Am Freitag, 15. März, stellte Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer die Ergebnisse der zweiten Studierendenbefragung in Sachsen vor. Die erste gab es 2005. Und wer der Ministerin glauben möchte, der lebt jetzt in einer besseren Welt. "Demnach sind 59 % der Studierenden mit ihrer aktuellen Studiensituation an den sächsischen Hochschulen sehr zufrieden", teilte das Ministerium am Freitag der Welt mit. Auch Weglassen ist Retusche.
Denn im Bericht wurden die Aussagen für “gut” und “sehr gut” zusammengefasst. Erst dann ergeben sich die 59 Prozent. Wieviel davon “gut” bzw. “sehr gut” ist, wurde nicht differenziert. “Im Vergleich zur Erstbefragung im Jahr 2005 macht dies einen deutlichen Anstieg von 10 % aus”, so das Ministerium. “Dieser starke Anstieg bleibt auch dann bestehen, wenn man aus dem Jahr 2005 nur die ‘traditionellen’ Studiengänge mit den ‘reformierten’ Studiengängen, worunter die Bachelor-, Master- und auch modularisierten Diplomstudiengänge verstanden werden, miteinander vergleicht. Das Ergebnis zeigt: Die Studienbedingungen haben sich durch die Studienreform nicht verschlechtert.”
Dieser Satz freilich ist durch den Bericht nicht gestützt. Denn in vielen Bereichen haben sich die Studienbedingungen nach Einschätzung der Studierenden verschlechtert. Das, was sich die Ministerin aus dem Bericht zusammenliest, klingt wie Schönmalerei. Und wie eine Drohung.
“Viele zufriedene Studierende zeigen, wie attraktiv unsere Hochschulen im Freistaat sind. Darüber können wir uns freuen. Vor allem die Qualität des Studiums findet bei den jungen Menschen viel Zuspruch”, erklärte Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer. Und die Drohung dazu: “Trotz dieser erfreulichen Ergebnisse bleibt es weiterhin Aufgabe, Studienangebote zu verschlanken und zu optimieren. So können die insgesamt hohen Leistungsanforderungen des Studiums verringert werden.”
Hat sie den Bericht nun nicht gelesen oder nicht verstanden?
Die hohen Leistungsanforderungen werden zwar von den Studierenden als “Belastung” klassifiziert – aber gleichzeitig bewerten sie die Anforderungen als eine der wichtigsten Qualitäten des Studiums in Sachsen. Man lese nur die Seiten 56 ff. Es ist ein Lob für die Hochschulen, wenn sie – trotz der miserablen Rahmenbedingungen – die hohen Leistungsanforderungen aufrecht erhalten können. Die Studierenden kritisieren etwas ganz anderes. Denn die Bedingungen, diese Leistungsanforderungen zu erfüllen, haben sich seit 2005 deutlich verschlechtert. Durch “Verschlankung” zum Beispiel.
Und weil ein paar Leute gern glauben, die L-IZ sauge sich ihre ganze Kritik immer aus den Fingern, hier ein paar Zitate direkt aus dem Bericht.
Thema: Prüfungsanforderungen
“Auch hinsichtlich der Klarheit der Prüfungsanforderungen zeigt sich, dass die Studierenden 2012 (49 %) kritischere Bewertungen abgeben als die Studierenden 2005 (59 %). Dass in ihren Studiengängen klare und transparente Prüfungsanforderungen vorhanden sind, sagen von den Studierenden der traditionellen Studiengänge 2005 noch zwei Drittel, sieben Jahre später sind es in den reformierten Studiengängen dagegen nur noch 49 %.” Nachzulesen auf Seite 63. Die so genannte Bologna-Reform hat die Studienbedingungen in Sachsen sichtlich verschlechtert. Was auch daran liegt, dass die neuen Studiengänge nicht wirklich mit dem nötigen Personal untersetzt wurden.
