reagiert man derzeit im sächsischen Bildungsapparat dünnhäutig.

Fakt ist: Die Lehramtsprüfungsordnung II (kurz LAPO II) gibt die Erhöhung der Stundenzahl her, wie das Sächsische Kultusministerium bestätigte. Dort heißt es unter § 12 Abs. 4: “Während des zweiten Ausbildungsabschnitts hat der Lehramtsanwärter oder Studienreferendar in seinen Unterrichtsfächern oder beruflichen Fachrichtungen wöchentlich mindestens drei Unterrichtsstunden zu besuchen und in der Regel zehn bis zwölf Unterrichtsstunden selbstständig zu unterrichten. Der selbstständige Unterricht erfolgt im Rahmen eines umfassenden Lehrauftrags.” Rechtlich ist also alles in Ordnung, es sind die Art und Weise und die Folgen, die dieser Dienstanweisung an die gymnasialen Schulleiter ihre besondere Note verleihen. So ist erwünscht, dass jeder Referendar auch einen Grundkurs pro Fach in der Sekundarstufe II für ein Jahr übernimmt.

Und damit gehen die Probleme los: Da das Referendariat nur zwei Jahre dauert und der selbstständige Lehrauftrag mit zwölf Stunden erst im zweiten Jahr erteilt wird, bedeutet das, dass nach der 11. Klasse Fachlehrerwechsel im großen Stil anstehen. Eine Maßnahme, die sonst im Sinne der Kontinuität vermieden wird. Des Weiteren stellt sich auch die Frage, ob Abiturschüler nicht ein Recht darauf haben, von einem fertig ausgebildeten Lehrer unterrichtet zu werden und nicht von einem Referendar, der – engagiert hin oder her – sich eben doch noch im Beruf einfinden muss. “Diesbezüglich erwarten wir Reaktionen besorgter Schüler und Eltern.

Man traut ja auch nicht jedem Referendar einen Grundkurs über das ganze Schuljahr zu”, heißt es vom Vorstand der Vereinigung der Gymnasialdirektoren in Sachsen, der die Entwicklung kritisch verfolgt. “Vor allem auch, weil es noch viele ungeklärte Fragen gibt.” So steht ausgebildeten Lehrern bei sechs Stunden in der Sekundarstufe II eine Anrechnungsstunde zu. Was geschieht bei Referendaren, die sechs Stunden in der Sek II unterrichten, was bei verschiedenen Fächerkonstellationen passieren kann? Möglich ist auch, dass Schulen alle Grundkurse in den Hauptfächern auf Referendare aufteilen müssen, weil es viele Referendare oder wenige Grundkurse gibt.

Verrückt wird es, wenn ein Referendar keine Grundkurse übernehmen kann. Dann geht er trotzdem mit 12 Stunden ins Rennen und übernimmt – wie vorgeschrieben – sechs Wochen vor seinem Prüfungszeitraum einen Grundkurs für insgesamt 12 bis 13 Wochen. Wären also dann 14 Stunden. “Theoretisch müsste ihn dann ein Fachlehrer in der Sekundarstufe I vertreten”, so der Vorstand. Andere Möglichkeit: Der Unterricht fällt in einer Klasse aus der Sek I schlicht aus. Ein Unding für den Vorstand. “Insgesamt sorgt diese Regelung dafür, dass das Thema Unterrichtsversorgung eine neue Qualität erreicht.” Und auch nicht das Verhältnis des Landes Sachsens zu seinen Junglehrern verbessert, denen trotz Lehrermangels nach dem Referendariat ganz selten der Schritt zur ersten Stelle gelingt. Sie werden schlicht nicht angeboten.

Vor allem Geisteswissenschaften wie Geschichte, Gemeinschaftskunde, ja selbst Deutsch oder Kunst sind derzeit nicht gefragt. Warum sich also dieses Jahr ausbeuten lassen, zumal die Erhöhung der Stundenzahl auch den Abschlussdurchschnitt gefährdet. “Die Veränderung der gängigen Praxis mitten in der Ausbildung sehen wir als großes Problem an”, heißt es von der Vereinigung der Gymnasialdirektoren. Rechtliche Praxis hin oder her, die Referendare, die nun ins zweite Jahr kommen, haben einen deutlichen, vor einem Jahr ungekannten Nachteil gegenüber den vorhergehenden Absolventen. Eine Gehaltserhöhung, die die Veränderung abfedern könnte, gibt es jedenfalls laut Kultusministerium nicht “An eine Veränderung der Vergütung ist […] nicht gedacht.”

Überhaupt scheint sich das SMK das eigene Handeln schönzureden, hob gegenüber L-IZ.de sogar noch hervor, dass sich durch diese Regelung “außerdem die Unterrichtserfahrung der Referendare erhöht” und verweist gleich mehrmals darauf, dass sich Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern auf einem ähnlichen Niveau bewegt. Ist das das offizielle Eingeständnis, dass sich der PISA-Gewinner den anderen, schwächeren Bundesländern angleichen will? An eine verstärkte Abwanderung der ausgebildeten Referendare aus Sachsen verschenkt das Ministerium keinen Gedanken. “Da sich an den grundlegenden Regelungen für die Lehramtsanwärter und Referendare keine Änderungen ergeben, wird die hier befürchtete Entwicklung nicht erwartet.”

Man hat ja auch andere Entwicklungen nicht erwartet…

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Keine Kommentare bisher

Schreiben Sie einen Kommentar