Thema: Lehrangebot
“Die Abstimmung des Lehrangebots auf die Prüfungsanforderungen wird von 71 % der Studierenden 2005 mit (sehr) gut bewertet. Die Werte der Studierenden 2012 liegen mit 60 % unter diesen Angaben. Gleiches ist für die reformierten Studiengänge (62 %) im Vergleich zu den traditionellen Studiengängen (74 %) feststellbar. Auch bei den Urteilen zur Breite des Lehrangebots weisen die Studierenden 2005 (64 %) höhere Werte auf. Die Betrachtungen zeigen, dass die aktuell Studierenden mit der Breite des Lehrangebots weniger zufrieden sind als noch 2005. 60 % der Befragten 2012 geben eine (sehr) gute Einschätzung.” Nachzulesen auf Seite 67. Die Reform und wohl auch die sächsischen Sparmaßnahmen haben das Lehrangebot tatsächlich ausgedünnt.
Thema: Praxisbezug
“Der Vergleich mit den Ergebnissen der ersten Studierendenbefragung 2005 offenbart, dass die Studierenden beider Hochschularten den Praxisbezug und die Berufsvorbereitung im gewählten Studiengang aktuell schlechter bewerten als vor sieben Jahren.” Nachzulesen auf Seite 74. Und das war eigentlich einer der zentralen Gründe für die “Reformierung” der Studiengänge innerhalb des Bologna-Prozesses. Und es kommt noch saftiger: Die “reformierten” Studiengänge haben noch weniger Praxisbezug als die alten. Dasselbe trifft auf die Interdisziplinarität zu. Mit der Verengung vieler Studiengänge hat man den “Fachidioten” wieder zum Ideal erkoren – und die Fähigkeit, die Grenzen der Disziplin zu überschreiten, in weiten Teilen wegrationalisiert.
Thema: Studienbedingungen
“Der Vergleich zu den Ergebnissen der ersten Studierendenbefragung 2005 zeigt, dass sich der Anteil derjenigen, die von häufigen Terminausfällen bei Lehrveranstaltungen berichten, nicht verändert hat. Mehr als verdoppelt hat sich allerdings der Anteil der Studierenden, die einen gelegentlichen Ausfall berichten. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Zugangsbeschränkungen der Teilnehmerzahlen und den Überschneidungen. So ist feststellbar, dass die aktuell Studierenden etwas seltener angeben, häufiger davon betroffen zu sein als noch 2005. Aber auch hier haben sich die Werte der Kategorie ‘manchmal’ im Zeitverlauf erhöht.” Nachzulesen ab Seite 76. Wobei auffällt, dass das Problem von Überschneidungen oder überfüllten Lehrveranstaltungen die Universitäten doppelt so häufig betrifft wie die Hochschulen. In den Rechts-, Sozial-, Wirtschafts-, Sprach- und Kulturwissenschaften erreicht der Wert der “überschrittenen Anmeldezahlen” 30 Prozent.
Und auch die Studienrichtungen, wo es besonders prekär ist, werden im Bericht genannt (Seite 78): “Bei den Studienbereichen geben besonders die Studierenden der Gesundheitswissenschaften (41 %) und der Erziehungswissenschaften (22 %) an, häufiger Probleme mit dem Ausfall von Lehrveranstaltungen zu haben, während dies in der Physik (1 %) und der Veterinärmedizin (1 %) kein Thema ist. Hingegen übersteigt in den Studienbereichen der Erziehungswissenschaften (44 %), der Philosophie (41 %) und der Sozialwissenschaft (37 %) die Teilnehmerzahl häufiger das zur Verfügung stehende Platzangebot in den Lehrveranstaltungen.”Und wie wertet das Ministerium diese deutlich sichtbaren Verschlechterungen? – “Mit der vorliegenden Befragung bietet sich auch die Möglichkeit, die aktuellen Belastungssituationen mit den Angaben der Studierenden aus dem Jahr 2005 zu vergleichen. Hier zeigt sich, dass sich die Belastungen durch die Studienreform im Vergleich zu den traditionellen Studiengängen nur geringfügig erhöht haben. Von einer merklichen Steigerung, wie in der öffentlichen Diskussion oft dargestellt, kann nicht gesprochen werden.”
Was im Bericht steht, sind “merkliche Steigerungen”. Sie betreffen nicht alle Studiengänge und Hochschularten gleichermaßen. Es gibt Studiengänge, die leidlich verschont wurden, und andere, wo all die verkorksten Reformen der jüngeren Vergangenheit deutliche Verschlechterungen mit sich brachten.
“Ein gut gegliederter Studienaufbau wird vor allem von den Studierenden der Medizin (65 %) und der Ingenieurwissenschaften (62 %) an den Universitäten sowie von den Mathematik/ Naturwissenschaften (61 %) an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften hervorgehoben”, heißt es auf Seite 56. “Dagegen wird in den Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (47 %) an den Fachhochschulen und den Sprach- und Kulturwissenschaften (48 %) an den Universitäten nur von etwas weniger als der Hälfte der Befragten ein guter Studienaufbau bestätigt.”
Und das hat sehr wohl mit der schlecht durchgeführten Bologna-Reform in Sachsen zu tun. Was man den Hochschulen allein nicht anlasten kann. Es ist eine Reform, die eigentlich mehr Lehrpersonal gebraucht hätte, nicht weniger. Schon wegen der vervielfachten Zahl von Prüfbausteinen. Das Ergebnis:
“Bei den Einschätzungen zum Aufbau des Studiums getrennt nach Abschlussart ist feststellbar, dass vor allem Studierende in den Diplom- (66 %) und Staatsexamensstudiengängen (64 %) ihren Fächern eine gute Studiengliederung attestieren”, heißt es auf Seite 59. “Die Einschätzungen der Studierenden der neuen Studiengänge sind hier verhaltener (jeweils knapp 47 %). Die geringsten Werte sind für die Studierenden des Lehramts (40 %) und der Magisterstudiengänge (36 %) feststellbar. Bei der Beurteilung der Klarheit der Prüfungsanforderungen zeigen sich relativ geringe Differenzen zwischen den Abschlussarten.”
Natürlich ist es ein durchwachsener Bericht. So durchwachsen, dass sich globale Einschätzungen eigentlich verbieten. Auch diese hier: “Unsere Hochschulen sind attraktiv und haben einen guten Ruf, das sehen wir auch an den vielen Studierenden, die aus anderen Bundesländern zu uns kommen”, meint die Ministerin. Neben den guten Studienbedingungen seien vor allem fehlende Studiengebühren, geringe Lebenshaltungskosten und die hohe Lebensqualität ausschlaggebend für die Wahl des Studienortes.
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Auch das ist eine Retusche. Die Aussagen zu “fehlenden Studiengebühren, geringen Lebenshaltungskosten und die hohe Lebensqualität” führen meilenweit die Tabelle der Gründe dafür an, dass die jungen Leute in Sachsen studieren (74, 62 und 58 Prozent). Die beschworenen “guten Studienbedingungen” sind da oben nicht zu finden. Sie stehen nicht mal irgendwie “daneben”, sondern kommen erst ganz weit hinten in der Tabelle auf Seite 35. Wenn man sie denn mit Aussagen wie “guter Ruf” (53 %), gute Ranking-Ergebnisse (31 %) oder praxisnahe Ausbildung (26 %) in Verbindung bringen kann.
Die “vielen Studierenden aus anderen Bundesländern” kommen schlichtweg, weil ihre eigenen Hochschulen selbst überlastet sind und das Leben in Sachsen noch einigermaßen bezahlbar ist. 57 Prozent studieren übrigens in Sachsens Hochschulen, weil sie so schön nah am Heimatort sind. Aber nur 40 Prozent wollen auch unbedingt im Freistaat bleiben. Bei den anderen sind durchaus andere Regionen als künftiger Arbeitsort in der Überlegung, bei einem Drittel ausschließlich Regionen außerhalb Sachsens.
Erstaunlich, dass Sabine von Schorlemer mit dieser Art Bildungspolitik das sächsische Demografie-Problem lösen will. “Unsere attraktiven Hochschulen locken junge kluge Köpfe in den Freistaat. Mit starken Hochschulen können wir den Herausforderungen des demographischen Wandels begegnen. Auch wenn nicht alle hierbleiben, viele haben den Freistaat kennen gelernt und sind wichtige Botschafter und Multiplikatoren auch nach ihrem Studium”, sagte sie am Freitag noch.
Der Bericht wird wohl – so wie er ist – wieder im Aktenschrank verschwinden. Es ist ja nicht einmal sichtbar, dass das zuständige Ministerium daraus irgendwelche Handlungsnotwendigkeiten ableitet.
Die Meldung des Wissenschaftsministeriums “Zufriedene Studierende in Sachsen”: www.medienservice.sachsen.de/medien/news/183039
Der Bericht zum Nachlesen als PDF zum download.
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